Allein am Stony Creek / Schutzlos am Red Mountain. Christopher Ross

Allein am Stony Creek / Schutzlos am Red Mountain - Christopher Ross


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einem Vorhängeschloss?«

      »Weil ich nicht will, dass mir jemand die Kettensäge klaut. Oder mein Snowmobil, das fahre ich abends auch rein. Oder einen Kanister mit Benzin mitnimmt. Sie wissen doch, wie in dieser Gegend neuerdings geklaut wird.«

      Das stimmte allerdings. Seit einigen Monaten hatten es einige Unbekannte anscheinend darauf abgesehen, sich mit der Polizei anzulegen. Hauptsächlich Inuit und Indianer, behaupteten manche Weiße. Weiße Wohlstandskinder, die aus Langeweile nach dem Kick suchten, hielten Inuit und Indianer dagegen.

      »Kann ich dennoch mal reinsehen?«

      Morrison blieb nichts anderes übrig, als seinen Schlüsselbund aus der Tasche zu kramen und Erhart zum Schuppen zu führen. Julie und seine Frau folgten ihnen. Julie glaubte, eine leichte Nervosität bei Ruth Morrison zu erkennen, als der ehemalige Fallensteller das Vorhängeschloss öffnete, war sich aber nicht sicher, denn die Frau schaltete sofort wieder auf Angriff und schimpfte: »Das ist Schikane! Das Haus und den Schuppen unschuldiger und friedfertiger Bürger zu durchwühlen, als wären wir Terroristen … ich werde mich an höchster Stelle beschweren. Es gibt nicht den geringsten Anhaltspunkt dafür, dass mein Mann einen Elch erlegt hat.« Sie wandte sich an den Ranger. »Sie haben sein Gewehr doch gesehen. Nehmen Sie es mit und lassen Sie es untersuchen. Er hat es schon seit Wochen nicht mehr benutzt.«

      »Der Wilderer war mit Pfeil und Bogen auf der Jagd«, erwiderte Erhart, »und jetzt sagen Sie mir nicht, dass Ihr Mann damit nicht umgehen kann.«

      »Sieht er vielleicht wie ein Indianer aus?«

      Morrison hatte das Schloss geöffnet und stieß die morsche Tür nach innen. Erhart und Julie hatten beide ihre Taschenlampen eingeschaltet und ließen die Lichtkegel durch den Schuppen wandern. Die neue Kettensäge hing mit den anderen Werkzeugen und Geräten an der Wand. Darunter standen vier Kanister. Das Benzin, von dem Morrison gesprochen hatte. Die Stirnseite nahm eine Werkbank ein, neben dem Hobel lagen zwei leere Bierflaschen. Ein Kalender mit Pin-up-Girls vor luxuriösen Oldtimern zeigte den letzten März an.

      »Zufrieden?«, fragte Morrison ungeduldig. Man sah ihm an, dass er die beiden Ranger so schnell wie möglich loswerden wollte. »Oder glauben Sie, ich hab den Elch unter einer Plane versteckt?« Er zog die schmutzige Plane von einem Four Wheeler herunter, den er anscheinend im Sommer benutzte.

      Erhart drehte sich um und richtete den Lichtstrahl seiner Taschenlampe auf die Wand neben der Tür. Er brummte zufrieden, als er einen Bogen und einen Köcher mit Pfeilen an einem Haken hängen sah. Er zog die Pfeile heraus und betrachtete die Metallspitzen. »Ungewöhnlich sauber«, wunderte er sich. Er strich mit dem rechten Zeigefinger über das Metall. »Waren Sie in letzter Zeit damit auf der Jagd? Ein kluger Jäger benutzt seine Pfeile mehrmals, nicht wahr? Nach der Jagd säubert er sie und steckt sie in den Köcher zurück.«

      »Das tue ich auch«, sagte Morrison. Seine Lider flackerten nervös, und auf seiner Stirn glaubte Julie einen leichten Schweißfilm zu erkennen. Mit einem Lächeln holte er sich seine Selbstsicherheit zurück. »Aber auf die Jagd gehe ich nur während der Saison. Ich will es mir schließlich nicht mit dem Gesetz verderben.« Jetzt grinste er frech. »Trotzdem übe ich jede Woche mit Pfeil und Bogen.« Er deutete auf die Zielscheibe, die unter dem Bogen an der Wand lehnte. »Meines Wissens gibt es kein Gesetz, das diesen Sport verbietet. Und das Säubern der Pfeile gehört dazu. So wie man eine Schusswaffe reinigt.«

      »Wo waren Sie gestern Nachmittag?«, fragte Erhart.

      »Gestern Nachmittag?« Wenn Morrison schuldig war, hatte er genug Zeit gehabt, sich eine Antwort zu überlegen. »Bis Mittag war ich an der Tankstelle. Schneeräumen und so. Und nachmittags war ich zu Hause auf der Couch.«

      »Und Sie können das sicher bestätigen?«, fragte der Ranger Morrisons Frau.

