Allein am Stony Creek / Schutzlos am Red Mountain. Christopher Ross
Julie berichtete von ihrem Ausflug in die Ausläufer des Double Mountain. »Wenn ich schneller gefahren wäre, hätte ich ihn vielleicht noch erwischt. Das Blut war noch frisch. Der Elch war höchstens eine Stunde tot.«
»Sei froh, dass du ihm nicht begegnet bist«, erwiderte Carol. »So einem Wilderer ist alles zuzutrauen, wenn man ihn in die Enge treibt. Dafür haben wir Ranger Erhart und seine Polizeitruppe. Sie sind übrigens schon unterwegs. Zwei seiner Ranger hatten am Igloo Creek zu tun und haben sich sofort auf den Weg gemacht. Wenn wir Glück haben, fangen sie ihn.«
»Es sei denn, der Bursche kennt sich in den Bergen aus und versteckt sich irgendwo. Es schneit ziemlich heftig. Sobald der Schnee seine Spuren verdeckt, sind sie aufgeschmissen. Der Wilderer ist nicht dumm. Er hat nicht mal ein Gewehr benutzt. Er jagt mit Pfeil und Bogen … wie früher die Indianer.«
»Sie haben alle Vorkehrungen getroffen, also hoffen wir das Beste. Die Trooper wissen auch schon Bescheid. Sobald er den Nationalpark verlässt, wollen sie ihn in Empfang nehmen. Und wenn nicht, versuchen wir es bei den üblichen Verdächtigen. Hector Morrison führt uns seit Jahren an der Nase herum.« Morrison war ein ehemaliger Fallensteller, der sich inzwischen mit Gelegenheitsjobs über Wasser hielt, bei den Rangern im Nationalpark aber immer wieder unter Verdacht geriet. »Wir wissen, dass er wildert, konnten ihm aber nie etwas beweisen. Irgendwann macht er einen Fehler, dann haben wir ihn. Er weiß gar nicht, was er mit seiner Wilderei alles anrichtet, dass er das Gleichgewicht der Natur durcheinanderbringt.« Sie war bei einem ihrer Lieblingsthemen gelandet und grinste. »Ich gehe wohl besser, bevor ich wieder zu predigen beginne. Es sind noch Spaghetti übrig.«
Julie bedankte sich und zog nicht einmal ihren Anorak aus, so hungrig war sie. Obwohl die Spaghetti nur noch lauwarm waren, machte sie sich heißhungrig über das Essen her. Sie hatte bereits den Teller abgewaschen und war gerade dabei, sich einen Kaffee zu kochen, als es klopfte und ein junger Mann in Zivil vor der Tür stand. Er hieß Johnny Steele, ein fünfzehnjähriger Schüler von der Highschool in Fairbanks, der ein zweiwöchiges Praktikum im Denali National Park absolvierte und danach ein Referat über den Park halten sollte. Er war der Rangerin Elaine Smith zugeteilt, der Leiterin des Murie Science & Learning Centers, in dessen Bücherei und Archiv sich auch Julie mit dem Leben in der Arktis und den Nationalparks von Alaska vertraut gemacht hatte. Einen Tag sollte Julie mit ihm bei den Huskys verbringen und ihn auch auf einen ausgedehnten Ausflug mitnehmen, um ihm die Grundbegriffe des Mushing beizubringen. Ein Auftrag, auf den sie sich nicht besonders freute. Johnny war alles andere als freundlich zu ihr gewesen, und seine Miene verriet auch jetzt, dass er nicht freiwillig bei den Rangern war. »Der große Meister verlangt nach Ihnen«, sagte er, ohne sie zu begrüßen. Er meinte den Superintendent.
»Okay«, erwiderte sie. Noch bevor sie etwas anderes sagen konnte, war er verschwunden, und sie fragte sich wieder einmal, wie ein Highschool-Lehrer auf die Idee kommen konnte, einen Schüler wie ihn, der nicht das geringste Interesse für die Natur zu hegen schien, in einen Nationalpark zu schicken.
Vielleicht, um mich auf die Probe zu stellen, überlegte sie schmunzelnd, während sie die Hütte verließ und an der Recreation Hall mit der Turnhalle und dem Aufenthaltsraum vorbei zum Verwaltungsgebäude ging. Als »Interpretive Ranger«, wie ihre genaue Berufsbezeichnung lauten würde, falls man sie in den National Park Service übernahm, hatte sie auch die Aufgabe, mit schwierigen Urlaubern im Besucherzentrum zurechtzukommen. Wenn sie einen arroganten Burschen wie Johnny überlebte, konnte sie nichts mehr erschrecken.
Auf dem Parkplatz vor dem Verwaltungsgebäude stand ein fremder Van, wie sie mit einem raschen Blick bemerkte. Normalerweise wurden Urlauber und andere Gäste angehalten, vor dem Besucherzentrum zu parken, im Winter vor dem Murie Science & Learning Center. Neugierig betrat sie das Büro des Superintendent.
John W. Green war ein großer Mann mit kantigem Gesicht und buschigen Brauen. Seine Augen waren so blau wie bei den meisten Huskys, die Uniform saß wie maßgeschneidert. Bei ihm war ein älteres Ehepaar. Sowohl die Frau als auch der Mann hatten einen jungen Husky auf dem Schoß. Zwei goldige Hunde, die neugierig die Köpfe hoben und sie erwartungsvoll anblickten.
