Imperium USA. Daniele Ganser

Imperium USA - Daniele Ganser


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Lincoln aus Illinois, der später selbst US-Präsident wurde, nicht überzeugt. In seiner Rede kritisierte Lincoln Präsident Polk scharf. Der Präsident müsse zeigen, »dass der Boden unser war, auf dem das erste Blut vergossen wurde.« Aber das könne Präsident Polk kaum, vermutete Lincoln, und vermutlich sei sich auch der Präsident selbst bewusst, dass er im Unrecht liege, denn Präsident Polk sei ein »verwirrter, irritierter und jämmerlich ratloser Mann.«90

      Nach dem inszenierten Zwischenfall am Rio Grande erklärten die USA am 13. Mai 1846 dem Nachbarland Mexiko den Krieg. US-Präsident Polk stellte in seiner Rede vor dem Kongress die USA heuchlerisch als Opfer dar. »Da der Krieg trotz aller unserer Bemühungen, ihn zu vermeiden, nun entstanden ist, da Mexiko ihn selbst verursacht hat, sind wir nun auf Grund unserer Verpflichtungen gegenüber unserem Patriotismus beauftragt, unsere Ehre, Rechte und Interessen gegenüber unserem Land zu verteidigen«, behauptete Polk. In Wirklichkeit traf das Gegenteil zu. Präsident Polk hatte den Krieg angestiftet, indem er US-Soldaten auf mexikanisches Gebiet geschickt hatte. Der inszenierte Zwischenfall am Rio Grande verfehlte seine Wirkung nicht: Im Senat stimmten nur zwei Senatoren gegen den Krieg, während ihn 40 befürworteten, und im Repräsentantenhaus votierten 190 Kongressabgeordnete für den Krieg, nur 14 lehnten ihn ab.91

      Zumindest bei einem Teil der US-Bevölkerung stieß der Angriff auf Mexiko auf Ablehnung. Die kleine US-Friedensbewegung erkannte schon damals, dass der Zwischenfall am Rio Grande inszeniert gewesen war. »Obwohl Texas keiner Verteidigung bedurfte, hat Präsident James Polk unter dem Vorwand, Texas zu verteidigen, General Zachary Taylor und seine Truppen jenseits der echten Grenzen von Texas stationiert und gab ihnen sogar die Erlaubnis, den Rio Grande zu überqueren«, erklärte der US-Bürgerrechtler William Goodell 1852, der in der Bewegung zur Abschaffung der Sklaverei engagiert war und die Ausdehnung der Sklaverei auf neu eroberte Gebiete strikt ablehnte. »Nach einigen erfolglosen Versuchen, die Mexikaner zum ersten Schuss zu verleiten, waren es tatsächlich unsere Truppen, die angefangen haben, worauf General Taylor seiner Regierung den Beginn von Kampfhandlungen vermeldete. Daraufhin hat Präsident Polk dem Kongress und der Welt die Unwahrheit präsentiert und gesagt: Mexiko hat die Grenze überschritten und ist auf unser Land vorgedrungen. Mexiko hat amerikanisches Blut auf amerikanischem Boden vergossen.« Mit diesen Kriegslügen, so Goodell, habe man das Volk und den Kongress getäuscht.92

      Auch andere US-Amerikaner protestierten laut und deutlich gegen den Mexikokrieg. Der Kongressabgeordnete Daniel Webster sprach von einem »Krieg der Vorwände, in dem der wahre Beweggrund nicht offen eingestanden wird, sondern in dem Scheingründe, nachträgliche Erklärungen, Ausflüchte und andere Methoden verwendet werden, um der Allgemeinheit einen Streitfall vorzutäuschen, der in Wirklichkeit gar keiner ist.« Doch Präsident Polk interessierte sich nicht für die Kritik der Friedensbewegung und befahl General Taylor, die am Golf von Mexiko gelegene Stadt Matamoros südlich des Rio Grande auf mexikanischem Boden zu erobern. Daraufhin griff die US-Marine im Pazifik die Stadt San Francisco an und eroberte die mexikanische Provinz Kalifornien. Weil Mexiko über keine nennenswerte Marine verfügte, waren die Mexikaner gegen die US-Kriegsmarine machtlos. Die USA bombardierten Mexiko-Stadt und Vera Cruz mit Granaten. Viele Frauen wurden vergewaltigt und auch Kinder und Betagte wurden getötet. Die mexikanische Stadt Huamantla wurde von US-Soldaten geplündert und zerstört, die Bevölkerung niedergemetzelt.93

      »Es ist ein niederträchtiger und schändlicher Krieg, den wir kämpfen«, protestierte Pfarrer Theodore Parker in einer öffentlichen Rede in Boston am 4. Februar 1847. »Junge Männer, die das Heu einbringen und der Gesellschaft dienen sollten, marschieren auf den Straßen. Sie lernen, wie man andere Menschen tötet. Menschen, die ihnen oder auch uns nie geschadet haben. Sie lernen ihre Brüder zu töten.« Dies entspreche nicht den Werten des Christentums, der Krieg gegen Mexiko sei falsch und verlogen. »Hier kämpft ein großer Junge gegen einen kleinen Jungen. Und der kleinere Junge ist zudem schwach und krank. Und was alles noch schlimmer macht: Der kleine Junge ist im Recht, und der große Junge hat unrecht und erzählt mit ernster Miene Lügen, um den Anschein zu erwecken, recht zu haben.«94

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      Grafik 9: 1848: Gebietsgewinne der USA (hellgrau) nach dem Mexikanisch-Amerikanischen Krieg.

