Der Drachenzahn. Wolf Awert

Der Drachenzahn - Wolf Awert


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um hinter ihr genug Platz zu finden. In ihrem Schatten war es so dunkel, dass es selbst für Elfenaugen schwierig war, noch etwas zu erkennen. Er spürte den Umrissen der Tür nach, suchte Klinke, Knopf, Angeln oder Zapfen. Es war eine Schiebetür mit einer schmalen Einbuchtung in der Oberfläche, die den Fingerspitzen gerade genug Halt gab, um sie zu bewegen. Ein Schloss fand er nicht. Das machte die Sache einfach. Er öffnete die Tür, betrat das kleine Nachbargeschäft, durchquerte es, gelangte zu einer Treppe im hintersten Raum und betrat die erste Stufe. Er hatte seinen Fuß ganz weit an der Seite der Stufe aufgesetzt, denn das Holz knarrte immer in der Mitte, wo es sich am meisten bog. Seine Hand betastete die zweite Stufe. Dann die dritte. Die zweite durfte er betreten, die dritte fühlte sich gefährlich an. Er würde sie auslassen. Jetzt die vierte.

      Lufthauch erreichte den ersten Absatz, drehte sich nach links und suchte nach der ersten Stufe der zweiten Treppe. Das Holz nahm Gewicht auf und – knurrte. Erschrocken trat er zurück. Ein zweiter Versuch. Stille. Er verlagerte sein Körpergewicht ganz langsam von seinem Standbein auf den vorderen Fuß, zu einem Viertel seines Gewichts, der Hälfte, drei … Ein Fauchen zerriss die Stille und eine riesige Hand ergriff seinen Körper. Unzählige Nadeln stachen Lufthauch in die Hand, als er sich mit dem Zauber der tausend Klingen wehrte. Sie zerschnitten die Luft um ihn herum und lähmten alles auf fünf Schritt. Sollte doch mit ihm ersticken, wer ihm da aufgelauert hatte.

      Seine Mutter sang ihm ein Lied, verstummte, eine Laute schlug drei Akkorde an, ein Vogel rief.

      „Geh aus meinem Kopf“, flüsterte Lufthauch.

      Die Musik summte einen Text. „Was macht ein Elf hier mitten in der Nacht?“

      Lufthauch versammelte alle Schutzmächte um sich. Doch die vermochten noch nicht einmal die kleine Flöte aus dem Takt zu bringen, geschweige denn die große Trommel und das Becken. Er musste beide Hände auf die Ohrmuscheln pressen, um den Schmerz in seinem Kopf zum Schweigen zu bringen. „Ich muss zu Tamalone“, presste er zwischen seinen Lippen hervor. „Sofort.“ Er krümmte sich zu einem Ball zusammen. Jetzt war er zwar eine leichte Beute für jedes Raubtier, das ihn ansprang, aber letztlich war es gleichgültig, ob es seinen Körper zerriss oder seinen Verstand. Er legte einen magischen Panzer um sich. Der Panzer zerbrach. Er wickelte sich in ein magisches Tuch, das nicht zerbrechen konnte, und das Tuch wurde lebendig und würgte ihn. „Freunde des Waldes“, dachte er und warf Schlingen aus Efeusträngen, dünnen Baumwurzeln und Lianen. Ein Fauchen in der Dunkelheit zeigte ihm, dass er etwas erreicht hatte, aber sein Triumph war nur von kurzer Dauer. Dann kam die Musik wieder zurück. Lauter kleine, lustige Melodien mit Versen unterlegt, mit kleinen Spitzen, die stachen, mit Geklingel und einem Beckenschlag, der sein Gehirn vibrieren ließ einen Reispudding.

      „Zehn, elf, zwölf,

      was will der Elf?

      Fragt er mich, ob sie hier wohne,

      meine Tama Tamalone.“

      Inzwischen war Lufthauch jede Entdeckungsgefahr egal. Mochte doch das ganze Haus aufwachen. Er öffnete seinen Mund zu einem Schrei. Wenn es ihm gelänge Tamalone zu wecken, würde die vielleicht … „Ta…“ Ein kläglich erstickter Laut. Mehr brachte er nicht hervor.

      „Elf, sei nun still,

      weil ich es so will.

      Du hast nicht bedacht,

      ich seh‘ in der Nacht

      viel besser als du.

      Drum gib endlich Ruh‘.

      Sei lieb jetzt und brav.

      Und schlaf endlich. Schlaf!“

      Es war ein Chor aus vielen Stimmen, die Lufthauch in den Schlaf sangen. Trost und Friede versprachen sie ihm und waren so ganz anders als die magischen Klänge, die ihn heimgesucht hatten. Dann hörte und spürte er nichts mehr, und alles um ihn herum wurde schwarz.

