Bittere Kapern. Peter Pachel

Bittere Kapern - Peter Pachel


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schnäuzte sich in ein Taschentuch.

      »Gibt es denn weitere Angehörige, die uns weiterhelfen können?«

      »Die gab es, aber Ihre Schwester ist letztes Jahr verstorben.«

      »Und sonst? Irgendwelche Bekannten, Freunde?«

      »Ich weiß es nicht! Das kommt alles so plötzlich.« Die Stimme der jungen Frau wurde lauter.

      »In der Pension, in der ihre Mutter gewohnt hat, haben wir auf dem Nachttisch das Foto einer jungen Frau gefunden. Ich würde gerne wissen, ob Sie das sind?«

      »Was?« Julia Moretti stöhnte laut auf.

      »Wir können Ihnen das Foto auf ihr Handy senden, dann können Sie sich dazu äußern. Kennen Sie jemanden, der uns bei den anderen Fragen weiterhelfen könnte?«

      »Vielleicht eine Nachbarin, mit der meine Mutter seit vielen Jahren eng befreundet ist«, fiel Julia jetzt ein und gab Katharina einen Namen durch. »Wie geht es denn jetzt weiter?« Die Hamburgerin hatte sich wieder etwas gefangen.

      »Sobald die Leiche freigegeben wird, womit ich im Laufe des Tages rechne, müssen wir wissen, wohin wir ihre Mutter überführen sollen. Oder wünschen Sie eine Bestattung vor Ort?« Die Kommissarin musste diese Frage stellen, da man die Tote in der Gerichtsmedizin in Athen bekanntlich schnell loswerden wollte. »Diese Entscheidung müssen Sie als engste Angehörige treffen.«

      »Oh, Gott«, entwich es der Hamburgerin und die Kommissarin hörte sie stoßweise atmen.

      »Lassen Sie mir einen Tag Zeit. Das Ganze kommt vollkommen unerwartet«, antwortete sie mit weinerlicher Stimme. »Ich muss darüber nachdenken. Ich melde mich bei Ihnen.«

      »Gut, sobald wir den Obduktionsbericht haben, melden wir uns.«

      Katharina hatte aufgelegt.

      Betroffenheit spiegelte sich in den Gesichtern ihres Teams, nachdem Katharina die wesentlichen Passagen des Gesprächs für alle übersetzt hatte. Die traurige Stimmung des Telefonats hatte sich auch ohne den Text zu verstehen auf die ganze Truppe übertragen.

      »Die scheinen, nicht das beste Verhältnis gehabt zu haben«, interpretierte Konstantinos folgerichtig. »Sie wusste ja nichts von ihrer Mutter.«

      »Kommt in den besten Familien vor, ist nicht überall nur Friede, Freude Eierkuchen.« Takis war da ganz realistisch.

      »Und dann noch das ganze Theater mit der Überführung, das kann einen Angehörigen schon umhauen.« Katharina tat die Frau leid.

      Kurz nach Mittag hatten sie schließlich Klarheit zu den Todesumständen von Eva Moretti-Bach. Angeliki bestätigte ihnen den Tod durch Ertrinken. Spuren, die auf Fremdeinwirkung hinwiesen, hatte sie keine gefunden. Der Todeszeitpunkt wurde von ihr auf zwischen 18:00 und 20:00 Uhr am Vorabend des Auffindens der Toten geschätzt. Die Frau war also bei ihrer Entdeckung seit zwölf bis vierzehn Stunden tot. Die Leiche wurde somit freigegeben und wartete auf den Abtransport zu ihrer letzten Ruhestätte.

      Bei der Kommissarin stellte sich sogleich ein Gefühl der Leere ein. So schnell konnte sie sich mit dem Ergebnis aus Athen nicht abfinden. Sie kam ins Grübeln und verfolgte die restliche Dienstbesprechung nur unkonzentriert, weshalb Takis Katharinas Zweifel recht schnell bemerkte.

      »Du bist mit dem Bericht aus Athen alles andere als glücklich?«

      »Gut erkannt.« Sie war immer wieder über Takis feinfühlige Art überrascht.

      »Mein Bauch sagt mir, dass an dem Fall irgendetwas nicht stimmt. Und meistens hat er recht.«

      »Geht mir genauso«, entgegnete Filippos.

      »Das Rückflugticket und der fehlende Abschiedsbrief lassen mich nicht zur Ruhe kommen«, konkretisierte die Kommissarin ihr Gefühl.

      »Und dann das Foto auf dem Nachttisch«, ergänzte Filippos.

      »Das muss die Tochter sein. Laut Melderegister hatte die Tote nur ein Kind.«

      »Und? Nimmt man das Foto eines Menschen mit in die Ferien, zudem man keinen Kontakt mehr hat?« Katharina hatte die Frage gestellt.

