Bittere Kapern. Peter Pachel
mit anderen Köstlichkeiten aus dem Heimatdorf ihres Vaters zugeschickt bekam. Ihre Tante ließ es sich nicht nehmen, alle sechs bis acht Wochen ein Paket mit eingelegtem Gemüse, Käse, Wurstwaren, handgemachten Nudeln und stets einem Glas Kapern zu schicken. Damit hatte sie nach dem Tod ihres Bruders begonnen, um den Kontakt zu Julia nicht ganz zu verlieren und ihre Nichte sich stets an den italienischen Teil der Familie erinnerte. In Julias Freundeskreis war das Paket von Tante Carmen mittlerweile eine feste Größe, nach Erhalt des Fresspakets lud sie meistens zu einem opulenten Essen ein.
Ein frisches Baguette, das sie sich in der Mittagspause gekauft hatte, rundete ihr Abendessen ab. Es steckte noch in einer Papiertüte in ihrer Tasche. Sie lief zurück in den Flur, um das Brot zu holen, gleichzeitig kramte sie aus den Untiefen ihrer Handtasche das Handy hervor. Augenblicklich erschien die Anrufliste mit der ihr unbekannten Nummer. Der fremde Anrufer war hartnäckig gewesen, er hatte weitere Versuche unternommen sie zu erreichen, das hatte sie gar nicht mitbekommen. Zusätzlich wurde auf dem Display der Eingang von mehreren Sprachnachrichten angezeigt. Mit dem Telefon am Ohr ging sie zurück in die Küche, steckte ihren Zeigefinger in die frisch angerührte Soße und schleckte sie genüsslich ab, während sie ihre Mailbox abhörte. Markus hatte gleich zwei Mitteilungen hinterlassen, er war beruflich noch in Moskau unterwegs und schien, Langeweile zu haben. Sie würde ihn später zurückrufen. Eine Freundin fragte, ob sie am Wochenende mit ihr ins Theater käme, auch das wollte sie nach dem Essen klären. Die letzte Nachricht machte sie neugierig, es musste der ausländische Anrufer sein. Gespannt drückte sie die Abhörtaste, ihre Anspannung stieg, als sie hörte, dass es sich um eine Frau von der griechischen Polizei handelte. Eine Katharina Waldmann, Kriminalhauptkommissarin, bat dringend um Rückruf. Hektisch suchte sie nach einem Stift und einem Stück Papier, um sich die Nummer zu notieren, dafür hörte sie die Mitteilung mehrmals ab. Die Stimme der Anruferin klang angenehm warm, aber in gewisser Weise auch bestimmt. Julia Moretti spürte, dass es sich um eine ernste Angelegenheit handeln musste. Instinktiv schaute sie auf ihre Uhr, es war fast zehn, zu spät um zurückzurufen.
Was wollte die Polizei in Griechenland von ihr? Plötzlich kamen ihr Zweifel, die Frau hatte in nahezu akzentfreiem Deutsch die Botschaft hinterlassen, war das Ganze vielleicht ein Fake Anruf? Sie war viel gereist in den letzten Wochen, aber nach Griechenland konnte sie trotz intensiven Überlegungen keinerlei Verbindung herstellen. Vielleicht handelte es sich auch nur um eine Verwechslung? Grübelnd überlegte sie, was sie tun sollte, sie verspürte eine aufkommende Unruhe, die die Sprachnachricht bei ihr ausgelöst hatte. In ihrem Magen meldete sich ihr Hunger zurück, jetzt musste sie zunächst eine Kleinigkeit essen. Sie legte das Telefon zur Seite und entschied, die Frau am nächsten Morgen zurückzurufen.
KATHARINA WALDMANN
PARIKÍA, PAROS, SÜDLICHE ÄGÄIS, SEPTEMBER 2016
Am darauffolgenden Morgen hatte Katharina eine außerplanmäßige Dienstbesprechung anberaumt, ihr Team erschien pünktlich in der Polizeidienststelle in Parikía. Die Entdeckung der angespülten Frauenleiche war zwar nur ein Punkt von vielen auf der Tagesordnung, aber er sorgte zweifelsohne für die meisten Diskussionen. Filippos zeigte der Mannschaft die Fotos vom Fundort der Toten, damit sich alle ein Bild von den Umständen machen konnten.
Xenia schauderte, als sie die Nahaufnahme vom grell geschminkten Gesicht der Toten sah. »So geht man vielleicht auf eine Party, aber doch nicht ins Wasser«, gab sie unverblümt zu verstehen, nachdem die Kommissarin den Verdacht eines Suizids geäußert hatte.
»Nicht weit von der Küste herrscht in Ambelàs eine starke, ablandige Strömung«, wusste Takis zu berichten, der jeden Winkel der Insel seit Kindheitstagen kannte.