      »Natürlich«, antwortete sie. »Warum sollte ich lügen?«

      »Na, schön«, gab Erhart auf. Er hängte den Köcher zurück und gab Julie mit einem Blick zu verstehen, dass sie fertig waren. »Dann gehen wir wieder. Tut mir leid, wenn wir Ihnen Unannehmlichkeiten bereitet haben. Sie wissen natürlich, dass es nichts bringen würde, einen Ranger zu belügen. Dazu sind Sie viel zu klug. Wenn Sie schuldig wären, würden Sie es zugeben und vielleicht sogar mildernde Umstände bekommen, weil Sie Reue zeigen. Wir haben bis jetzt noch jeden Wilderer gefasst. Irgendwann verrät sich jeder, und dann gibt es meist die Höchststrafe. Aber das wissen Sie, nicht wahr?« Er blickte Ruth Morrison an. »So wie Sie wissen, dass man auch wegen einer Falschaussage vor Gericht landen und bestraft werden kann, Mrs. Morrison.«

      Sie verabschiedeten sich und kehrten zu ihrem Wagen zurück. Im Vorbeigehen blickten sie in den dunkelroten Dodge Ram der Morrisons, einen älteren Pick-up mit großer Ladefläche. Am Innenspiegel baumelten zwei schwarze Plüschwürfel. Auf dem Beifahrersitz lag ein Waffenmagazin.

      Sie gingen achselzuckend weiter und stiegen in ihren Geländewagen. In einem niedrigen Gang fuhren sie zum Highway zurück. Mittlerweile hatte es aufgehört zu schneien, sodass zwischen den Wolken der Mond und einige Sterne zu sehen waren.

      »Ich hätte schwören können, dass in dem Schuppen was nicht stimmt«, sagte Erhart. »Haben Sie gesehen, wie sie einander angesehen haben? Als wollten sie sich über uns lustig machen. Ich bin sicher, er ist unser Mann. Wenn wir ihm nicht schon ein paarmal auf den Fersen gewesen wären, würde ich sagen, ich hab mich da vielleicht in was verrannt, weil ich den Kerl nicht ausstehen kann. Aber er war schon beim letzten und beim vorletzten Mal unser Hauptverdächtiger, und wir hatten schon so viele Indizien beisammen, dass es beinahe für eine Anklage gereicht hätte. Auf keinen Fall ist er das Unschuldslamm, als dass er sich ausgibt. Er wildert, da gibt es keinen Zweifel, und ich bin ziemlich sicher, dass er auch den Elch auf dem Gewissen hat.«

      »In der Gefriertruhe war kein Wild«, betonte Julie noch einmal, »und im Kühlschrank erst recht nicht. Obwohl ich auch nicht glaube, dass sie unschuldig sind. Seine Frau war ziemlich nervös, als er das Schloss zum Schuppen geöffnet hat.«

      »Dann haben sie das Fleisch vielleicht doch im Schuppen versteckt«, überlegte Erhart laut, »aber wo?« Er überholte eine ältere Dame in einem Kleinwagen und brummte einen leisen Fluch. »Der Kerl ist gerissen, aber genau das wird ihm das Genick brechen. Wenn sich ein Straftäter der Polizei überlegen fühlt, begeht er meist einen Fehler, und so wird es auch bei ihm sein.«

      »Schön wär’s«, sagte Julie. »Können Sie mich bei den Hunden absetzen?«

      Ranger Erhart bog zum Nationalpark ab und hielt den Wagen oberhalb der Hundezwinger an. »Danke fürs Mitkommen«, sagte er. »Ich weiß, Sie wollen als Interpretive Ranger arbeiten, aber an Ihrer Stelle würde ich mir das noch mal überlegen. Bei unserer Truppe sind gute Leute immer willkommen.«

      »Ich werd’s mir überlegen, Ranger. So long.«

      »So long«, erwiderte er ihren Westerngruß.

      4

      Es war schon nach Mitternacht, als Julie aus einem Traum aufschreckte. Ihre Huskys heulten so laut und nervös, als wäre jemand in ihre Zwinger eingebrochen und würde sie ernsthaft bedrohen. Doch als sie sich aufsetzte und die Augen öffnete, merkte sie schnell, dass die Hunde nicht nur in ihrem Traum geheult hatten. Auch jetzt noch drangen ihre ängstlichen Laute durchs Camp.

      Sie glaubte Chuck herauszuhören, der alles andere als ängstlich war, und sprang aus dem Bett. »Carol!«, weckte sie ihre Vorgesetzte, die längst zur guten Freundin geworden war. »Mit den Huskys stimmt irgendwas nicht!« Sie zog sich in Windeseile an und öffnete die Tür zum Nachbarzimmer. Carol schlüpfte bereits in ihren Anorak. »So jaulen sie nur, wenn sie Angst haben.«

      Sie stürmten nach draußen und rannten zu den Hundezwingern. Die eisige Kälte raubte ihnen beinahe den Atem. Am Himmel hingen nur noch wenige Wolken, und in der Ferne flackerten Nordlichter über den Berggipfeln. Weder Julie noch Carol hatten Augen für das Naturschauspiel. Sie waren nur um die Huskys besorgt, in deren Jaulen sich nun auch wütendes Bellen mischte. Gleich darauf übertönte dröhnendes Motorengeräusch die Tierlaute. Die Motoren zweier Snowmobile.


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