Dr. Brinkmeier Classic 6 – Arztroman. Sissi Merz
Es war ihr nicht recht, daß Sebastian schlecht von ihr dachte. Gern hätte sie ihm etwas Versöhnliches gesagt, denn sie konnte es nicht ertragen, wenn sie einander nicht gut waren. Aber sie zögerte. Solange ihre Bedenken nicht völlig ausgeräumt waren, hatte es keinen Sinn, sich zu ihren Gefühlen zu bekennen. Ja, sie hatte Sebastian lieb, dieser Erkenntnis konnte die schöne Hoftochter nun nicht mehr ausweichen. Aber dieses Gefühl allein konnte nicht ausreichen als solide Basis für eine Ehe. Erst wenn Tina wußte, daß sie dem Burschen hundertprozentig vertrauen konnte, wollte sie die Seine werden.
*
Als Thomas Haag aus dem Stall kam, kehrten Tina und Sebastian eben von ihrem Spaziergang zurück. Der Bauer merkte gleich, daß etwas nicht stimmte. Der Großknecht verschwand wortlos im Gesindehaus, während Tina noch eine Weile an der Haustür stand und ihm unschlüssig nachschaute.
»Na, habt ihr Streit?« fragte Thomas seine Schwägerin.
»Schmarrn, es ist alles in Ordnung«, behauptete diese jedoch und lief die Stiege hinauf zu ihrer Kammer. Thomas schüttelte leicht den Kopf. Er betrat die gute Stube, wo Birgit noch vor dem Fernseher saß. Ihm fiel auf, wie blaß seine Frau ausschaute und er mußte wieder an das denken, was Dr. Brinkmeier ihm gesagt hatte. Sorge schlich sich in sein Herz, er gab sich aber Mühe, es nicht zu zeigen. Mit einem Lächeln setzte er sich neben seine Frau aufs Sofa und legte einen Arm um ihre schmalen Schultern. Birgit schmiegte sich an ihn und wollte wissen: »Im Stall alles in Ordnung? Du warst heut länger drüben als sonst.«
»Die Milli, die bald kalben soll, macht mir ein bisserl Sorge. Der Viehdoktor hat mir geraten, sie gut im Auge zu behalten. Ist immerhin eine unserer besten Milchkühe.«
»Mit dem Kalben hat sie Probleme, das ist nix Neues.« Die Bäuerin lächelte verloren. »Leider geht es da den Tieren wie den Menschen, net wahr?«
»Wie fühlst dich denn? Hat der Doktor dir was Bestimmtes geraten, ist er denn mit dir zufrieden?«
»Ich denke schon. Du mußt dir auch net immer so viele Sorgen um mich machen. Schließlich bin ich nicht die erste Frau, die ein Butzerl erwartet.« Sie schaute ihn fragend an. »Magst noch was essen? Oder ein Glaserl Wein trinken?«
Thomas gähnte verhalten. »Na, lieber net. Ich möchte am liebsten gleich ins Bett.«
»Ja, hast recht. Ich bin auch müde.« Sie schaltete den Fernseher aus. »Ist die Tina schon zurück?«
»Eben heimgekommen. Ich glaub, sie hat einen Streit mit dem Bastian gehabt. Sagen wollte sie mir nix, ist rasch in ihrer Kammer verschwunden. Meinst, aus den beiden wird was werden? Ich würde es gerne sehen, der Bastian ist fleißig und rechtschaffen. Aber deine Schwester kann sich wohl net recht entscheiden.«
»So einfach ist es nicht. Die zwei haben sich, glaube ich, schon lieb. Aber die Tina ist nicht sicher, ob der Bastian es nicht vielleicht nur aufs Einheiraten abgesehen hat.«
»Da tut sie ihm Unrecht. Der Bursch ist ein ehrlicher Mensch, ich meine, sie kann ihm vertrauen. Einen Besseren wird sie eh net finden. Er hat sie von Herzen lieb.«
»Hast mit dem Bastian über die Tina geredet?«
»Hin und wieder. Er gibt sich da eher verschlossen. Aber was er so sagt, klingt aufrichtig. Wennst mich fragst, dann könnten wir beide zufrieden sein, so einen Schwager zu bekommen.«
»Warten wir es ab.« Die Bäuerin lächelte schmal. »In erster Linie muß er schließlich der Tina gefallen…«
Das junge Mädchen lag noch lange wach, der Schlaf wollte einfach nicht kommen. Zu viel ging Tina im Kopf herum. Sie fragte sich, ob sie an diesem Abend einen Fehler gemacht hatte. Und sie wurde das Gefühl nicht los, Sebastian verletzt zu haben. Am liebsten wäre sie jetzt noch zu ihm gegangen und hätte ihn um Verzeihung gebeten. Aber das ging natürlich nicht.
Die Uhr zeigte schon weit nach Mitternacht, im Haus war es ganz still, als Tina aufstand und nach unten in die Küche ging. Sie wollte sich ein Glas Milch wärmen, hoffte, danach endlich schlafen zu können. Als sie die Stiege nach unten ging, erschrak sie aber heftig. In der Diele ging jemand herum. Wie ein Schattenriß wirkte die Person, die Tina nicht erkennen konnte. Sie trat leise an den Fuß der Stiege und schaltete das Licht an.
