Familie Dr. Norden Classic 36 – Arztroman. Patricia Vandenberg

Familie Dr. Norden Classic 36 – Arztroman - Patricia Vandenberg


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stieß er böse hervor, »ich weiß es. Hier ist es nicht schön, bei uns war es schön. Ich will zu meiner Mami. Mami, Mami!« schrie er.

      »Sei ruhig, Tim, sonst kommst du in den Keller«, fuhr sie ihn an. »Meinst du, mir macht es Spaß, auf so einen ungezogenen Jungen aufzupassen?«

      »Du brauchst nicht auf mich aufzupassen, du brauchst mich nur zu meiner Mami zu bringen. Ich kann dich nicht leiden, und Sascha kann ich auch nicht leiden.«

      »Aber Sascha ist dein Vater, und wenn deine Mami nicht kommt, wirst du bei deinem Vater bleiben, hörst du?«

      Der Junge sah sie mit einem Ausdruck an, dem sie nicht standhalten konnte. Sie drehte sich wieder um.

      »Ihr seid gemein, so gemein«, sagte das Kind aufschluchzend. »Der liebe Gott wird euch strafen, ihr werdet es schon sehen. Der Marshal wird kommen und euch einsperren. Er wird Mami suchen, das weiß ich, und ich werde ihm sagen, daß du erst Rebecca heißt und dann plötzlich Jackie.«

      Sie war plötzlich hellhörig geworden und änderte ihren Tonfall.

      »Von wem redest du überhaupt, Timmy?« fragte sie sanft.

      »Vom Marshal, das habe ich doch gesagt, er heißt auch noch Steven. Er ist groß und stark.«

      »Und wo ist er jetzt?« fragte sie mit einem lauernden Blick.

      Tim verschränkte die Hände auf dem Rücken. »Das sag’ ich nicht. Aber ich sage meiner Mami, daß du nicht mehr meine Tante sein darfst, weil du lügst und böse bist.«

      Sie ging wieder zum Fenster und hob lauschend den Kopf. »Ich will nicht mit dir streiten, Tim, du ißt jetzt und dann legst du dich hin. Wenn du lieb bist, fahren wir morgen zu deiner Mami.«

      Seine Unterlippe schob sich trotzig vor. »Ich glaub’ dir nichts mehr«, sagte er heftig.

      *

      Schnell ging sie hinaus, denn sie hatte richtig gehört, ein Auto war gekommen. Ein Mann stieg aus. Er war mittelgroß und schlank, hatte dunkles, fast schwarzes Haar und trug einen dunklen Trenchcoat. Sie lief ihm entgegen.

      »Was soll das?« fuhr er sie an. »Du sollst auf den Jungen aufpassen.«

      »Meinst du, es macht Spaß, mir dauernd sein Gerede anzuhören? Er will zu seiner Mami, wann werden wir ihn endlich los?«

      »Der Alte schaltet auf stur. Er will erst mit seiner Tochter sprechen.«

      »Er hat sechs Jahre kein einziges Wort mit ihr gesprochen, du wirst ihm doch seinen Enkel präsentieren. Er hat Geld wie Heu.«

      »Je mehr Geld sie haben, desto geiziger sind die Reichen. Wenn er nicht zahlt, lassen wir Tim laufen. Wenn wir Jennifer gefunden haben, wird sie das Geld beschaffen.«

      »Was willst du nun eigentlich, den Jungen laufen lassen oder Jennifer suchen? Ich habe gedacht, du hast alles genau durchdacht?«

      »Es ist eben manches schiefgegangen, wie du weißt.«

      »Bist du Tims Vater, oder bist du es nicht? Der Junge ist zwar erst vier, aber er ist nicht dumm. Er macht sich Gedanken und hat von einem Mann geredet, der Steven heißt, entweder ein Marshal ist oder diesen Nachnamen hat. Ich habe nie von so einem Mann gehört, und du bist anscheinend auch nur sehr mäßig informiert. Dein Gerede, daß du alles durchdacht hast, ist unglaubwürdig.«

      »Hast du nicht auch gesagt, daß du alles über Jennifer weißt? Mach jetzt keine Zicken, Jackie, wir sitzen im selben Boot. Wir sollten nicht vergessen, daß Jennifer wahrscheinlich noch lebt und es eine Rebecca Trebnitz gibt, die nach ihr suchen könnte.«

      »Und daß es keine rechtmäßige Heirat zwischen dir und Jennifer gibt«, höhnte sie. »Ich habe keine Lust, für etwas zu bezahlen, was du verbockt hast.«

      In seinen Augen war jetzt ein Ausdruck, der sie warnte und ihr Angst einjagte.

