Butler Parker Classic 37 – Kriminalroman. Günter Dönges
Parker und das »Mord-Phantom«
Roman von Günter Dönges
Paul Walton war mehr als zufrieden.
Schnaufend stieg er von dem schmalen und hohen Barhocker herunter und nickte dem Koch hinter dem Tresen des Schnellimbiß anerkennend zu. Dann ging er mit den schnellen, kleinen Schritten, wie sie korpulenten Personen eigen sind, hinaus zu seinem Wagen und setzte sich ans Steuer.
Er war eigentlich in zweifacher Hinsicht mehr als zufrieden.
Das eben servierte Steak hatte sich als überraschend zart, saftig und würzig erwiesen. Und das Auftragsbuch in seiner großen Ledertasche war genauso gut gefüllt wie jetzt sein Magen.
Paul Walton war Vertreter für Schnellkochtöpfe. Zwei Tage lang war er unterwegs gewesen. Im Gegensatz zu seinen sonstigen Reisen hatte er diesmal seine Zunge kaum zu strapazieren brauchen. Die Auftragsbücher hatten sich fast von allein gefüllt.
Die lange Nachtfahrt zurück nach Chikago schreckte ihn nicht. Schließlich hatte er ein Radio an Bord. Und schließlich war da die innere Freude über die eingeholten Aufträge. Solch ein gutes Geschäft hatte er schon lange nicht mehr gemacht.
Nachdem Walton sich eine Zigarette angezündet hatte, steuerte er den Ford auf die Landstraße hinaus, schaltete hoch und ging dann auf Reisegeschwindigkeit. Die Nacht war zwar etwas dunstig, doch das machte ihm nichts aus.
Walton fuhr ohnehin niemals schnell. Dazu fühlte er sich zu alt. Er war immerhin bereits 53 Jahre und lag in einem Dauerkampf mit seinem leicht erhöhten Blutdruck.
Der Verkehr auf der gut ausgebauten Überlandstraße war gering. Nach 22 Uhr gingen die meisten Fahrer von der Straße. Walton setzte sich bequem in seinem Sitz zurecht und schaltete das Radio ein. Irgendein stadtnaher Sender brachte genau die richtige Musik für ihn. Leichter Swing, der den Ohren schmeichelte. Die eingeblendeten Reklamedurchsagen ließen sich verschmerzen. Sie waren immerhin witzig.
Walton überholte nacheinander einige Trucks und mußte plötzlich voll in die Bremsen steigen, als er hinter einer scharfen Biegung in eine überraschend dichte Nebelwand geriet. Für Bruchteile von Sekunden verlor er die Richtung, doch dann strahlten die Begrenzungspfähle am Straßenrand wie Katzenaugen auf. Walton fing den Wagen ab und brachte ihn wieder auf Kurs.
Langsam tastete er sich durch den dichten Nebel, der von einem nahen Bach aufstieg. Die Frontscheibe des Wagens beschlug. Er mußte die Wischer in Tätigkeit setzen. Die Swingmusik erwies sich jetzt als störend. Walton beugte sich vor und schaltete das Radio aus.
Genau in diesem Augenblick sah er vor sich im Nebel eine undeutliche Gestalt, die winkte.
Walton bremste den langsam rollenden Wagen noch weiter ab. Er kniff die Augen zusammen und war ungemein verblüfft. Dort vor ihm im wallenden Nebel stand ein Chirurg.
Der Mann trug das weiße randlose Käppchen der Chirurgen, den weißen, langen Operationsmantel und Gummihandschuhe. Ein Irrtum war ausgeschlossen. Selbst die weiße Mundbinde war vorhanden.
Walton dachte sofort an einen Unfall, der sich dort irgendwo zugetragen haben mochte. Sicherheitshalber hielt er den Wagen an und kurbelte die Wagenscheibe an seiner Seite herunter.
»Kann ich helfen, Sir...?« rief er dem entgegeneilenden Chirurgen zu.
»Unfall...!« kam die prompte Antwort des Arztes. Die Stimme des schlanken, mittelgroßen Mannes klang gehetzt. »Unfall... Zusammenstoß.«
»Soll ich die Polizei alarmieren?« fragte Walton und stieg aus dem Wagen.
Der Chirurg stand inzwischen vor ihm.
Irgendwie sah dieser Mann in seiner Berufskleidung unheimlich und drohend aus. Und Walton bedauerte es fast, daß er angehalten hatte und ausgestiegen war.
