Im Sonnenwinkel Classic 40 – Familienroman. Patricia Vandenberg
mittelblondes Haar, das schon von vielen silbergrauen Fäden durchzogen war, ein sehr herbes, kühnes Gesicht mit tiefliegenden dunklen Augen, einer schmalen, leicht gebogenen Nase und einem gut geschnittenen Mund.
An diesem Morgen war er länger daheim, weil er eine Geschäftsreise antreten musste. Deshalb traf ihn der Postbote an, der ihm einen Einschreibebrief brachte.
»Dr. Heinz Rückert, Rechtsanwalt und Notar, Hohenborn«, lautete der Absender. Er hatte diesen Namen nie gehört und konnte sich auch keine Vorstellung machen, wo dieses Hohenborn lag.
Geschäftlich gab es bei ihm niemals Schwierigkeiten, dazu war er viel zu korrekt, und ein Privatleben hatte er schon lange nicht mehr.
Langsam öffnete er den Umschlag. Sein Gesicht wurde blass, als er diesen Brief las. Seine schmalen Hände zitterten leicht. Er fuhr sich mit der Hand über die Augen, weil er nicht begreifen konnte, was da stand.
Er hatte einen Sohn! Florence hatte ihn zur Welt gebracht, und mit vorsichtigen Worten teilte ihm dieser Dr. Rückert mit, dass sie das Kind seit der Geburt nicht mehr gesehen hätte. Emy Landell hatte es aufgezogen.
Er konnte sich gut an Emy Landell erinnern, obgleich er sie nur zweimal flüchtig gesehen hatte. Florence war bezüglich ihrer Familie immer eigenartig gewesen, deren Lebensstil sie spießig und überholt fand. Aber Florence war damals für ihn über jede Kritik erhaben gewesen. Er hatte sie geliebt und mit allen Fehlern und Schwächen, blind und taub gegen jede Mahnung seiner Freunde. Jetzt hatte er weder Freunde noch eine gute Erinnerung an Florence, aber vergessen hatte er sie nie.
»Ich habe einen sechsjährigen Sohn und wusste nichts von ihm«, sagte er laut vor sich hin, als müsse er es sich erst einprägen. Dann schlug die Biedermeieruhr, die ein liebes Erinnerungsstück an seine Mutter war.
Guter Gott, er musste ja Patricia Rendek abholen, seine Sekretärin, die ihn auf der Geschäftsreise begleiten sollte. Er hatte gesagt, dass er um zehn Uhr bei ihr sein wollte, und jetzt war es schon zehn Uhr.
Das Telefon läutete. Es war Patricia. Ihre weiche dunkle Stimme tönte an sein Ohr. Sie fragte besorgt, ob etwas dazwischengekommen sei.
Ja, es war etwas dazwischengekommen, was ihn Zeit und Pflichten vergessen ließ, aber den Grund konnte er ihr nicht sagen.
Er nahm zu der lahmen Ausrede Zuflucht, dass seine Uhr stehen geblieben sei. Er würde jetzt sofort kommen.
Patricia behielt den Hörer noch ein paar Sekunden in der Hand. Daniel Batton war die Zuverlässigkeit in Person. Sie glaubte ihn genau zu kennen, auch den Tonfall seiner Stimme, und ihr ging es durch den Sinn, dass nicht eine stehen gebliebene Uhr an seiner Verspätung schuld sei.
Eine Viertelstunde später stand er mit seinem Wagen vor ihrer Tür. Auch jetzt noch bevorzugte er rassige Sportwagen. Er fuhr keine Rennen mehr, aber wenn es darum ging, etwas zu verbessern und es dann selbst zu erproben, scheute er nicht zurück.
Patricia setzte sich nach einem kurzen kollegialen Händedruck neben ihn. Ihr Koffer wurde auf dem schmalen Rücksitz verstaut. Daniel wollte jetzt keine Zeit mehr verstreichen lassen, denn eine ziemlich weite Strecke lag vor ihnen.
Sie sah, dass er beunruhigt war. Dazu brauchte er gar nichts zu sagen. Seine Stimme klang heiser, als er sich bei ihr entschuldigte.
»Ist doch nicht der Rede wert«, sagte Patricia. Aber sie wunderte sich doch, dass er nicht wie sonst mit ihr über die bevorstehenden Verhandlungen sprach. Er hatte immer ein ganz genaues Konzept, auf das sie sich einstellen musste.
Heute dachte er an andere Dinge und immer wieder: Ich habe einen Sohn! Ihm wurde heiß und kalt dabei.
»Ist Ihnen nicht gut?«, erkundigte sich Patricia nun doch besorgt.
»Es ist alles okay«, erwiderte er.
