Toni der Hüttenwirt Classic 41 – Heimatroman. Friederike von Buchner
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Die Morgensonne stand über den östlichen Gipfeln. Das Gras war noch feucht vom Tau. Es war kühl gewesen in der Nacht. Der kalte Westwind hatte etwas nachgelassen.
Toni und Anna waren auf dem Weg hinunter zur Oberländer Alm, um Vorräte zu holen.
»Das gibt doch noch einen schönen Tag, Anna!«
»Ja, Toni, das denke ich auch. Ich bin froh, daß es so kühl ist. Der Aufstieg mit den Rucksäcken ist leichter, wenn es nicht zu warm ist.«
»Warm wird es einem dann ganz von selbst. Wir müssen ja nicht alles mitnehmen. Vielleicht geht es Bello morgen wieder besser.«
Bello, der junge Neufundländerrüde, war krank. Er hatte Durchfall und Erbrechen. Er lag still im Schlafzimmer von Anna und Toni. Er wollte seine Ruhe. Anna war besorgt, daß er nichts fressen wollte. Er trank auch wenig. Den Napf mit dem Wasser, den Toni und Anna ihm hingestellt hatten, rührte er nicht an. Müde und kraftlos schleppte er sich zum Gebirgsbach oberhalb der Berghütte. Nur dort trank er sich satt.
Toni und Anna erreichten die Oberländer Alm. Die beiden Alten, Hilda und Wenzel Oberländer, waren mit der Morgenarbeit fertig. Die vollen Milchkannen standen schon am Milchpfad bereit zum Abholen.
»Grüß Gott, Toni! Grüß Gott, Anna!«
»Grüß dich, Wenzel!«
»Setz dich ein bisserl her zu mir, Toni! Ist des net ein schöner Morgen? Die ganze Natur atmet auf nach den heißen Tagen.«
»Ja, Wenzel, schön ist es! Aber wir müssen uns direkt wieder auf den Weg machen. Der Alois muß inzwischen die Gäste alleine versorgen. Du weißt ja, daß er nimmer der Jüngste ist.«
»Der alte Alois, der ist noch vom alten Schlag. So lang der was arbeiten kann, geht’s ihm gut. Die Berghütte, die war sein Leben.«
»Ja, des war sie. Ich freue mich auch, wenn ich seh’, wie seine Augen strahlen. Wenn altbekannte Hüttengäste kommen, dann ist der Alois in seinem Element. Oft kennt er die noch aus der Zeit, als sie Kinder waren. Des ist dann fast wie ein Verwandtschaftstreffen.«
Wenzel Oberländer schaute sich um.
»Sag, ihr habt den Bello net dabei, wie?«
»Naa, den hat es erwischt. Der hat Magengrimmen. Er läuft eben viel draußen rum. Da kann es schon mal vorkommen, daß er Abfall frißt. Des ist ein wirklicher Frevel, wie manche Touristen mit der schönen Natur umgehen. Die werfen den Unrat einfach hinter einen Stein. Bestraft gehört des! Denen müßte man verbieten, in die Berge zu gehen. Die haben keine Ehrfurcht vor der schönen Natur.«
Toni ereiferte sich sehr. Schon immer ärgerte er sich über den Abfall, aber seit Bello krank wurde, war Toni noch mehr erbost darüber.
Anna, die kurz zu Hilda in die Küche gegangen war, kam mit ihr heraus.
»Ruhig, Toni! Ich bin ja auch deiner Meinung! Nur so schnell können wir nichts daran ändern. Bello wird schon wieder gesund! Wenn es ihm weiter so schlecht geht, dann müssen wir ihn zur Doktorin bringen. Der Leo kann ihn mit dem Hubschrauber holen. Oder wir lassen die Tierärztin kommen. Beate wollte uns ohnehin mal wieder auf der Berghütte besuchen.«
Liebevoll streichelte Anna ihrem Toni die Wange.
»Na, ich kann schon verstehen, daß der Toni besorgt ist. Der Bello ist auch ein wertvoller Hund, so gut wie du ihn abgerichtet hast, Anna! Des wäre schon ein Verlust, wenn er es net packen würde«, bemerkte Hilda.
Toni schüttelte den Kopf.
»Darum geht’s net!«
Sicherlich war Bello ein Hund, ein Gebrauchshund, der ihnen gute Dienste tat. Aber er war auch ein liebes Haustier, an dem sie alle hingen. Toni wußte, daß die Bauern Tiere als Erwerbsquelle sahen. Der Wert eines Tieres richtete sich nach seiner Nützlichkeit. Aber Bello war mehr. Bello hatte Anna Toni näher gebracht, das vergaß Toni nie. Sicherlich hätte er auch so Annas Herz erobert, aber durch Bello war es schneller gegangen. Er hatte eine Brücke gebaut. Ihm zuliebe war Anna mit in die Berge gegangen. Bello zuliebe bot sich Anna an, eine Weile zu bleiben. Dann entwickelte sich alles so, wie es sich Toni erträumt hatte. Sie gestanden sich ihre Liebe, heirateten und übernahmen die Berghütte.