»Was willst du damit sagen?«
»Sie muss in der Nähe des Strands ertrunken sein, ansonsten hätte sie der Sog aufs Meer hinausgezogen.«
Katharina machte eine Notiz auf der weißen Wandtafel. Dort standen bereits der Name und die Adresse der Frau. »Das würde auf einen Selbstmord hindeuten und …«, sie ergänzte auf der Tafel die vorgefundenen Medikamente, »insbesondere, wenn sie, wie wir vermuten, unheilbar krank war.«
»Ja, das könnte passen. Nur, warum gibt es dann keinen Abschiedsbrief? Und warum in einem abgeschiedenen Nest in Griechenland, wo sie keinen Menschen kannte? Die Pensionswirtin hatte sie ›eine Neue‹ genannt«, sagte Filippos. Er sah müde und abgespannt aus. In seiner freien Zeit war er vollauf mit handwerklichen Tätigkeiten beschäftigt. In ihrem neuen Haus gab es einiges zu tun und zur Taufe sollte das Gröbste erledigt sein, zumal mehrere Verwandte bei ihnen übernachten würden.
»Wer weiß schon, was in solchen Menschen vorgeht«, kommentierte Spyros die Situation.
»Lasst uns den Obduktionsbericht aus Athen abwarten. Wann wollte Angeliki sich melden?«
»Noch heute im Laufe des Nachmittags, das ist eine Routineuntersuchung für die Gerichtsmedizin. Sie wollte es dazwischenschieben.« Die Kommissarin hatte gestern Abend mit ihrer Freundin und ehemaligen Kollegin aus Athen telefoniert und die Gerichtsmedizinerin um schnelle Ergebnisse gebeten.
Inmitten ihrer Runde erklang das Telefon. Katharina hatte bereits ungeduldig und mit einem unangenehmen Grummeln im Bauch auf den Anruf gewartet. Nahen Angehörigen den Tod eines Mitmenschen mitzuteilen, gehörte zum schwierigsten Teil ihrer Arbeit, an den sie sich nie gewöhnen würde.
»Sie sind Julia Moretti, die Tochter von Eva Moretti-Bach«, ließ sie sich den Namen noch einmal bestätigen, nachdem sich die Anruferin mit ihrem Namen gemeldet hatte.
»Ja, das sagte ich bereits. Worum geht es?«
»Es geht um ihre Mutter. Sie sind doch die Tochter von Eva Moretti-Bach?«
»Ja! Nun sagen sie doch endlich, was sie von mir wollen«, wurde die Frau ungehalten.
»Ich muss Ihnen leider eine traurige Mitteilung übermitteln, vielleicht nehmen Sie sich einen Stuhl.« Im Besprechungsraum war es schlagartig ruhig geworden. »Wir haben gestern ihre Mutter tot in Ambelás aufgefunden«, sagte Katharina klar und deutlich.
»Was? Das kann nicht sein.« Katharina hörte, wie die Frau tief durchatmete. »Wo haben Sie meine Mutter gefunden?«, fragte sie gefasst.
»In Ambelás, einem Küstenort auf Paros, in Griechenland«, wiederholte die Kommissarin ruhig den Namen des letzten Aufenthaltsortes der Toten. »Hat ihre Mutter Ihnen nichts von ihrer Reise erzählt?«
»Nein, davon habe ich nichts gewusst, aber …« Julia Moretti begann zu stottern. »Wir hatten schon länger keinen Kontakt mehr.« Ihre Stimme klang verzweifelt. »Wo sagen Sie, hat man sie gefunden?«
»Auf einer griechischen Insel, zwischen Mykonos und Naxos«, die Kommissarin nannte bewusst zwei der bekanntesten Kykladen Inseln.
»Und wie ist sie ums Leben gekommen?«
»Allem Anschein nach ist sie ertrunken, aber Genaueres wird noch untersucht.«
»Ertrunken? Wie schrecklich.« Julias Stimme bebte.
»Wissen Sie, ob ihre Mutter ernsthaft erkrankt war?«, hakte Katharina nach und hoffte auf eine klare Antwort. Es dauerte eine ganze Weile, bevor Julia Moretti sich äußerte.
»Nein, wie gesagt, ich habe mit meiner Mutter das letzte Mal an Weihnachten gesprochen. Da hat sie mir nichts von einer Erkrankung erzählt.«
Katharina vernahm ein leises Schluchzen und das Rascheln von Papier.
»Dann wissen Sie auch nichts von einer Depression oder Selbstmordabsichten, nehme ich an?«
»Nein«, weinte die Frau ungehemmt ins Telefon.
»So wie sich die momentane Sachlage darstellt, liegt kein Fremdverschulden vor. Es könnte sein, dass ihre Mutter freiwillig ins Wasser gegangen ist.«
Ein lautes Stöhnen drang ans Ohr der Kommissarin.
»Können Sie uns den Hausarzt ihrer Mutter nennen«, Katharina wollte versuchen,