»Ah, da sind Sie ja, Ranger Wilson. Entschuldigen Sie, dass ich Sie an Ihrem freien Tag störe, aber wie ich höre, waren Sie heute sowieso schon im Einsatz.« Er deutete auf die Besucher. »Darf ich Ihnen Mr. und Mrs. Cook aus Anchorage vorstellen? Sie haben zwei junge Huskys mitgebracht und hoffen, dass sie bei uns bleiben dürfen. Das ist doch richtig, Mister Cook?«
»Ganz recht«, stimmte ihm der weißhaarige Mann zu. Er sah wie jemand aus, der viel Zeit an der frischen Luft verbrachte. »Und wir würden Ihnen für diese beiden Prachtexemplare keinen Penny berechnen. Uns geht es vor allem darum, die Huskys in guten Händen zu wissen. Ich habe bis vor einem halben Jahr als Hundezüchter gearbeitet und in einer Blockhütte in den Bergen gewohnt, aber seitdem ich eine künstliche Hüfte brauche und wir nach Anchorage gezogen sind, haben wir keinen Platz mehr für so viele Huskys und behalten nur noch Saskia, so heißt die Mutter der beiden. Die anderen Welpen haben wir einem Freund gegeben.«
»Und warum ausgerechnet wir?«, fragte Julie.
»Unser Freund kann nur vier Huskys nehmen. Er besitzt ein großes Haus am Stadtrand, aber er und seine Frau arbeiten als Steuerberater und müssen sich jetzt schon strecken, um genügend Zeit für die Hunde aufzubringen. Eine Anzeige wollen wir nicht aufgeben. Wer weiß, in welche Hände die Kleinen dann geraten. Nein, bei Ihnen wären sie am besten aufgehoben.« Sein Blick wanderte zwischen Julie und dem Superintendent hin und her. »Wir haben schon viel über Ihre Hunde gelesen und wie sehr Sie sich darum bemühen, die Besucher über Huskys zu informieren. Der Nationalpark wäre ideal für sie.« Sein Blick blieb an Julie hängen. »Sie sind die Chefin des Zwingers?«
Julie errötete leicht. »Ich helfe bei den Hunden. Die Huskys sind mein Ein und Alles, auch wenn sie nicht einfach zu halten sind. Ich hatte schon als Kind mit Huskys zu tun und besitze selbst ein Team, mit dem ich irgendwann mal das Iditarod gewinnen will.« So hieß das berühmteste Hundeschlittenrennen der Welt, das mehr als tausend Meilen von Anchorage nach Nome führt. Es war der Traum eines jeden Mushers daran teilzunehmen und weit vorn zu landen.
»Dann werden Sie die beiden mögen, Ranger.« Cook hielt ihr seinen Husky hin. »Hier … sehen Sie sich den Kleinen an. Ist er nicht ein goldiger Bursche?«
Julie blickte den Welpen an und verliebte sich sofort in ihn. In seinen Augen, obwohl blau wie Gletschereis, lag so viel Wärme, dass sie unwillkürlich zu lächeln begann. Sie streichelte vorsichtig seinen Kopf, fühlte seinen warmen Körper und sein weiches Fell. Als er leise bellend nach ihr schnappte, lachte sie nur. »Wie soll ich denn das verstehen, du kleiner Rowdy?«, beschwerte sie sich spielerisch. »Du willst doch einen guten Eindruck machen, oder etwa nicht? Wie alt bist du denn? Neun Wochen, nicht wahr?«
»Neuneinhalb«, verbesserte sein Besitzer, »und er besitzt erstklassige Papiere. Alle notwendigen Untersuchungen und Impfungen … bei ihm und bei ihr.« Er drehte sich nach dem anderen Welpen um, der sich bereits unruhig auf dem Schoß von Mrs. Cook regte. »Was meinen Sie, Ranger Wilson?«
Julie blickte ihren Chef fragend an. »Ein wunderschöner Husky, der würde bei einem Schönheitswettbewerb sicher ganz vorne landen.« Sie strich über seine kräftigen Beine und spürte seine Muskeln. »Und kräftig und ausdauernd ist er bestimmt auch. Ich bin sicher, das wird ein erstklassiger Schlittenhund.«
»Das will ich meinen«, erwiderte sein Besitzer. »Leider haben wir noch keine Namen, weder für ihn noch für seine Schwester. Meine Frau meinte, so könnten wir uns leichter von ihnen trennen. Wir hängen an den beiden.«
»Aber wir wissen auch, dass wir langsam zu alt für Huskys werden«, fügte Mrs. Cook hinzu. »Saskia schaffen wir gerade noch. Unsere Enkel haben beide versprochen, dass sie mehrmals in der Woche mit ihr auf Tour gehen werden. Die Welpen wären zu anstrengend für uns. Würden Sie uns eine Freude machen und sie aufnehmen?«
Julie blickte den Superintendent an und erntete ein zustimmendes Nicken. »Gern«, sagte sie, »das war sehr nett von Ihnen, an uns zu denken. Ich verspreche, dass wir uns gut um die beiden kümmern werden. Und passende Namen finden wir sicher auch.« Sie kraulte die junge