»Bello gehört einfach zu uns. Die Kinder hängen auch an ihm. Sie machen sich auch große Sorgen.«
Anna erzählte, daß sie Franzi und Basti sogar erlaubt hatten, die Schule zu schwänzen. Natürlich hatte Toni bereits bei der Schule angerufen. Dort hatte man großes Verständnis. Es war noch nicht lange her, daß die beiden Bichler Kinder Waisen geworden waren. Bei einem Bergrutsch waren ihre Eltern verunglückt. Dabei war auch der Hund des Bichler Hofes umgekommen.
Noch während Toni und Anna mit Wenzel und Hilda plauderten, kam Frau Dr. Beate Brand und hielt neben der Almhütte.
»Grüß Gott, Beate! Gerade haben wir von dir gesprochen!« rief Toni aus. »Was willst du hier oben?«
Die junge Tierärztin lachte.
»Waldkogel ist ein Dorf! Ich habe erfahren, daß der Bello eine Magenverstimmung hat. Franzis Lehrerin rief mich an und fragte, ob ich Näheres wüßte. Sie macht sich Sorgen um Franzi. Sie weiß doch, wie sehr das Mädchen mitleidet, seit das damals geschehen ist.«
»Wie lieb von ihr«, bemerkte Anna.
»Ich rief daraufhin bei euch auf der Berghütte an. Zuerst war der alte Alois am Telefon, dann redete ich mit Franzi und mit Basti. Ich denke es ist nicht so schlimm mit dem Bello. Ich entschloß mich, kann das Nützliche mit dem Angenehmen zu verbinden. Schon lange wollte ich euch mal wieder besuchen.«
»Das ist eine gute Idee! Dann werden die Kinder ja endlich beruhigt sein. Die kleine Franzi hat heute nacht kaum geschlafen.«
»Nicht nur die Franzi, Beate!« schmunzelte Anna.
Beate verstand Anna. Sie wußte wieviel Bello Toni bedeutete. Außerdem stand Bello unter ihrem besonderen tierärztlichen Schutz sozusagen. Denn damals war Toni mit dem Hund in die Praxis gekommen, in der sie Vertretung gemacht hatte. Binnen Tagen war sie dann die Tierärztin in Waldkogel mit eigener schönen Praxis.
»Ich kann auch noch etwas tragen, Anna!« sagte Beate und hing sich ihre Arzttasche um.
Hilda packte einen weiteren Rucksack mit Vorräten an Wurst, Käse und Butter.
Bald darauf waren die drei auf dem Weg zur Berghütte.
*
Susi Gerber parkte ihr Auto in der Tiefgarage des Hochhauses. Sie fuhr mit dem Aufzug in den obersten Stock. Dort residierte die internationale Werbeagentur, ihr Arbeitgeber.
Die junge, blonde Frau mit den langen Haaren war müde. In den vergangenen Wochen hatte sie sich mit Kollegen die Nächte um die Ohren geschlagen. Es ging um einen Großauftrag für eine internationale Reederei. Susi lehnte sich mit geschlossenen Augen an die Wand. Der Aufzug fuhr nach oben und öffnete sich.
»Glückwunsch! Bravo! Das war großartig! Das haben wir nur dir zu verdanken!«
Der Chef, die Abteilungsleiter und die Kollegen standen im großen eleganten Foyer und klatschten Beifall. Susi schaute sie an.
»Wir haben den Auftrag!« jubelte ihr Chef und drückte ihr einen Blumenstrauß in die Hand.
Mit der anderen Hand reichte ihr jemand ein Glas Champagner.
»Der Vertrag ist unterschrieben! Er kam vorab per Fax! Die Arbeitsplätze sind die nächsten fünf Jahre gesichert. Ach, was sage ich! Wir werden expandieren! Das hast du gut gemacht, Susi!«
In der Firma waren alle per du.
»Ich? Was habe ich gemacht? Wir haben alle daran gearbeitet!«
»Stimmt! Aber deine Argumente bei der Präsentation, die haben den Ausschlag geben. Der Reeder hat selbst angerufen und es mir erzählt. Er ist sehr angetan von dir. Wörtlich sagte er: ›Du vereinigst Verstand mit Herz und Gefühl.‹ Er will, daß du die Kampagne leitest! Nur du! Ich kann es nur so beschreiben, Susi: Der alte Herr hat den Narren an dir gefressen.