»Birgit! Was machst du denn um die Zeit hier unten? Ist dir was?« Die zweite Frage erübrigte sich eigentlich, dann die Bäuerin war überblaß, Schweiß stand auf ihrer Stirn und sie hatte beide Hände vor den Bauch gepreßt. »Birgit, was…«
»Es ist nix, ich hab’ nur leichte Schmerzen. Mußt dir keine Sorgen machen«, wollte sie abwiegeln, aber die Schwester gab sich damit nicht zufrieden. Sie legte einen Arm um Birgits Schultern, führte sie langsam in die Küche zur Eckbank und setzte sich dann zusammen mit ihr nieder. »Soll ich den Doktor anrufen? Solche Schmerzen, die sind doch ein Alarmzeichen. Weißt nimmer, beim letzten Mal…«
»Es ist aber net so wie beim letzten Mal! Es ist… ganz anders«, fauchte Birgit, dann konnte sie die Tränen nicht mehr zurückhalten. Sie verbarg das Gesicht in den Händen und schluchzte: »Ach, Tina, ich weiß nicht, was werden soll. Ich bin doch erst im vierten Monat. Wie soll ich den Rest der Zeit bloß überstehen, wenn es mir jetzt schon so schlecht geht?«
Das Mädchen schwieg, es hatte darauf auch keine Antwort. Statt dessen erhob Tina sich, goß etwas Milch in einen Topf und wärmte zwei Becher, in die sie etwas Honig und Muskat gab. Birgit lächelte schwach. Sie hatte sich wieder gefangen, bat leise: »Entschuldige, ich hab’ mich eben nimmer in der Gewalt gehabt.«
»Ist schon recht. Wennst net willst, daß ich den Doktor hole, dann versprich mir wenigstens, in den nächsten Tagen zur Untersuchung zu gehen.« Sie merkte, daß ihre Schwester widersprechen wollte, und beharrte: »Es ist ja nur zu deinem Besten. Falls was net stimmt, kann der Doktor Brinkmeier dir schon frühzeitig helfen.«
Birgit senkte den Blick. »Ja, du hast wahrscheinlich recht. Ich werde zu ihm gehen. Auch wenn ich mich davor fürchte…«
*
Max Brinkmeier wollte eben das Haus verlassen, als am Klingelstrang gezogen wurde. Es war Samstagabend und er war bei Anna Stadler, der Apothekerin von Wildenberg, zum Essen eingeladen. Die beiden kannten sich von Kindesbeinen an, hatten nun nicht nur beruflich miteinander zu tun, sondern waren auch privat befreundet. Daß die hübsche Blondine ein wenig in ihn verliebt war, wußte Max natürlich. Aber bisher hatte sie die Tatsache respektiert, daß sein Herz einer anderen gehörte.
»Ich mache auf«, rief der Landarzt, während er die Stiege nach unten lief. Gleich darauf stand ihm eine elegante Blondine in mittleren Jahren gegenüber, die er noch nie gesehen hatte. Sie schenkte ihm ein strahlendes Lächeln und flötete: »Sie können nur Max Brinkmeier sein. Josef hat mir viel von Ihnen erzählt. Und Sie sind Ihrem Vater wirklich wie aus dem Gesicht geschnitten.« Sie lächelte zuckersüß. »Ich bin Valeska Kaiser.«
»Oh, aha.« Max erwiderte ihr Lächeln ein wenig gezwungen. »Sie wollen gewiß zu meinem Vater. Er hat mir gesagt, daß Sie hier in Wildenberg ein wenig Urlaub machen.«
»Na ja, Urlaub würde ich das nicht nennen. Ich bin ja extra wegen ihm hier. Wissen Sie, wir haben uns in Meran so gut verstanden. Und es heißt ja nicht umsonst, nur wer die Sehnsucht kennt…« Sie lachte gekünstelt. »Ist er denn daheim?«
»Ja, er ist oben. Warten Sie, ich sage ihm rasch Bescheid. Kommen Sie doch herein, es ist kalt draußen.«
»Danke schön.« Valeska blickte sich neugierig um, während Max die Wohnung seines Vaters betrat, der bereits hinter dem Fenster in der guten Stube stand. »Ist sie es?« fragte er angespannt. Und als sein Sohn nickte, bat er eindringlich: »Schick sie weg, Max, bitte! Die Frau raubt mir den letzten Nerv. Und sie kennt die Bedeutung des Wortes ›nein‹ nicht.«
»Mei, Vater, so einen schlechten Eindruck hat sie gar nicht auf mich gemacht«, hielt Max ihm entgegen. »Rede du halt mir ihr. Ich muß jetzt los, sonst komme ich zu spät zur Anna.«
»Typisch! Du verbringst einen netten Abend mit der Stadlerin und ich…« Er verstummte, als die Tür zur guten Stube geöffnet wurde, und Valeska Kaiser freudestrahlend