      Durch den Einsatz massiver Gewalt gelang es den USA, das Nachbarland Mexiko zu besiegen. Der Krieg endete mit dem Vertrag von Guadalupe Hidalgo am 2. Februar 1848. Dieser Diktatfrieden zwang die Regierung von Mexiko, nicht nur die Zugehörigkeit von Texas zu den USA anzuerkennen, sondern darüber hinaus noch die Hälfte ihres Landes inklusive Kalifornien an die USA abzugeben. Den Mexikanern, die in diesem großen Gebiet lebten, blieb die Wahl, entweder innerhalb eines Jahres nach Mexiko auszuwandern oder die US-amerikanische Staatsangehörigkeit anzunehmen. Präsident Polk hatte damit das Territorium der USA massiv vergrößert. Aber seine Gesundheit litt darunter. Sein Außenminister James Buchanan sagte über Präsident Polk, dieser habe während seiner Präsidentschaft »das Aussehen eines alten Mannes« angenommen. Polk trat nach Ablauf seiner Amtszeit nicht zur Wiederwahl an und starb 1849 im Alter von 53 Jahren. General Zachary Taylor, der den Krieg begonnen hatte, wurde als Kriegsheld gefeiert und als Nachfolger von Polk zum Präsidenten gewählt.95

       Die Vernichtung der Indianer

      Wie die Briten zuvor, führten die USA nach der Unabhängigkeitserklärung von 1776 die Vertreibung und Vernichtung der Indianer in den sogenannten Indianerkriegen fort. Die großen Gebiete, welche die USA von Frankreich durch Kauf und von Mexiko durch Krieg erwarben, waren ja nicht unbewohnt, sondern von verschiedenen Indianerstämmen besiedelt. Diese waren sich bezüglich des Vorgehens gegenüber der US-Armee uneinig und verloren daher immer mehr von ihrem Lebensraum.

      Der französische Historiker Alexis de Tocqueville, der 1826 in die USA reiste und als Augenzeuge die Vertreibung der Indianer beobachtete, berichtet, wie die Kolonialisten ihr Wort immer und immer wieder gebrochen haben. »Sobald die europäische Bevölkerung sich der von einem Eingeborenenstamm bewohnten Wildnis zu nähern beginnt, entsendet die Regierung der Vereinigten Staaten gewöhnlich eine feierliche Abordnung zu diesem; die Weißen versammeln die Indianer auf einer großen Ebene, und nachdem sie mit ihnen gegessen und getrunken haben, erklären sie ihnen: Jenseits der Berge, die ihr am Horizont seht, auf der andern Seite des Sees, der im Westen an euer Gebiet grenzt, stößt man auf weite Gegenden, wo es wilde Tiere noch im Überfluss gibt. Verkauft uns euren Boden und geht dorthin, um glücklich zu leben. Nach dieser Rede breitet man vor den Augen der Indianer Waffen aus, Wollkleider, Branntweinfässer, Halsschmuck aus Glasperlen, Armspangen aus Zinn, Ohrgehänge und Spiegel. Falls sie beim Anblick all dieser Schätze noch zögern, gibt man ihnen zu verstehen, dass sie die verlangte Zustimmung nicht verweigern können«, so berichtet der Franzose Tocqueville. »Halb überzeugt, halb gezwungen entfernen sich die Indianer, sie ziehen in unbewohnte Gebiete, wo die Weißen sie keine zehn Jahre in Frieden lassen werden. So erwerben die Amerikaner zu einem Spottpreis ganze Provinzen.«96

      Wenn die Indianer nicht freiwillig vor den weißen Siedlern zurückwichen, gingen die US-Soldaten bei der Eroberung rücksichtslos vor. Sie überfielen die Dörfer der Indianer und töteten selbst die nicht in die Kämpfe verwickelten Frauen und Kinder. Die Indianer wurden nicht als gleichberechtigte Mitglieder der Menschheitsfamilie angesehen, sondern als Tiere oder unterentwickelte Menschen. Vielerorts wurde das Ermorden eines Indianers mit einer Skalpprämie belohnt. Beim Skalpieren wird die Haut mit dem Kopfhaar vom Schädel gezogen. Die Skalpe dienten als Beweis für den Tod eines Indianers. Auch die Indianer skalpierten die Weißen und stellten die Skalpe als Zeichen ihres Mutes zur Schau.

      Die 29-jährige Piegan-Indianerin Good Bear Woman erinnert sich an einen Einsatz der 2. US-Kavallerie unter dem Befehl von Major Eugene Baker, der sich am 23. Januar 1870 am Marias River in Montana ereignete. »Ich sah, wie die Soldaten über den Hügel kamen«, so die Indianerin. Piegan-Häuptling Heavy Runner wunderte sich, denn bislang waren seine Beziehungen zu den Weißen friedlich gewesen. Das US-Indianerbüro hatte ihm sogar schriftlich Schutz garantiert. Der Häuptling holte den Geleitbrief aus seinem Wigwam und brachte


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