      »Bist du es nicht, die nicht genug bekommen kann und voller Neid ist auf die, die in eine goldene Wiege hineingeboren sind und die sich außerdem so schlau dünkt, daß sie alles mit links macht.«

      »Wenn du mir den alten Sestrum überlassen hättest, wären wir bestimmt schneller zum Ziel gekommen. Er liebt junge Frauen.«

      »Er hat eine, und sie heißt wirklich Rebecca«, sagte er zynisch. »Und ich glaube, daß sie unseren Plan vermasselt hat.«

      »Wieso?«

      »Weil sie selber geldgierig ist. Sie beherrscht den Alten.«

      »Aber sie hat es noch nicht geschafft, daß er sie heiratet. Wenn es ihm nun völlig gleichgültig ist, was mit seiner Tochter wird, da er so von ihr enttäuscht wurde? Und wenn er längst mit der Polizei Kontakt aufgenommen hat?«

      »Hier wird uns niemand suchen, wenn du nicht die Nerven verlierst. Ich werde mir schon etwas einfallen lassen.«

      »Du hättest dich nicht mit Mirko einlassen sollen. Ich habe ihm gleich nicht getraut. Wenn er nun das Lösegeld kassiert hat und abgehauen ist?«

      Er hatte das auch schon gedacht, aber noch nicht wahrhaben wollen.

      »Lassen wir solche Vermutungen. Er ist vorsichtig und wird uns schon noch mitteilen, wohin er Jennifer gebracht hat. Du solltest den Jungen aushorchen, wer dieser Marshal ist.«

      »Ich glaube, daß er eine von seinen Phantasiefiguren ist. Er denkt sich selber Geschichten aus.«

      »Aber es könnte auch etwas Wahres dabei sein.«

      »Ich habe es mir leichter vorgestellt, mit ihm umzugehen, aber mir dauert es zu lange und er ist zäh. Ich möchte endlich Geld sehen und verschwinden.«

      Sascha kniff die Augen zusammen und ging an den Kühlschrank.

      »Du hast ganz schön was weggetrunken«, stellte er fest.

      »Irgendwie muß ich die Zeit überstehen«, erwiderte sie gereizt. »Hoffentlich hast du auch Proviant mitgebracht.«

      »Genug für die nächsten Tage, aber ich muß sparen. Wenn nicht bald etwas reinkommt, schicken wir den Jungen im Sack zurück.«

      »Willst du ihn umbringen?« fragte sie heiser.

      »Meinst du etwa, ich werde ihn durchfüttern? Er ist schlau, das sagst du, er könnte uns ans Messer liefern.«

      »Und alles für nichts und wieder nichts«, murmelte sie.

      »Warte ab, ob er nicht doch auf den letzten Anruf reagiert. Heute abend um neun Uhr entscheidet es sich. Jetzt will ich etwas essen.«

      *

      Es gab eine Rebecca Trebnitz, und man konnte nicht von ihr sagen, daß sie ein zartbesaitetes Wesen wäre. Für sie war Geld von Kindheit an ein Anreiz gewesen, alles mögliche zu tun, um dazu zu kommen. Man konnte ihr nachsagen, daß sie sehr zielstrebig vorgegangen war.

      Ihr war es ein Dorn im Auge gewesen, daß Arno Sestrum ihre Mutter links liegen ließ, denn schließlich war sie auch eine geborene Sestrum, wenn auch nur eine Cousine des reichen Finanziers, der eine Spürnase für glänzende Geschäfte hatte, und für den die Volksweisheit hundertprozentig zutraf, daß Geld zu Geld kommt, denn er hatte auch eine sehr reiche Frau geheiratet, während Isolde Sestrum an einen Möchtegernmillionär geraten war, der meinte, bei den Sestrums einheiraten zu können. Mit dieser Ehe hatte sie es dann erreicht, daß alle Brücken zu ihr abgebrochen wurden, und so war Rebecca nicht in eine goldene Wiege gelegt worden wie die noch entferntere Cousine Jennifer, auf die Rebecca immer voller Neid blickte.

      Aber Rebecca hatte geschafft, was niemand für möglich gehalten hatte, sie hatte sich Arno Sestrums Wohlwollen errungen. Sie brachte alles mit, was er an Frauen liebte, war attraktiv und verführerisch, sie war sehr ehrgeizig und völlig unsentimental. Dazu überaus geschäftstüchtig, und davon hatte in seinen Augen seine Tochter Jennifer nichts. Er machte sich keine Gedanken darüber, wie Rebecca es geschafft hatte, sich bei ihm einzunisten, er war ihr inzwischen hörig.

      Sie war zweiunddreißig, er war fünfundsechzig,


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