Der Drachenzahn. Wolf Awert
seufzte: „Nein, ich würde es nicht tun, obwohl ich es könnte, und ob die Elfen ihn befolgen würden, käme auf den Befehl an.“
„Gut, jetzt bin ich mir sicher, dass Ihr nicht der Herr dieser Stadt seid. Aber das hatte ich bereits vermutet, als Ihr die Treppen heraufgeschlichen kamt.“
Lufthauch wischte sich über die Stirn. Zu seiner Überraschung war sie klatschnass. „Ich befürchte, ich habe Euren Spott verdient. Die Waldelfen sind die Herren der Stadt, aber sie üben ihre Herrschaft nicht aus. Es gibt einen Stadtelfen hier. Sein Name ist Steindorn. Meines Wissens hält er alle Fäden in der Hand.“
„Und er ist auch das Wesen, das in diesem Viertel tun und lassen kann, was es will?“
„Ich begehe nicht denselben Fehler zweimal. Ich hoffe, dass meine Antwort dieses Mal befriedigender ist. Es gibt Gewohnheitsrechte in diesem Viertel, die stärker sind als Recht und Gesetz. Niemand kann hier tun und lassen, was er will, aber einige tun mehr als andere.“
„Das war Euer erster vernünftiger Satz, Lufthauch von den Waldelfen. Wer sind diese Leute“
„Der Anführer der Bürgerwehr und seine Leute. Die Bürgerwehr ist …“
„Danke, ich weiß, wer die Bürgerwehr ist.“
Lufthauch fluchte in sich hinein. Ich muss die Kontrolle über diese Unterhaltung wiedererlangen. Aber wie?
„Ich warte.“ Diese Stimme kannte keine Leidenschaft, keine Angst, keinen Ärger. Sie klang ganz und gar nicht wie die eines Menschen. Eher als ob ein Elf spräche, aber dieser Dorman war selbst einem Sumpfwasser an innerer Kraft überlegen.
„Die Herren sind die Patrouillen der Bürgerwehr im Auftrag der Elfenführung. Dann der König, selbstverständlich. So nennen die Leute hier den reichsten Kaufmann. Sie haben die Macht in diesem Viertel.“
„Und das sind alle?“
Lufthauch nickte.
„Welche von den drei Gruppen würde eine ganze Horde Schläger ausschicken, die unbehelligt durch die Straßen rennt?“
Lufthauch schluckte. „Niemand. Aber das sind Verbrecher. Die zählen nicht.“
„Ihr seid ein Idiot, Herr Waldelf. Wer eine ganze Horde Schläger und bewaffnete Mörder offen durch die Straßen schicken kann, ist der Einzige, der zählt.“
„Die Bürgerwehr würde sie sofort vertreiben.“
„Mag sein, aber Ihr habt etwas vergessen.“
Lufthauch schwieg. Dorman hatte recht, er war ein Idiot.
„Die Bürgerwehr kam nicht! Wer also kann hier tun und lassen, was er will?“
„Der Mann, von dem Ihr sprecht, heißt Schlangenauge.“
„Wo wohnt er?“
„Ich weiß es nicht. Aber ich kenne jemanden, der es uns sagen kann.“
Ein kurzes Lächeln huschte über Dormans Gesicht. „Ihr habt mich soeben überzeugt, Euch laufen zu lassen. Aber ich werde Euch begleiten. Einer muss ja auf Euch aufpassen. Wie habt Ihr nur bisher in diesem Viertel überlebt?“
Tamalone
Eine raue Hand riss Tama den Mantel vom Kopf. Sie blinzelte in ein Herdfeuer. Daneben saß ein Mann, breiter als hoch und mit einem rasierten Schädel. Auf seiner Glatze spiegelten sich die Flammen des Feuers. Alle anderen Gestalten erschienen neben ihm wie schwarze Schatten ohne Substanz.
„Ah, das Mädchen mit dem Drachenzahn.“
Tama zuckte zusammen. Gerade noch hilflos herumgestoßen, ohne Orientierung und ohne etwas zu sehen, versuchte sie jetzt panisch, Sinn und Ordnung in die Schatten zu bringen. Doch die Wirklichkeit lief ihr davon und ließ nichts zurück als lähmende Angst. Sie schloss die Augen und sperrte den Schrecken aus. Dann atmete sie tief ein. Mit dem Atemwind die Angst wegzublasen half. Die Panik schrumpfte. Jetzt war sie bereit zu handeln. Die Übermacht ihrer Entführer brauchte sie nicht zu schrecken. Sie hatte nur einen einzigen ernstzunehmenden Gegner. Ohne ihre sonst übliche Vorsicht rammte sie sich einen Weg in das Gehirn des Glatzkopfs. Sollte er ruhig merken, dass er angegriffen wurde. Vielleicht würde ihn der Respekt vor ihren Fähigkeiten zum Nachdenken bringen. „Das Mädchen mit der Elfenmagie“, antwortete sie.
