Bittere Kapern. Peter Pachel

Bittere Kapern - Peter Pachel


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in Richtung des kleinen Hafens, so wie sie es jeden Morgen tat. Je näher sie dem Meer kamen, desto feuchter wurde die Morgenluft, ein feiner Nebel lag über der Küste, die kabbeligen Wellen trugen weiße Kragen und sprühten ihr die Gischt entgegen.

      Die wenigen Boote im Hafen tanzten unruhig hin und her, im Dunstschleier der aufgehenden Sonne erschien ihr Naxos zum Greifen nah. Achilléas schwenkte nach links, er kannte den Weg und wartete darauf, dass Maria ihm die Leine abnahm. Mit einem lauten Bellen preschte er vor, so als wolle er sich für das Stück Freiheit bedanken, Maria trottete ihm behäbig auf der Küstenstraße hinterher. An ein paar verwaisten Ferienhäusern vorbeilaufend erreichte sie schließlich das Thalassa, mit seiner großzügigen Taverne und einer Ferienanlage, deren Außenterrasse direkt über dem Meer lag, beschattet durch mehrere hochgewachsene Tamarisken, unter denen man im Sommer nur schwerlich einen Platz ergattern konnte. Geschützt durch ein hellblaues Metallgeländer saß man einige Meter oberhalb der blauen See, ein äußerst beliebtes Plätzchen für ein romantisches Abendessen.

      An diesem frühen Septembermorgen glich der heimelige Platz jedoch nur einer öden Betonfläche. Die während der Ferienzeit liebevoll hergerichteten Tischchen waren bereits weggeräumt und der Innenbereich der Taverne rundum mit breiten Plastikplanen abgeschottet worden. Auch die Besitzer des Thalassa schienen mit weiteren, stürmischen Tagen zu rechnen. Maria winkte stumm einer Angestellten zu, die in der Küche herumwerkelte, als sie auf die leergefegte Terrasse zusteuerte. Ihr Blick schweifte in die Ferne, ausschauhaltend nach Achilléas, der wie vom Erdboden verschluckt war. Plötzlich erschallte ein lautes Knurren, ein grimmiges, wie es nur selten vorkam. Irgendetwas musste den Hund in Auffuhr versetzt haben! Es folgte ein grollendes Bellen und Maria lauschte, um die Richtung des Gebells auszumachen. Sie hatte im Laufe der Zeit gelernt, die feinen Zwischentöne ihres Hundes zu unterscheiden und hoffte nur, dass er nicht wieder mit einer Katze im Clinch lag. Achilléas trug bei diesen Konfrontationen meist schmerzliche Blessuren davon. Das Donnern der Brandung überlagerte den aufgebrachten Rüden, er musste ganz in der Nähe sein. Fröstelnd lugte sie über das schmale Gelände nach unten, zu den beidseitig der Taverne liegenden Sandbuchten, wo die auslaufenden Wellen fast bis an die Küste reichten. Dort sah sie ihn, wie er versuchte, dem unberechenbaren Weg des Wassers auszuweichen, immer wieder nach vorne springend hin zu einem größeren Gegenstand, der sich dunkel von der aufgewühlten Brandung in der rechten Bucht abzeichnete. Maria beugte sich nach vorne, verengte ihre Augen zu schmalen Sehschlitzen, versuchte mit aller Anstrengung zu erkennen, was den Hund so in Wallung brachte. Sie erstarrte. Unweigerlich krallten sich Ihre Hände an dem feuchten Geländer fest. Da unten lag ein Mensch, an Land geworfen von der aufgebrachten See.

      KATHARINA WALDMANN

      AMBELÁS, PAROS, SÜDLICHE ÄGÄIS, SEPTEMBER 2016

      Katharina Waldmann vergrub verärgert ihren Kopf unter dem Kopfkissen. Das scheppernde Geräusch eines im Wind hin und her schlagenden Fensters hatte sie brutal aus dem Schlaf gerissen. Ein kalter Luftstrom wehte durch ihr Schlafzimmer, weshalb sie schnell das Laken über ihre nackten Schultern zog. Dawid, an dem sie sich hätte wärmen können, hatte sich schon aus dem Bett geschlichen, ganz behutsam, um sie nicht zu wecken. Im Gegensatz zu ihr musste er heute arbeiten. Bestimmt war er schon zu seiner Werkstatt unterwegs. Zu gerne hätte sie ihren freien Tag mit ihm zusammen verbracht, dem starken Mann an ihrer Seite, mit dem sie nun schon einige Jahre zusammenlebte. Es hätte ihnen gutgetan, da ihr Privatleben in der letzten Zeit ein wenig zu kurz gekommen war. Aber trotz mehrfachen Drängens hatte Dawid keine Möglichkeit gesehen, seinen Termin so kurzfristig zu verlegen. Vor nicht allzu langer Zeit noch, hätte er alles stehen und liegen lassen, wenn sie spontan einen Urlaubstag angekündigt hätte. Sie war ernsthaft besorgt wegen seines ungewöhnlichen Verhaltens, schließlich hatte sie eine gute Antenne, wenn sich Unstimmigkeiten anbahnten. Sie würde da nachhaken müssen, der Sache auf den Grund gehen, warum Dawid diesmal anders als gewohnt reagiert hatte. Sie nahm dieses Anzeichen sehr ernst, denn sie war für jeden Tag dankbar, dass sie diesen wunderbaren Mann kennengelernt hatte und er es mit ihr schon so lange aushielt. Der resoluten Kriminalhauptkommissarin, vor der so viele Männer Reißaus genommen hatten. Dawid war da anders, er interessierte sich für die Frau hinter der taffen Fassade und war stets zur Stelle, wenn ihr einmal ein Fall zu nahe ging. Es schien sogar, als könne er, ohne große Worte ihre Gedanken lesen. Er war immer da und hatte sich bislang dem immer vollen Terminkalender von Katharina gebeugt. Sie hatte seine Rücksicht als selbstverständlich angenommen und nie einen Grund gesehen, ihre Arbeitsweise zu ändern. Diesmal war es anders, ihr Gefühl sagte ihr, dass sie aufpassen musste. Unbewusst glitt ihre Hand auf die leere Seite des Bettes, er war definitiv schon aufgestanden.