Dennoch hatte Paul Walton nicht etwa Angst. Dazu hatte er in seinem Leben als Vertreter schon zuviel erlebt. Zudem führte er kaum Bargeld mit sich. Die täglichen Abrechnungen und Bargeldeinnahmen brachte er Tag für Tag zur Bank. Und jedes noch so kleine Nest verfügte über eine Bankfiliale. Daran war kein Mangel.
»Soll ich die Polizei informieren?« fragte Walton noch einmal. Es irritierte ihn, daß der Chirurg nicht antwortete. Das Gesicht des Mannes verschwand hinter der Mundmaske. Nur die schwarzen, großen Augen waren zu erkennen.
»Polizei...?« fragte der Chirurg gedehnt zurück.
»Natürlich. Hier muß doch abgesperrt werden«, sagte Walton. »Hinter mir kommen ein paar dicke Lastwagen!«
Sein Blick glitt hinüber auf die Gummihandschuhe des Arztes. Sie waren blutverschmiert.
»He, Mann, hören Sie doch... Hier muß abgesperrt werden«, wiederholte Paul Walton noch einmal.
Mehr vermochte er nicht mehr zu sagen. Er wollte noch entsetzt aufschreien, als die blutverschmierten Gummihandschuhe sich blitzschnell um seinen Hals legten. Doch dazu kam es nicht mehr. Wie Stahlklammern schnürten ihm die Finger die Luft ab. Dann verlor Walton sein Bewußtsein und sein Leben...!
*
Josuah Parker servierte das Dinner.
Unnahbar, in gestreifter Weste und dunkler Hose, stand er seitlich hinter seinem jungen Herrn und reichte ihm die vielen, kleinen, lukullischen Spezialitäten, die er in der Küche der gemeinsamen Dachgartenwohnung in der Lincoln Park Avenue zubereitet hatte.
Anwalt Mike Rander hatte sich längst an diese Zeremonie gewöhnt. Butler Parker war einfach nicht dazu zu bewegen, sich ebenfalls an den Tisch zu setzen. Für einen eingeschworenen Butler, wie er einer war, blieb es undenkbar, sich zwanglos an den Tisch der Herrschaft zu setzen.
Mike Rander hatte einen langen Arbeitstag hinter sich. Er war zur Zeit mit einem äußerst wichtigen Zivilprozeß beschäftigt. Nach dem Dinner wollte er sich in sein Arbeitszimmer zurückziehen und einen Schriftsatz auf Band diktieren.
Parker wußte von dieser Absicht. Er mißbilligte sie ungemein. Seiner Ansicht nach arbeitete Mike Rander zuviel, und das augenblickliche Leben verlief ohnehin zu eintönig. Parker fehlten die aufregenden, prickelnden Kriminalfälle.
Er servierte seinem jungen Herrn gerade den abschließenden Mokka, als das Telefon klingelte.
»Ich bin nicht zu Hause«, sagte Rander, als Parker zum Apparat ging, das auf einem Sideboard stand.
»Auch für Ihre Freunde nicht, Sir?« erkundigte sich Parker, bevor er den Hörer in die Hand nahm.
»Grundsätzlich nicht«, gab Mike Rander mit einer abwehrenden Handbewegung zurück.
Parker nickte würdevoll zurück, ohne sich von dem gereizt klingelnden Telefon nervös machen zu lassen. Dann hob er mit genau abgezirkelten Bewegungen den Hörer ab und meldete sich.
Mike Rander war in Gedanken bereits bei seinem Schriftsatz und drehte sich nicht zu seinem Butler um, der stocksteif, als habe er einen Ladestock verschluckt, vor dem Sideboard stand und den Anruf entgegennahm.
Ein Umdrehen hätte sich allerdings vielleicht für ihn gelohnt.
Parker, dessen Gesicht kaum eine Regung zeigte und eigentlich immer wie die undurchdringliche Maske eines erstklassigen Pokerspielers aussah, Parkers Antlitz zeigte diesmal so etwas wie Bewegung. Seine Gesichtshaut rötete sich. Seine eisgrauen Augen nahmen einen interessierten Ausdruck an.
Nach wenigen Minuten legte der Butler wieder auf und ging würdevoll wie ein Haushofmeister zum Tisch zurück.
»Anruf von Leutnant Madford«, meldete der Butler dann. »Er bedauert es ungemein, daß er Sie, Sir, nicht sprechen konnte.«
»Was liegt denn an?« erkundigte sich Rander desinteressiert.
»Leutnant Madford ist vor wenigen Minuten darüber verständigt worden, Sir, daß Steve Bradsen die Flucht aus der geschlossenen Abteilung der staatlichen Heilanstalt gelungen ist.«
»Wer ist geflüchtet?« Mike Rander setzte die Mokkatasse ab und sah seinen Butler verständnislos an.
»Steve