      Als er wieder aufwachte, lag er immer noch auf der Treppe. Das fremde Wesen mit der fremden Magie war verschwunden. Ein dämmriger Lichtschein drang unter einer Tür heraus und wies ihm den Weg nach oben. Lufthauch hoffte, dass Tamalone hinter dieser Tür wohnte. Mühsam stemmte er sich hoch. Das Geländer knarrte. Die nächste Treppenstufe knarrte auch. Es kam nicht mehr darauf an.

      Er klopfte leise an die Tür und drückte die Klinke herunter, ohne auf ein Willkommen zu warten. Der Raum war von einer einzigen Lampe beleuchtet. Das Bett war leer. Auf einem einzelnen Stuhl an einem Tisch saß ein Mann.

      „Kommt herein und sagt, was Ihr zu sagen habt.“ Die Stimme war dunkel und warm. Und doch klang sie etwas heiser, als wäre sie nach einem langen Schweigegelübde wieder aufgeweckt worden. „Ich heiße Dorman, bin ein Wissender, und Tamalone steht unter meinem …“ Der Mann zögerte, als müsse er das Wort erst suchen. „… Schirm“, sagte er dann, und Lufthauch war sich nicht sicher, ob er verstand, was der Fremde meinte.

      „Mein Name ist Lufthauch, und ich muss mit Tamalone sprechen.“

      In dem gedämpften Licht war es nicht einfach, Einzelheiten zu erkennen, aber seine Elfenaugen halfen ihm. Der Mann war ohne Zweifel ein Mensch, aber zu viele Dinge störten das Bild, ohne dass Lufthauch sagen konnte, welche das waren. Der Mann war kräftig, aber dieser Eindruck stammte nicht von vielen Muskeln oder geradem Wuchs. Er wirkte wuchtig, kompakt, hart. Nicht die Härte von Ecken und Kanten, sondern etwas von dem, was die Eiche hart machte und der Kiefer fehlte. Es lag eine Aura von Magie um ihn, die Menschen nicht zu eigen war. Ein Blutschänder, was sonst. Aber wenn er ein Blutschänder war, dann war der Elfeneinfluss sehr gering und außerdem … Elfenmagie kannte er. Das hier war keine.

      „Ihr habt jetzt lange genug geschaut. Sagt mir, was Ihr von Tamalone wollt.“

      „Das werde ich nur ihr mitteilen.“

      „Sie ist nicht hier, und deshalb werdet Ihr mit mir sprechen müssen. Eure erste Aufgabe ist es, mir bei einer Entscheidung zu helfen, die ich noch nicht getroffen habe. Werde ich Euch erlauben, diesen Platz wieder zu verlassen, oder werdet Ihr den Rest Eures Lebens hier verbringen müssen?“

      „Macht Euch darüber keine Gedanken. Ich verlasse diesen Ort nicht eher, bevor ich nicht mit Tamalone gesprochen habe.“ Dieser Dorman war älter als er, hässlich wie jeder Mensch und Herr über eine Magie, die ihm zwar bekannt vorkam, aber doch fremd war. Es würde nicht leicht werden, ihn von irgendetwas zu überzeugen.

      „Beantwortet mir zwei Fragen zu meiner Zufriedenheit und ich lasse Euch gehen. Sagt mir, wer die Herren dieser Stadt sind und wer in diesem Viertel tun und lassen kann, was er will?“

      Mit allem Möglichen hatte Lufthauch gerechnet, aber nicht mit diesen beiden Fragen. Sie waren leicht zu beantworten, aber ihm gefiel die Art nicht, in der sie gestellt worden waren. So bedächtig, als stünde viel mehr dahinter, als sich an der Oberfläche zeigte. Deshalb zögerte er ein wenig, bevor er antwortete. „Diese Stadt ist keine Stadt, sondern eine Quarantänestation der Wehrhüter, die wiederum unter dem Kommando des Großen Elfenrates steht. So sind die Waldelfen auch die Herren dieser Stadt.“

      „Diese Quarantänestation ist zu offen, um für eine Quarantäne zu sorgen. Der erste Teil Eurer Antwort ist also bereits gelogen. Und wollte ich dem zweiten Teil glauben, müsste ich verstehen, wie man eine Stadt beherrscht, wenn man sich nicht in ihr aufhält. Nach einem solchen Beginn interessiert mich Eure Antwort auf meine zweite Frage keinen Deut mehr.“

      „Das werde ich dem Elfenrat berichten. Wahrscheinlich wird er ein paar Dinge ändern müssen. In der Tat gibt es einen kleinen Kreis von Elfen und Elfenmischlingen, sie nennen sich Komposits, die das Leben in dieser Stadt organisieren. Aber für alles, was sie beschließen, brauchen sie die Erlaubnis der Wehrhüter.“

      „Und die holen sie täglich ein.“

      „Äh, nein, nicht wirklich.“

      „Ich bin gespannt darauf, wann Ihr endlich anfangt, mir eine Antwort zu geben.“

      Lufthauch wusste, wenn er noch einen letzten Rest an Glaubwürdigkeit behalten wollte, musste er andere Antworten finden. „Ich bin ein Waldelf und in offizieller


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