Aber nichts war okay. Ihm war es, als hätte er den Boden unter den Füßen verloren. Vier Tage würden sie abwesend sein, und Dr. Rückert wartete bestimmt auf eine umgehende Antwort.
Was ist das für ein Kind, dachte Daniel. Ob es Florence ähnlich sieht? Das könnte ich nicht ertragen. Natürlich werde ich für den Jungen sorgen, wenn sie sich davor drückt.
Doch dann kam ihm jäh ein anderer Gedanke. Florence hatte ihm das Kind vorenthalten. Es hatte ein Anrecht auf Eltern. Sechs Jahre war er darum betrogen worden. Darüber konnte er nicht einfach hinweggehen.
Florence würde ihm erklären müssen, warum sie das getan hatte. Solche Geschehnisse konnte man nicht mit einer Handbewegung oder ein paar Worten aus der Welt schaffen.
Sie waren schon drei Stunden unterwegs, als Daniel fragte: »Machen wir eine Pause?«
»Wie Sie wollen«, erwiderte Patricia ruhig.
Sie hatten eine kleine Stadt erreicht, und er hielt vor einem Restaurant, das ganz einladend aussah.
Sie gaben eine Bestellung auf, und dann fragte Daniel plötzlich: »Wissen Sie, wo Hohenborn liegt?«
Patricia kannte Hohenborn zufällig. »Ein kleiner Ort in Süddeutschland am Sternsee«, sagte sie. »Dort sind die Münster-Werke. Ich weiß es, weil ich in meiner vorigen Stellung manchmal mit ihnen korrespondiert habe. Haben wir jetzt auch Verbindung mit den Münster-Werken?«
»Nein«, entgegnete er lakonisch und zwang sich, wieder von der Arbeit zu sprechen.
»Es wird ziemlich anstrengend werden«, sagte er, »aber vielleicht werden wir doch früher fertig. Würde es Ihnen etwas ausmachen, Fräulein Rendek, wenn wir dann über Hohenborn fahren würden? Ich habe dort eine Privatangelegenheit zu erledigen.«
»Mir macht es nichts aus«, antwortete Patricia. »Sie sind der Chef.«
Ihm fiel auf, dass sie dies von Zeit zu Zeit immer wieder betonte.
»Den Chef wollen wir doch nicht so sehr betonen«, sagte Daniel ruhig. »Ich denke, dass man uns als ein recht gut eingespieltes Team bezeichnen kann. Was würde ich ohne Sie machen, Fräulein Rendek?«
»Oh, ich bin bestimmt zu ersetzen«, entgegnete Patricia leichthin.
»Eines nicht zu fernen Tages wird man Sie mir doch wegheiraten«, stellte Daniel fest.
»Das glaube ich weniger. Mir gefällt meine Freiheit!«
Da hatten sie sich wieder festgefahren.
Sie fanden es beide recht schwierig, ein privates Gespräch miteinander zu führen.
Auch die Weiterfahrt verlief wortkarg. Am späten Abend erreichten sie Salzburg, wo sich Daniel am nächsten Morgen mit ausländischen Gesprächspartnern treffen wollte.
Die Hotelzimmer waren reserviert. Sie aßen noch eine Kleinigkeit. Dann zogen sie sich bald zurück, um für den nächsten Tag fit zu sein.
Daniel dachte noch lange Zeit an das Kind, das sein Sohn sein sollte, und plötzlich kamen ihm Zweifel. Es passte eigentlich nicht zu Florence, dass sie sich wortlos aus seinem Leben fortgestohlen hatte, ohne einmal davon zu reden, dass sie ein Kind erwartete.
Er wusste nicht, wie wenig er sie gekannt hatte, dass ihr das nicht zuzutrauen war. Eher glaubte er, dass es doch noch einen anderen Mann in ihrem Leben gab, als er selbst verunglückte.
Er gestand sich in diesen Minuten nicht ein, dass er zu solchen Gedanken nur Zuflucht nahm, weil es ihn fast erdrückte, ein Kind zu haben, von dem er nichts wusste, er, der Kinder über alles liebte und sich einmal so heiß ein Kind von Florence gewünscht hatte.
*
Florence Boyd hatte an diesem Tag die amtliche Nachricht bekommen, dass ihre Mutter verstorben sei. Sie hatte vor allem ein unbehagliches Gefühl dabei, weil sie den kleinen Eddy doch nicht ganz aus ihrer Erinnerung auslöschen konnte. Aber jetzt hatte sie einen Sohn, drei Jahre alt, der sie rasch auf andere Gedanken brachte.
Kim war ein maßlos verwöhntes Kind, der Abgott seines Vaters und vergöttert von seiner noch immer schönen Mutter, die alle Schuldkomplexe, die unbewusst in ihr schwelten, damit zum Schweigen bringen wollte,