      Gähnend warf sie einen Blick nach draußen. Es war noch nicht einmal richtig hell, eigentlich viel zu früh, um aufzustehen, und das an ihrem freien Tag.

      Die Kommissarin hatte sich kurzentschlossen einen Urlaubstag gegönnt, die Hauptferienzeit war zu Ende und in ihrem Garten sah es verheerend aus, da war in den vergangenen, hektischen Monaten einiges liegen geblieben. Die erfrischende Brise zu dieser frühen Stunde tat ihr gut, genau richtig für einen entspannten Tag an der Luft, sie würde ihn gemütlich angehen lassen. Unzählige vertrocknete Blüten mussten entsorgt und einige Sträucher ausgedünnt werden, schon lange hatte sie sich das vorgenommen. Bislang war einfach keine Zeit dafür geblieben. Jeden Morgen beim Verlassen des Hauses, hatte ihr vernachlässigter Garten ein trauriges Gefühl bei ihr hinterlassen. Heute würde sie endlich wieder Ordnung in ihre Grünflächen bringen. Für Katharina war das keine Arbeit, eher etwas Meditatives, und ihren Pflanzen wieder einen erfreulicheren Anblick zu verschaffen, empfand sie als Balsam für ihre gestresste Seele.

      Die Kommissarin war erschöpft, nach Monaten pausenloser Polizeiarbeit brauchte sie dringend Erholung. Selbst an den Wochenenden war sie häufig zu Einsätzen gerufen worden, das hatte bei ihr merklich Spuren hinterlassen. Sie brauchte immer länger, um sich fit zu fühlen. Es hatte einige Zeit bedurft, sich das einzugestehen, aber mit ihren 59 Jahren wurde es höchste Zeit, ein wenig kürzer zu treten. In wenigen Wochen würde sie sechzig werden, ein Alter, in dem man seine beruflichen Aktivitäten zurückschrauben sollte. Die Arbeit auf Paros war zwar im Vergleich zu ihrem vorherigen Job in der Mordkommission in Athen ein Kinderspiel, doch die ständige Präsenz und die Verantwortung fiel ihr immer schwerer. Auch wenn sich ihre Arbeit auf der Insel bis auf wenige Ausnahmen auf Diebstähle, Wohnungseinbrüche und Nachbarschaftsstreitigkeiten beschränkte, sie war halt keine dreißig mehr. Da hatte sie in der Hauptstadt mit ganz anderen Kalibern zu tun gehabt. Das war der Grund, warum sie Athen den Rücken gekehrt und sich ihr Leben auf ihrer Lieblingsinsel neu eingerichtet hatte. Gute fünf Jahre war ihr Umzug jetzt her. Katharina hatte noch keine Sekunde bereut.

      Erschwerend hinzukam, dass Takis, der dienstälteste Mitarbeiter in ihrem Team, zum Ende des Jahres in den vorzeitigen Ruhestand wechseln wollte. Er hatte eine beachtliche Erbschaft gemacht und plante zusammen mit Rika, seiner alten Jugendliebe, die verlorenen Jahre ihres gemeinsamen Glücks nachzuholen. Er wartete noch auf die finale Bestätigung, dennoch hatte Katharina vorsichtshalber nach Bekanntwerden von Takis Plänen einen Antrag auf Ersatz gestellt. Bisher gab es noch kein grünes Licht von der Bezirksregierung in Ermoupoli für eine Neubesetzung der Stelle und das letzte Telefonat mit der zuständigen Behörde machte ihr wenig Hoffnung. Sie würde wohl zukünftig mit einem Mann weniger in ihrer Truppe auskommen müssen. Die Kommissarin musste bei den Gedanken an Takis schmunzeln, mit dem sie in der ersten Zeit immer wieder aneinandergeraten war. Er würde ihr fehlen mit seiner Erfahrung und seinem guten Draht zur einheimischen Bevölkerung, mit dem er sich oft Zugang zu Informationen beschafft hatte, was einer Fremden wie ihr nie gelungen wäre. Erst spät hatte sie diesen Schatz erkannt und so war das Vertrauen langsam zwischen ihnen gewachsen. Ausschlaggebend war ein brisanter Fall vor drei Jahren gewesen, als es um die Aufklärung eines seltsamen Todesfalls an einem städtischen Beamten ging. Der Tote war damals in einer alten Zisterne aufgefunden worden. Takis kannte das Opfer schon aus seiner Schulzeit und war wesentlich an der Aufklärung der Umstände beteiligt gewesen. Jetzt war er mit der Witwe des Opfers zusammen. Verrückt, mit welchen Geschichten das Leben doch aufwarten konnte.

      Den Rest ihrer Mannschaft, welche aus Konstantinos, Spyros und ihrem Stellvertreter Filippos bestand, hatte sie bereits schonend auf


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