Leni Behrendt Classic 54 – Liebesroman. Leni Behrendt

Leni Behrendt Classic 54 – Liebesroman - Leni Behrendt


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tion> Leni Behrendt Classic – 54 –

      Dem Kalender nach war es Frühlingsanfang, in der Natur jedoch noch tiefer Winter. Es schneite lustig und unaufhörlich in großen dichten Flocken. Blitzschnell setzten sich Millionen weißer Sternchen auf die Schutzscheibe des rasch dahinrollenden Autos, so daß die beiden Scheibenwischer es kaum schaffen konnten, die weißen Störenfriede hinwegzufegen. Dazu tobte ein Sturm, daß selbst der schwere Wagen nur mit Mühe die gerade Fahrtrichtung halten konnte.

      Dieses unvorschriftsmäßige Wetter war zwar nichts Ungewöhnliches in Ostpreußen: Man war daran gewöhnt, daß der Frühling immer auf sich warten ließ, manchmal sogar bis in den Mai hinein. Allein den Besitzer des eleganten Wagens schien das rauhe Wetter irgendwie zu beunruhigen; denn tiefe Besorgnis lag in seinem Blick, der immer wieder hinausschweifte. Fürchtete er sich etwa vor dem Schneetreiben?

      Er fürchtete sich tatsächlich, so sonderbar das auch anmuten mochte. Allerdings nicht für sich; er war an die rauhe Witterung gewöhnt. War in Norddeutschland geboren, als zweijähriger Knabe mit seinen Eltern nach Ostpreußen gekommen und dreiundzwanzig Jahre unausgesetzt dort geblieben.

      Wenn er sich jetzt vor dem rauhen Winter fürchtete, so geschah es um des neunjährigen Mädchens willen, das, fest in seinen Arm geschmiegt, mit nachtdunklen Augen in das weiße Flockengewirr hinaussah. Immer wieder ging des Mannes besorgter Blick zu dem schwarzen Lockenköpfchen hin.

      Jetzt wandte die Erzieherin sich den beiden hinter ihr Sitzenden zu, und ihre grauen Augen, das einzig Schöne an diesem unscheinbaren Menschenkind, ruhten mitleidig auf dem Gesicht des Mannes.

      »Sie machen sich wirklich zuviel unnötige Sorgen, Herr Uhde«, sagte sie in der ihr eigenen Ruhe, die immer so angenehm berührte. »Graziella ist kerngesund, wie die Untersuchung des Berliner Professors erwiesen hat; sie wird daher den Klimawechsel ohne Schaden überstehen. Zumal sie ja auf der langen Seereise und in Berlin schon andere Luft geatmet hat als in Brasilien.«

      »Ich wünschte, Sie behielten recht«, seufzte der Mann. »Sie wissen nicht, was mir das Kind bedeutet.«

      Doch, Fräulein Agathe wußte es. Sie war Zeuge der glücklichen Ehe gewesen, die Uhde mit Graziellas Mutter in Brasilien geführt hatte, nachdem sie durch den Tod ihres Mannes de Avido Witwe geworden war.

      Fräulein Agathe hatte die Bemühungen der Donna Elvira um den Deutschen miterlebt, von dem sein Onkel erzählt hatte, daß eine Frau ihn aus seiner Heimat vertrieben hätte und daß er diese Frau noch immer nicht vergessen könnte.

      Da hatte Donna Elvira mitleidig gelächelt. Den Mann wollte sie einmal sehen, der ihrer Schönheit und ihrem Charme nicht unterläge. – Tatsächlich war der blonde Deutsche ihr Gatte geworden, und sie hatte an seiner Seite das Glück gefunden, das sie schon immer ersehnt und erträumt hatte. Ob er jedoch restlos glücklich gewesen war, das hatte Fräulein Agathe nie ergründen können; dazu war der Mann zu beherrscht und verschlossen. Auf jeden Fall hatte er seine Frau verwöhnt und ihr jeden Wunsch erfüllt, und seine Trauer war tief und echt gewesen, als die glückselige Frau schon im zweiten halben Jahr ihrer Ehe von einer tückischen Krankheit dahingerafft wurde.

      Schwere Wochen und Monate waren gefolgt, in denen Fräulein Agathe der gute Geist des prunkvollen Hauses, das ohne die Herrin so öde und leer er­schien, wurde. Sie war es auch, die dem ruhelosen Mann geraten hatte, wieder in die Heimat zurückzukehren und so alles hinter sich zu lassen, was ihn peinigte und quälte. Das hatte er zuerst entschieden von sich gewiesen. Er wollte doch seine Stieftochter Graziella, das Vermächtnis der Toten, nicht zurücklassen, zumal das Kind mit seinem ganzen leidenschaftlichen Herzen an ihm hing. Und diese verzärtelte fremde Blume, das Kind spanischer Eltern, nach dem rauhen Norden zu verpflanzen, war ihm damals unmöglich erschienen. Aber als er erfuhr, daß das Rittergut, auf dem sein Vater Verwalter und später Inspektor gewesen war, zum Verkauf stände, war sein Freund, Rechtsanwalt Dr. Greißner, auf schnellstem Wege beauftragt worden, das Gut um jeden Preis für Uhde zu erwerben. Und als dann endlich die Nachricht von dem glücklichen Gutskauf gekommen war, da hatte der allzeit beherrschte Mann geweint wie ein Kind.

