Imperium USA. Daniele Ganser

Imperium USA - Daniele Ganser


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Auch die verschiedenen Stämme der Indianer haben sich untereinander bekämpft und getötet. Aber sie haben sich nicht ausgerottet. Der Einsatz von Gewalt war weit weniger extrem, weil es immer wieder weise Indianer gab, die darauf hingewiesen haben, dass wir alle zur Menschheitsfamilie gehören. Indianische Medizinmänner vertraten eine Weltanschauung, die man auch in der christlichen Mystik, im Zen und im Sufismus findet. Gemäß dieser Weltanschauung wird das Göttliche als allgegenwärtiger Geist verstanden, verkörpert in allen Menschen, Tieren, Pflanzen und Dingen, vom kleinsten Atom bis zur Galaxie. Die Erde wird als Gaia bezeichnet und ist gemäß dieser Weltsicht ein lebendiger Organismus, der weder gekauft noch besessen werden kann. Der Mensch wird nicht als eine in sich abgeschlossene Einheit gesehen, die bei der eigenen dünnen Haut endet, sondern als Energiefeld, das mit der ganzen Wirklichkeit und daher auch mit dem Göttlichen untrennbar verbunden ist. Niemals wäre es den Indianern in den Sinn gekommen, alle Bisons abzuschlachten. Sie erlegten immer nur so viele Tiere, wie sie für ihr Überleben brauchten.

      Black Elk, der Medizinmann der Oglala Sioux, war ein Vertreter der Friedensbewegung und beschrieb diese Verbundenheit mit der Menschheitsfamilie so: »Der erste Friede – der wichtigste – ist der, welcher in die Seelen der Menschen einzieht, wenn sie ihre Verwandtschaft, ihre Harmonie mit dem Universum einsehen und wissen, dass im Mittelpunkt der Welt das große Geheimnis wohnt, und dass diese Mitte tatsächlich überall ist. Sie ist in jedem von uns – dies ist der wirkliche Friede, alle anderen sind lediglich Spiegelungen davon. Der zweite Friede ist der, welcher zwischen Einzelnen geschlossen wird, und der dritte ist der zwischen Völkern. Aber vor allem sollt ihr sehen, dass es nie Frieden zwischen Völkern geben kann, wenn nicht der erste Friede vorhanden ist, der, wie ich schon sagte, innerhalb der Menschenseele wohnt.«105

       4.Die Ausbeutung der Sklaven

      Wenn die europäischen Siedler in Nordamerika wie die meisten Indianer auch nomadische Jäger gewesen wären, hätten sie keine Sklaven gebraucht. Aber sie waren sesshafte Bauern, bearbeiteten das Land und bauten auf großen Plantagen Tabak, Zuckerrohr, Baumwolle und Reis an. Dafür war die Arbeitskraft der Menschen zentral, denn es gab noch kein Erdöl, keinen Traktor, keinen Mähdrescher und keine industrialisierte Landwirtschaft. Es gelang den Europäern in Nordamerika aber nicht, die vor Ort lebenden Indianer zu versklaven. Diese starben lieber im Kampf oder in Gefangenschaft oder wurden durch eingeschleppte Krankheiten dahingerafft. Menschen mit schwarzer Hautfarbe aus Afrika hingegen erwiesen sich als widerstandsfähiger. Daher kauften die Siedler schwarze Sklaven, die über den Atlantik aus Afrika importiert wurden.

       Die Verschleppung von 12 Millionen Afrikanern

      Der Sklavenhandel wurde von den europäischen Kolonialmächten Portugal, Spanien, Holland, Frankreich und England betrieben, um in ihren Kolonien in Nord- und Südamerika mit billigen Arbeitskräften Rohstoffe anzubauen und großflächige Landwirtschaft zu betreiben. Der Sklavenhandel zeigt, dass Gier nach Profit immer wieder zu brutaler Ausbeutung geführt hat. Schwarze Sklavenhändler nahmen Schwarze aus anderen Stämmen in Westafrika gefangen, trieben sie in qualvollen und oft tödlichen Fußmärschen über hunderte von Kilometern an die afrikanische Küste und verkauften sie dort an weiße Europäer, welche die Sklaven eingepfercht und aneinandergekettet auf Schiffen nach Amerika brachten.

      Von 1500 bis 1850 wurden rund 12 Millionen Afrikaner über den Atlantik verschleppt, von denen rund eine Million in die USA gelangten. Die Briten, die führenden Sklavenhändler, betrachteten die Schwarzen als Ware. Es kam vor, dass ein Teil der menschlichen »Fracht« mitten im Atlantik einfach über Bord geworfen wurde, wenn Proviant und Wasservorräte nicht ausreichten oder man die Verbreitung ansteckender Krankheiten fürchtete. Wie die Indianer wurden die Schwarzen von den Briten nicht als Mitglieder der Menschheitsfamilie angesehen. Nur dadurch lässt sich erklären, wie schnell die Weißen bereit waren, die Schwarzen zu töten.106

      Die USA waren nicht das Land mit den meisten Sklaven. Sklaverei gab es auch in der Karibik und in Südamerika. Der 1945 geborene Reggaemusiker Bob Marley aus Jamaika zum Beispiel hatte eine dunkelhäutige Mutter, deren Vorfahren aus Afrika importierte Sklaven gewesen waren, sowie einen weißen Vater, der in der britischen Armee gedient hatte. Seine Musik, darunter Lieder wie »Get Up, Stand Up«, war eng verknüpft mit seinen afrikanischen Vorfahren und dem Protest gegen Unterdrückung. Viele Sklaven wurden nach Brasilien gebracht. Dort bauten sie Zuckerrohr an. Brasilien ist heute das Land mit der größten afroamerikanischen Bevölkerung außerhalb Afrikas.

