Schiller: Wilhelm Tell. Friedrich Schiller
Krieg, der ungeheure, brennt es nieder.
GERTRUD: Wüsst ich mein Herz an zeitlich Gut gefesselt,
Den Brand wärf ich hinein mit eigner Hand.
STAUFFACHER:
Du glaubst an Menschlichkeit! Es schont der Krieg
Auch nicht das zarte Kindlein in der Wiege.
GERTRUD: Die Unschuld hat im Himmel einen Freund!
– Sieh vorwärts, Werner, und nicht hinter dich!
STAUFFACHER:
Wir Männer können tapfer fechtend sterben,
Welch Schicksal aber wird das eure sein?
GERTRUD:
Die letzte Wahl steht auch dem Schwächsten offen,
Ein Sprung von dieser Brücke macht mich frei.
STAUFFACHER (stürzt in ihre Arme):
Wer solch ein Herz an seinen Busen drückt,
Der kann für Herd und Hof mit Freuden fechten,
Und keines Königs Heermacht fürchtet er –
Nach Uri fahr ich stehnden Fußes gleich,
Dort lebt ein Gastfreund mir, Herr Walther Fürst,
Der über diese Zeiten denkt wie ich.
Auch find ich dort den edeln Bannerherrn
Von Attinghaus – obgleich von hohem Stamm
Liebt er das Volk und ehrt die alten Sitten.
Mit ihnen beiden pfleg ich Rats, wie man
Der Landesfeinde mutig sich erwehrt –
Leb wohl – und weil ich fern bin, führe du
Mit klugem Sinn das Regiment des Hauses –
Dem Pilger, der zum Gotteshause wallt,
Dem frommen Mönch, der für sein Kloster sammelt,
Gib reichlich und entlass ihn wohl gepflegt.
Stauffachers Haus verbirgt sich nicht. Zu äusserst
Am offnen Herweg steht’s, ein wirtlich Dach
Für alle Wandrer, die des Weges fahren.
Indem sie nach dem Hintergrunde abgehen, tritt Wilhelm Tell mit Baumgarten vorn auf die Szene.
TELL (zu Baumgarten):
Ihr habt jetzt meiner weiter nicht vonnöten,
Zu jenem Hause gehet ein, dort wohnt
Der Stauffacher, ein Vater der Bedrängten.
– Doch sieh, da ist er selber – Folgt mir, kommt!
(Gehen auf ihn zu, die Szene verwandelt sich.)
Schwört nicht zu Östreich unterwerft euch nicht Österreich
Wirtin Ehefrau; Hausherrin
Gebresten Gebrechen, Leid
Edelsitz Haus eines Adeligen
der Vogt mit seinen Reisigen der Verwalter (der Kantone Uri und Schwyz, Gessler) und seine berittenen Söldner
Lehen (vom Kaiser) verliehenes Land einschl. der dort lebenden Menschen. Diese mussten ihrem Herrn Steuern zahlen oder (Fron-)Dienste leisten
unterstehen sich zur Aufgabe machen
Ehewirt Ehemann
die Pergamente der alten Kaiser die Freiheitsbriefe, die die „Reichsunmittelbarkeit“ garantierten. D.h. die Kantone unterstanden direkt dem Kaiser, bzw. dem König, nicht jedoch anderen Fürsten, also auch nicht den Habsburgern
Biedermann ehrenwerter Mann
gebüßt hat hier: befriedigt hat
geheim sein verschwiegen sein
Dritte Szene
Öffentlicher Platz bei Altdorf.
Auf einer Anhöhe im Hintergrund sieht man eine Feste bauen, welche schon so weit gediehen, dass sich die Form des Ganzen darstellt. Die hintere Seite ist fertig, an der vordern wird eben gebaut, das Gerüste steht noch, an welchem die Werkleute auf und nieder steigen, auf dem höchsten Dach hängt der Schieferdecker. – Alles ist in Bewegung und Arbeit.
Fronvogt. Meister Steinmetz. Gesellen und Handlanger.
FRONVOGT (mit dem Stabe, treibt die Arbeiter):
Nicht lang gefeiert, frisch! Die Mauersteine
Herbei, den Kalk, den Mörtel zugefahren!
Wenn der Herr Landvogt kommt, dass er das Werk
Gewachsen sieht – Das schlendert wie die Schnecken.
(Zu zwei Handlangern, welche tragen.)
Heißt das geladen? Gleich das Doppelte!
Wie die Tagdiebe ihre Pflicht bestehlen!
ERSTER GESELL:
Das ist doch hart, dass wir die Steine selbst
Zu unserm Twing und Kerker sollen fahren!
FRONVOGT: Was murret ihr? Das ist ein schlechtes Volk,
Zu nichts anstellig als das Vieh zu melken,
Und faul herumzuschlendern auf den Bergen.
ALTER MANN (ruht aus): Ich kann nicht mehr.
FRONVOGT (schüttelt ihn): Frisch, Alter, an die Arbeit!
ERSTER GESELL:
Habt ihr denn gar kein Eingeweid, dass Ihr
Den Greis, der kaum sich selber schleppen kann,
Zum harten Frondienst treibt?
MEISTER STEINMETZ UND GESELLEN:
’s ist himmelschreiend!
FRONVOGT: Sorgt ihr für euch, ich tu, was meines Amts.