Familie Dr. Norden Classic 36 – Arztroman. Patricia Vandenberg
Sie konnte sich nicht erinnern, den Namen Trebnitz schon mal gehört zu haben und wollte sich überzeugen, ob sie die Patientin früher mal gesehen hätte. Sie hatte ein gutes Namens- und auch Personengedächtnis, und wenn ihr etwas im Kopf herumspukte, mußte sie sich Gewißheit verschaffen.
Jenny freute sich, sie zu sehen. »Es muß doch immer erst mal was passieren, damit du den Weg zu uns findest«, meinte sie mit sanftem Vorwurf.
»Ich weiß doch, wieviel ihr zu tun habt, da will ich lieber nicht stören, nur um zu plaudern, aber ab und zu sollten wir schon mal wieder Zeit finden zu einem Treffen.«
»Wenn wir doch nur mal längerfristig einen Assistenzarzt bekämen«, seufzte Jenny, »aber diese jungen Burschen sind alle so ehrgeizig und möchten gar zu gern auch mal Professor werden.«
»Aber einigen muß doch klar sein, daß es so viele Professuren nicht gibt. Seid ihr vielleicht ein bißchen zu wählerisch?«
»Du kennst doch Dieter, er hat an jedem etwas auszusetzen. Ich mische mich da lieber nicht ein, sonst kriegt Dieter auch noch einen Eifersuchtsanfall.«
»Das ist also der Grund, warum er keinen jungen Arzt in deiner Nähe haben will. Ihr hattet aber schon mal ein paar Aushilfen, die sehr brauchbar waren.«
»Die aber andere Pläne hatten. Ich kann mich nicht darum kümmern, Fee, das würde Dieter erst recht nicht passen. Er hat schon seine Eigenheiten.«
»Aber du weißt doch, was du wert bist, Jenny.«
»Aber Dieter ist für mich am wichtigsten, und ich bin froh, daß ich für ihn so wichtig bin.«
Sie hatte sehr viel durchgemacht, bis sie Dieters Partnerin geworden war, seine ihm dann unersetzliche Frau, denn mit Frauen hatte er sich vorher immer schwergetan. Jenny war als Ärztin im Einsatz in der dritten Welt gewesen. Sie hatte dort beruflich und auch persönlich Schlimmes erlebt und lange gebraucht, um mit diesen Erfahrungen fertig zu werden. Dieter hatte ihr dabei geholfen, und es war zu verstehen, daß sie es ihm für alle Zeiten dankte.
»Kümmern wir uns jetzt um Frau Trebnitz«, sagte Jenny, »dann muß ich nach zwei Frischoperierten sehen.«
*
Rebecca Trebnitz, unter diesem Namen wurde sie nun in der Behnisch-Klinik geführt, wenn auch noch niemand wußte, wer für ihre Pflege aufkommen würde. Das war in diesem Fall zweitrangig, denn dank einer unerwarteten Erbschaft war ein Fonds vorhanden, aus dem für Notfälle Zuwendungen zur Verfügung standen. Natürlich mußte man auch in dieser Klinik darauf bedacht sein, kostendeckend zu arbeiten.
Die Patientin lag still im Bett. Sie warf sich nicht mehr hin und her wie am Vortag und phantasierte auch nicht mehr.
Fee Norden war immer noch Ärztin genug, um festzustellen, daß sie nicht im tiefen Schlummer lag, sondern mehr vor sich hindämmerte. Sie betrachtete das schmale Gesicht und konnte nicht feststellen, es schon einmal gesehen zu haben, aber es erinnerte sie dennoch an ein anderes, wenn es auch nur eine flüchtige Erinnerung war.
Fee hatte sich entschlossen, die andere mit dem Vornamen anzusprechen und das tat sie auch. Doch es kam keine Reaktion. »Ich bin Fee Norden«, sagte sie, und ruckartig hoben sich die Lider und die blauen Augen sahen sie ängstlich forschend an. »Ich möchte Ihnen helfen, Ihre Erinnerung wiederzufinden«, fuhr Fee fort. »Ist Rebecca Trebnitz Ihr richtiger Name?«
Tränen stahlen sich aus den Augenwinkeln der Kranken. »Ich weiß es nicht, wo ist meine Tasche, meine Sachen?«
»Sie hatten nichts bei sich, als man Sie fand, so wurde es mir gesagt. Woran können Sie sich erinnern?«
»Ich glaube, ich war krank, sehr lange krank. Ich muß Timmy suchen, er hat ihn mir weggenommen.«
»Ihr Mann?« fragte Fee, die zuckende Hand umfassend.