Was war das denn? Das konnte nicht sein. Der Glatzkopf blieb ungerührt wie ein von einer Felswand abgesprengter Felsbrocken, der auf den großen Regen wartete, damit er seine Reise fortsetzen konnte. Tama musste selbst über das Bild in ihrem Kopf lachen. Es löste sich langsam auf, während sie noch darüber nachdachte. Aber der Eindruck von Felsen und Härte blieb. Ein Steinschädel.
„Woher hast du den Zahn?“
„Das willst du nicht wissen“, antwortete Tama mit leiser, aber fester Stimme. „Es würde dich umbringen“ - … umbringen, - … umbringen. Das Echo unter der hohen Decke des Lagerraums waberte durch die Stille und ließ Schlangenauges Männer unruhig werden. Das war nicht gut, denn seine Männer durften sich nicht einmischen. Nicht mit der Kraft ihrer Arme, aber auch nicht mit Worten oder Rufen, denn Worte sind Gedanken und zu viele Gedanken auf einmal lassen sich nicht bändigen. Der Steinschädel war bereits hart genug. Tama hatte jedes Wort, das sie sprach, mit einem Gedanken begleitet, ihn gegen den Fels gehämmert und dafür gesorgt, dass er sich hinter der glänzenden Stirn ausbreitete.
„Du wolltest eine Scheibe dieses Zahns verkaufen. Ich gehe davon aus, dass es dir gelungen ist. Aber …“
Tama suchte nach dem Ort, wo Glatzkopfs Gedanken entstanden. Es waren gleich mehrere, eng benachbart und mit einigen Stellen verbunden, die den Gedanken Farbe schenkten. So wie das dunkle Violett der Drohung.
„…wo ist der Rest?“
Tama entfernte das Violett, ersetzte es durch ein kindliches Rosa der Neugier. Die Männer begannen zu tuscheln. Sie waren es gewohnt, dass Schlangenauge einen Wunsch nur auszusprechen brauchte, damit er erfüllt wurde. Jetzt aber hörten sie, wie die Stimme ihres Anführers sich veränderte.
„Gib ihn mir.“
Tama zog sich in das Dunkel zurück, suchte nach dem Licht der Vernunft um Schlangenauges Gestalt. Es war leicht zu finden, aber es leuchtete nicht heller als bei seinen Männern. Nur eine besondere Kraft in den Augen, die an ihrer Willensstärke saugte und darauf lauerte, losgelassen zu werden. Doch das Bild des Felsen kam von einem anderen Ort.
„Vielleicht.“
Da war eine Verbindung zum linken Arm. Nein, zur linken Hand. Finger. Kleiner Finger. Ring. Schlangenauge Steinschädel trug ein Artefakt.
„Gib mir den Ring und ich sage dir, wo der Drachenzahn ist.“
„Nein!“
Kriegsglocken läuteten in Tamas Gehirn, so laut schlug dieses eine Wort gegen sie an.
„Gib mir den Zahn. Jetzt.“
Was hatte dieser Mann für eine Kraft. War das nur sein Ring oder verfügte er über eine eigene Magie? Wenn nicht, dann musste der Ring ein Vermögen wert sein. Mutter, hilf mir. Tama beschwor ein Bild von Mutter, hoffte auf einen Magiestoß, eine von ihr noch unentdeckte Kraft oder einen Schild, der sie schützte. Mutters Bild stand leibhaftig vor ihren Augen. Schlank und doch kräftig. Ein Mensch, keine Elfe. Gut roch sie, weich waren ihr Arme, als sie diese schützend um ihre Tochter legte, und Tama spürte all ihre Liebe und Güte. Ihre Stärke und sogar ihr Wissen. Aber keine Magie.
„Wird’s bald?“
Tama warf Schlangenauge Steinschädel entgegen, was sie hatte. Ihren Willen und die von Mutter geliehene Liebe. „Gib mir deine Hand, mein Sohn“, flüsterte sie dem Mann zu, der gut ihr Vater hätte sein können. „Gib mir die Linke, die Hand des Herzen. Nicht die Rechte, die die Waffe schwingt.“
Durch den Körper des bulligen