      Die erste Lieferung von 20 afrikanischen Sklaven an die Kolonie Jamestown in Virginia erfolgte durch holländische Händler im Jahr 1619. Die Sklaven arbeiteten ohne Lohn in der Tabakproduktion. Durch den Import von immer mehr Sklaven stieg ihre Anzahl kontinuierlich an. Als die dreizehn Kolonien sich 1776 von Großbritannien lösten, arbeiteten schon 500000 Sklaven in den USA. Während die nördlichen Kolonien nur wenige Sklaven beschäftigten, bauten die südlichen Kolonien Virginia, North Carolina, South Carolina und Georgia ihr Wirtschaftssystem auf der vollständigen Ausbeutung der Sklaven auf. Ohne Sklavenarbeit wären die Tabakplantagen des Südens nicht profitabel gewesen.107

      Der US-Historiker Edmund Morgan, der an der Universität Yale lehrte, hat sich intensiv mit der Sklaverei beschäftigt und betont zu Recht, dass die edlen Werte der amerikanischen Unabhängigkeitserklärung von 1776, darunter vor allem Freiheit und Gleichheit, gegenüber den Schwarzen nicht umgesetzt wurden. Das ganze Wirtschaftssystem der USA gründete ganz wesentlich auf Rassismus und der Überzeugung, dass Menschen mit weißer Hautfarbe mehr wert sind als Menschen mit schwarzer Hautfarbe. Auf der Basis dieses Rassismus, der im Gegensatz zum Prinzip der Menschheitsfamilie steht, war aus der Sicht der Plantagenbesitzer das Ausbeuten der Schwarzen als billige Arbeitskräfte völlig in Ordnung. Den eklatanten Widerspruch zu den Werten, die in der Unabhängigkeitserklärung formuliert worden waren, wollten die Siedler nicht sehen, was Morgan als »amerikanisches Paradox« bezeichnet.108

      Da die Preise für Sklaven sehr niedrig waren, nahmen weder Sklavenhändler noch Plantagenbesitzer groß Rücksicht auf deren Gesundheit. Sie gehörten bis zum Tod ihrem Herrn, konnten misshandelt, vergewaltigt, verkauft oder getötet werden. Ein Viertel der aus Afrika importierten Sklaven starb in Virginia schon innerhalb des ersten Jahres nach der Ankunft. Wenn sich die schwarzen Sklaven gegen das Unrecht und die Ausbeutung wehrten, wurden sie von den Plantagenbesitzern ausgepeitscht oder am Galgen aufgehängt.

      In South Carolina und Georgia bauten die Sklaven Reis an und vermehrten dadurch die Profite der Plantagenbesitzer. Der Reisanbau expandierte schnell. Bald gab es mehr Schwarze als Weiße in South Carolina. Aber die Arbeit in den Reisfeldern war weitaus härter als in den Tabakplantagen und die Sterblichkeit der Sklaven daher höher. Immer wieder kam es zu Sklavenaufständen, die jedoch stets mit großer Härte niedergeschlagen wurden, weil die Plantagenbesitzer die Sklaven nie als gleichwertige Menschen betrachteten, sondern als ihren persönlichen Besitz, als Sache.

      Den Plantagenbesitzern ging es nicht um eine sadistische Freude an Gewalt, sondern um das egoistische Streben nach Profit ohne Rücksicht auf das Leben anderer. »Die Sklaverei auf den Plantagen hatte ihren Ursprung nicht in einer Verschwörung mit dem Ziel, die schwarzen Menschen zu entwürdigen, zu beschämen, sie brutal zu behandeln oder ihr soziales Ansehen herabzusetzen, obwohl all dies passiert ist«, erklärt der US-Historiker Ira Berlin, der an der Universität Maryland lehrte. »Der üble moralische Geruch der Sklaverei kann das wirkliche Ziel der amerikanischen Gefangenschaft nicht verhüllen: die Arbeitskraft von vielen zu nutzen, um einige wenige reich und mächtig zu machen.« Gier und Profit waren die treibenden Prinzipien hinter der Sklaverei. Das edle Prinzip der Unabhängigkeitserklärung, »dass alle Menschen gleich erschaffen worden sind« wurden ignoriert.109

      Die Plantagenbesitzer wurden durch das Halten von Sklaven, deren Arbeit sie nicht bezahlten, reich und stiegen dadurch zur politisch einflussreichsten Klasse der Kolonien auf. Um ihre Privilegien zu wahren und das System der Ausbeutung zu festigen, sicherten sich die Plantagenbesitzer die politischen Schlüsselpositionen der neuen Republik, darunter das Weiße Haus. Der erste Präsident der


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