      Die Vorbereitungen zur Reise waren dann mit solcher Eile und Eindringlichkeit betrieben worden, als gälte es, keine einzige Stunde mehr zu versäumen. Die Erzieherin Fräulein Agathe und Otto Wicht, ein nach Brasilien ausgewanderter Deutscher, wurden mit hin­übergenommen.

      *

      Als das Auto in die mit Blutbuchen umsäumte Allee einbog, die zur Herrschaft Rotbuchen führte, lief ein junger Mann wie aufgescheucht kurz vor dem Wagen auf die andere Seite und verschwand hinter den dicken Stämmen.

      »Wer war das?« fragte Graziella.

      »Ich weiß es nicht, Liebling«, antwortete Uhde. »Es sah bald so aus, als ob er ein schlechtes Gewissen hätte.«

      Einige Minuten später hielt man vor dem Portal des Herrenhauses, an dem es von Menschen förmlich wimmelte.

      Die Beamten und Arbeiter, die Förster mit ihren Gehilfen, alle waren hier versammelt, um den neuen Besitzer zu empfangen. Selbst der Lehrer mit seiner kleinen Gutsschule fehlte nicht.

      Da sah er es wieder, das Herrenhaus von Rotbuchen, das er stets mit ehrfurchtsvoller Scheu betrachtet hatte und das ihm als schönstes und vornehmstes Haus weit und breit erschienen war. Und jetzt sollte er der Herr in diesem Haus sein, das er einst nur bei besonderen Anlässen und nie ohne Herzklopfen betreten hatte? Das war ein Gedanke, an den er sich erst gewöhnen mußte.

      Langsam stieg er, Graziella an der Hand, die Freitreppe empor und kam in die hohe weite Halle, die er als Knabe immer mit einem so feierlichen Gefühl betreten hatte, als ginge er in die Kirche.

      Tief ergriffen streckte er der treuen Tante Mienchen, die mitten in der Halle stand, die Hand entgegen. Sie war in seinem Leben gewesen, solange er denken konnte. Hatte als treue, selbstlose Gehilfin seiner Mutter zur Seite gestanden und war nach seines Vaters Tode in ein Stift gegangen.

      Uhde hatte sie von Brasilien aus schriftlich gebeten, nach Rotbuchen zu kommen und seinem Hause vorzustehen. Doch als er sie jetzt vor sich sah, klein und unscheinbar, ängstlich und scheu, da zweifelte er, daß das gute Mienchen die rechte Repräsentantin seines Hauses sein würde.

      »Auf ein glückliches Leben in Deutschland, Tante Mienchen.« Er stellte Graziella und Agathe vor. – »Und nun, Tante Mienchen, zeigst du uns vielleicht einmal das ganze Haus.«

      Freudig ging Tante Mienchen voran, und Uhde folgte mit Graziella und ihrer Erzieherin.

      Es war wirklich alles so eingerichtet, wie er es von Brasilien aus angeordnet hatte. Das hatte sich ja leicht machen lassen, weil ihm die Räume des Hauses genau bekannt waren. Und selbst er, der doch im Hause seiner Frau von Pracht und Schönheit umgeben gewesen war, fand an seinem neuen Hause nichts auszusetzen.

      »Das war hier vielleicht ein Wirrwarr!« erzählte Mienchen. »Sogar ein Architekt war hier, der das Haus eingerichtet hat. Das muß ja ein sündhaftes Geld gekostet haben! Hast du dabei auch keine Schulden gemacht, Olaf?«

      Er stritt das belustigt ab, und selbst das stille Fräulein Agathe konnte ein Lächeln nicht unterdrücken bei der Zumutung, daß der Erbe der Donna Elvira bei der Einrichtung eines Landhauses Schulden gemacht haben könnte.

      »Na, Prinzeßchen, alles zu deiner Zufriedenheit, hm? Gefällt es dir?« wandte er sich an Graziella.

      »Oh, Papi, sehr! Ich möchte hier nie wieder fort. Hier ist es noch schöner als bei uns.«

      »Wir sind hier bei uns, mein Kleines. Hier ist deine zweite Heimat.«

      »Und meine erste?«

      »Ist die Heimat deiner Mutter, mein Kind.«

      »Die lebt aber nicht mehr – und du lebst. Also ist dieses meine Heimat. Von der anderen will ich nichts wissen.«

      »Das kann ja gut werden!« seufzte er halb bestürzt, halb erheitert auf. »Doch darüber wollen wir uns jetzt nicht den Kopf zerbrechen. Vor allen Dingen wollen wir uns zuerst einmal umkleiden und dann feststellen, was für ein Festessen Tante Mienchen uns anrichten lassen wird. Aber noch vor der Mahlzeit möchte ich mir meine Arbeit etwas ansehen.«

      Er hieß Fräulein Agathe und Graziella,


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