      »Wohl kaum«, schaltete sich Xenia ein. »Es sei denn, das Verhältnis wurde von Seiten der Tochter beendet und die Mutter hat darunter stark gelitten.«

      »Könnte sein, aber dann hinterlasse ich der geliebten Person ein paar Zeilen, wenn ich mich umbringe,« befand die Kommissarin.

      »Vielleicht war es nur ein Unfall und sie wurde ins Meer gezogen«, meldete sich erstmalig Konstantinos zu dem Fall.

      »Wohl kaum, wir hatten in den letzten Tagen zwar eine starke Brandung, aber die Wellen sind nicht so hoch, dass sie eine Spaziergängerin ins Meer reißen«, wiegelte Takis ab. »Was hat die Frau überhaupt dazu bewogen, ihren Urlaub in Ambelás zu verbringen? Diese Frage beschäftigt mich schon die ganze Zeit«, setzte er noch nach.

      »Vielleicht kann uns ihre Nachbarin dazu etwas sagen.« Katharina zeigte auf den Namen, den Julia Moretti ihr genannt hatte. »Über sie kommen wir hoffentlich auch an den Hausarzt der Toten.«

      Viele Fragen blieben unbeantwortet und Unbehagen hing wie eine dunkle Wolke im Raum.

      CHRISTOS KENTARIS

      AMBELÀS, PAROS, SÜDLICHE ÄGÄIS, SEPTEMBER 2016

      Christos Kentaris saß auf einer der verwitterten Holzbänke im Hafenrondell von Ambelás und beobachtete die unruhig in der Dünung schaukelnden Boote. Darunter seine Stella 2, ein sieben Meter langes Motorboot, das nach seiner geliebten Tochter benannt wurde und an dem sein Herz hing. Der in die Jahre gekommene Kahn, ein Verdränger vom Typ Nordfjord 22, war sein zweiter Rückzugsort, wenn er Ruhe brauchte und ihm nach Alleinsein zu Mute war. Gerade hatte er sich vergewissert, dass die alte Lady gut vertäut war, eine notwendige Sicherheitsmaßnahme, denn der Wind sollte einige Tage andauern und da tat eine Kontrolle Not. Erst gestern war er spontan mit dem Boot zu einer Fahrt aufgebrochen. Er wolle die ruhige See nutzen, hatte er Maria mitgeteilt, nachdem im Wetterbericht starker Wind für die nächsten Tage angekündigt wurde. Spät, erst nach Einbruch der Dunkelheit, war er dann wortkarg zurückgekehrt.

      Das einfache Hafenbecken, welches in unmittelbarer Nähe zum Dorfstrand von Ambelás lag, wurde mit einer langgezogenen Aufschüttung von Felsblöcken gegen die starke Brandung geschützt. Sie dienten als Wellenbrecher, um den anrollenden Brechern Paroli bieten zu können. Dahinter lag die eigentliche Hafenzone. Die wenigen, festen Liegeplätze waren heiß begehrt und den wenigen Dorfbewohnern, die seit vielen Jahren in Ambelás lebten, vorbehalten. Christos genoss die Ruhe. Jetzt, zum Ende der Saison, konnte er endlich wieder die Stille des Ortes genießen und in der Abenddämmerung träumerisch seinen Blick übers Meer nach Naxos schweifen lassen. Außerhalb der Ferienzeit war er hier häufig anzutreffen. Stillschweigend saß er dann in der untergehenden Sonne, bis die Konturen von Naxos langsam in der anbrechenden Dunkelheit verwischten und nur noch ein funkelndes Glitzermeer aus der Ferne zu erkennen war. Im Juli und August verweilte er dagegen selten im Hafen, meistens nur, wenn er auf sein Boot wollte, um eine Spritztour mit seiner Tochter zu unternehmen oder er die Flucht hinaus aufs Meer suchte.

      Schon als Stella noch ein Kind war, hatten Vater und Tochter ausgiebige Touren unternommen. In der kleinen Kajüte gab es zwei bequeme Schlafplätze und wenn ihnen danach war, hatten sie sich eine geschützte Bucht gesucht und auf dem Wasser übernachtet. Der Kahn besaß sogar einen kleinen Kühlschrank, einen Campingkocher und eine Spüle mit Wasserpumpe unter dem Fahrersitz. Stella war jedes Mal aufgeregt gewesen, sobald sie zu einer Reise aufs Meer aufgebrochen waren. Das war viele Jahre her. Sein Mädchen lebte mittlerweile in Athen, besuchte ihre Eltern aber regelmäßig, so unternahm sie auch heute noch Spritztouren mit ihrem Vater hinaus auf die See. Für die junge Bankmanagerin aus der Hauptstadt eine willkommene Entspannung zu ihrem aufreibenden Job. Losgelöst vom Land, nur die Weite der See vor Augen, konnte sie abschalten und Luft holen in diesen krisengeschüttelten Zeiten. Ihren Vater verstand sie


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