»Ich kann niemand trauen«, sagte sie nach einem minutenlangen Schweigen.
»Mir können Sie vertrauen, ich bin die Frau von Dr. Norden, der gestern bei Ihnen war. Wir sind Ärzte. Was Sie sagen, erfährt niemand.«
»Ich muß nachdenken. Kommen Sie morgen wieder.«
Sie hat entsetzliche Angst, dachte Fee. Was hat man ihr angetan? Daniel mag recht haben, daß Benno sich mit ihr befassen soll, aber wird er etwas erreichen können? Jedenfalls mußte er mit aller Vorsicht vorgehen.
Als sie das Krankenzimmer verließ, kam Jenny Behnisch sehr eilig vom Empfang her. »Geh nicht gleich, Fee, ich muß dir etwas zeigen, was uns eben gebracht wurde.«
Fee ging mit ihr ins Büro. Jenny nahm eine schwarze Umhängetasche aus ihrem Schreibtisch.
»Sie wurde unweit der Stelle, an der Rebecca lag, in einem dichten Gebüsch gefunden. Die Polizei hat alles noch einmal abgesucht. Schau mal, was darin ist.«
Es war eine Brieftasche mit zwei Reisepässen. Einer war auf den Namen Rebecca Trebnitz ausgestellt, der andere auf den Namen Jennifer Sestrum. In diesem befand sich ein Foto, das der Patientin ähnlich war, während das Foto von Rebecca Trebnitz eine dunkelhaarige Frau mit vollerem Gesicht darstellte. Paßfotos waren meist nicht schmeichelhaft, aber diese Rebecca konnte man dennoch als attraktiv bezeichnen.
»Es wird immer rätselhafter«, sagte Fee nachdenklich.
»In der Geldbörse befinden sich österreichische Schillinge und italienische Lire, und das hier«, sie zeigte Fee das Foto eines etwa einjährigen bildhübschen Kindes, das ein Junge aber auch ein Mädchen sein konnte.
»Was denkst du, Fee?« fragte Jenny.
»Was soll ich denken, ich habe kein bißchen Ahnung, was das gewesen sein könnte. Ich denke nur, daß sie schreckliche Angst hat.«
»Ob sie Schuldgefühle hat? Sie könnte etwas getan haben, vor dem sie flieht.«
»Du meinst wegen der beiden Pässe? Vielleicht war die andere bei ihr, und sie ist ihr weggelaufen. Das sollte die Polizei herausfinden. Sei es, wie es sei, Jenny, wenn sie nicht redet, finden wir keine Erklärung.«
»Ich möchte ihr gern helfen, sie hat viele Narben am Körper, die kommen nicht nur von einem Sturz.«
»Ich möchte ihr auch helfen«, sagte Fee. »Du meinst, sie sei mißhandelt worden?«
»Es könnte sein.«
»Vielleicht hatte sie einen Mann von einer Nationalität, bei der andere Sitten herrschen.«
»Und der ihr Kind entführt hat?«
»Ich weiß nicht, ob es um ihr Kind geht. Vielleicht war sie ein Babysitter.«
»Jetzt sind wir wieder mal beim Kombinieren«, meinte Jenny
»Aber ich sehe kein bißchen Licht. Rebecca Trebnitz, Jennifer Sestrum, diese beiden Namen sind alles, was wir genau wissen.«
»Es liegt keine Vermißtenmeldung auf einen dieser Namen vor, und es ist keine Anzeige gegen eine dieser Personen erstattet worden.«
»Dann werden wir etwas unternehmen. Ich spreche mit Benno Heinze. Wenn er keine Zeit hat, setze ich mich mit der Psychiatrie in Verbindung.«
»Ich habe Benno schon angerufen, er kommt heute nachmittag«, erklärte Jenny.
Sie reichten sich lächelnd die Hände, waren sich wieder einmal ganz einig, wie schon so oft, ohne Vorurteile, bereit zu helfen.
*
»Wann kommt meine Mami endlich?« fragte der kleine blonde Junge trotzig. Die dunkelhaarige Frau starrte weiterhin zum Fenster hinaus, ohne zu reagieren.
»Ich habe dich gefragt, wann meine Mami kommt«, beharrte das Kind, »du hast gesagt, daß sie nicht lange bleibt. Jetzt ist sie aber schon sehr lange weg. Wieviel Tage?«
»Hör endlich auf mit der Fragerei, iß lieber.«
»Ich will das Zeug aber nicht essen. Du kannst nicht gut kochen, und warum heißt du jetzt Jackie?«
»Du