Familie Dr. Norden Classic 39 – Arztroman. Patricia Vandenberg
Schaf, aus dem sie ein zweites gemacht haben, damit fing beim Professor alles an, wenn ich mich recht erinnere.«
»Du meinst das Schaf, das geklont wurde«, sagte Viktoria.
»Ich weiß nicht, was das heißt und wie das zustandekommt, aber der Professor hat gesagt, daß man das mit Menschen auch machen kann. Er hat noch Spaß gemacht und gemeint, es wäre gut, wenn wir eine zweite Marie hätten, damit nicht soviel Arbeit an mir hängenbleibt, aber ich arbeite lieber allein.«
»Es macht auch keiner so gut wie du«, sagte Viktoria ihr zum Trost. »Das Essen ist köstlich wie immer, Marie.«
»Es würde ja auch mehr Spaß machen zu kochen, wenn es gegessen wird, aber der Professor will kein Fleisch von anderen Viechern, nur vom Seithuber Michel, es ist wirklich nicht mehr einfach mit ihm. Aber vielleicht macht er sich wieder, wenn du jetzt zu Hause bist, Vicky. Du hast ihm halt arg gefehlt, wenn er es auch nicht sagt.«
»Ich geh’ jetzt mal zu ihm«, sagte Viktoria leise.
Vinzenz Romanus schlief.
Wie kann er nur so erschöpft sein, fragte sich Viktoria, als sie ihn betrachtete. Er ist wirklich keinen großen Belastungen ausgesetzt, wenn er sich nicht selbst Streß macht.
Machte er sich so viele Gedanken über den Fortbestand der Welt und der Menschen, daß er keine Ruhe mehr gefunden hatte, bis der Zusammenbruch gekommen war und er ärztlich behandelt werden mußte?
Ich muß unbedingt mit Dr. Norden sprechen, dachte sie, und genau wissen, was mit Vater los ist.
Ob er ihre intensiven Gedanken spürte? Ganz plötzlich schlug er die Augen auf, blinzelte und lächelte.
»Du bist da, du bist wirklich bei mir, ich habe es nicht geträumt, meine Kleine.«
Da war nichts in seiner Stimme, in seinem Mienenspiel, was an seinem Verstand zweifeln ließ.
»Wie fühlst du dich, Papa?« fragte sie sanft.
»Jetzt fühle ich mich gut, sehr gut. Ich weiß überhaupt nicht, was mit mir eigentlich los war. Es war sicher diese tückische Grippe, dieser chinesische Virus, den sie nicht in den Griff kriegen können. Hast du damit auch Erfahrung, Vicky?«
»Ich bin Chirurgin, Papa, es werden keine Grippekranken operiert, wenn nicht ein dringender Notfall vorliegt.«
»Ich bin froh, daß du von dort fortgegangen bist, Vicky. Diese Klinik hat dir nicht gutgetan. Das soll keine Kritik an Degenhart sein. Hanno ist ein guter Arzt. Aber lassen wird das. Dr. Norden sagt, daß man dich an der Behnisch-Klinik brauchen kann, wenn du nichts anderes im Sinn hast.«
»Du hast doch hoffentlich nicht Werbung für mich betrieben, Papa«, sagte sie anzüglich.
»Wir haben nur so darüber gesprochen, weil Norden sich immer wieder nach dir erkundigt hat.«
Er spricht doch völlig normal, dachte Viktoria wieder. Wie kann man da auf den Gedanken kommen, daß er einen Psychiater braucht?
Aber später sollten ihr dann auch solche Gedanken kommen.
»Hast du schon Nachrichten gehört?« fragte er. »Was ist mit dem Meteor?«
»Ich weiß nichts von einem Meteor, Papa. Was soll mit ihm sein?«
»Er hat sich gespalten, wird trotzdem großen Schaden anrichten, wie ich es errechnet habe. Niemand kann es wegreden. Es wird starke Strahlungen geben. Lohnt es sich, die Menschheit zu retten, was meinst du, Vicky?«
»Ich glaube nicht an den Weltuntergang, Papa. Denkst du denn wirklich, du könntest die Welt retten?«
»Ich kann genau errechnen, wo die Meteoriten abstürzen. Dann wird es nicht lange dauern und sie werden hier landen.«
»Wer wird hier landen?«
»Die Marsbewohner. Wenn ich doch nur wüßte, ob sie als Freunde oder als Feinde kommen. Man sollte sich vorbereiten können.«
»Bis jetzt ist keine Invasion in Sicht, und ich hoffe, daß sie auch nicht kommt. Du solltest dich lieber mit etwas Positiverem beschäftigen.«
»Aber es ist positiv, wenn man weiterdenkt und nicht engstirnig alles negiert. Ich wünsche so sehr, daß du über die Enttäuschungen hinwegkommst, Vicky, du verdienst es, glücklich zu werden.«
»Es war keine Enttäuschung, Papa. Ich habe einen Fehler gemacht und wurde dafür bestraft, so sehe ich es.«
»Könnte es dir nicht helfen, wenn du dich aussprichst?«
»Nein, ich muß damit allein fertig werden, aber ich weiß noch nicht, wohin mein Weg führt.«
»Er hat dich heimwärts geführt, und ich bin froh darüber. Die Zeit heilt alle Wunden.«
Ob das auch für mich gilt, fragte sich Viktoria.
Sie hielt jedoch die Hand ihres Vaters mit einem behutsamen Griff umschlossen.
*
Viktoria brauchte nicht zu Dr. Norden zu fahren. Er kam jeden Tag vor der Sprechstunde, um seinem Patienten eine Injektion oder Infusion zu geben und war überrascht, als ihm Viktoria die Tür öffnete. Er hatte sie so schnell nicht erwartet.
Sie tauschten einen festen Händedruck und forschende Blicke.
»Papa schläft noch, wir haben uns gestern abend lange unterhalten«, erklärte sie. »Haben Sie Zeit, daß ich Ihnen ein paar Fragen stellen kann, Daniel?«
»Die nehme ich mir. Es wird heute nicht so wild, da das Faschingsende naht. Die jungen Leute sind dann seltener krank und die alten Patienten geduldig. Das Wartezimmer ist ein beliebter Treffpunkt für sie.«
»Weil Sie ein beliebter Arzt sind.«
Er sah sie wieder nachdenklich an. »Sie haben schlechte Erfahrungen mit Kollegen gemacht, Viktoria?«
»Darüber reden wir jetzt lieber nicht. Papa ist vorrangig. Was können Sie über seinen Zustand sagen?«
»Eine Diagnose ist sehr schwierig. Eine Paranoika kann man in Betracht ziehen, aber bei ihm muß man andere Maßstäbe anlegen. Er ist Wissenschaftler und überzeugt, daß es Leben auf anderen Planeten gibt. Für ihn gilt nicht die allgemeine Vorstellung, daß die Erde der einzige bewohnte Planet ist, das Weltall ist groß und noch lange nicht erforscht. Wenn man sich zu sehr in die Vorstellung vertieft, wo die Galaxie ein Ende haben könnte, fängt man leicht zu fantasieren an, das meint auch Fee. Wir wissen ja nicht mehr, was sich in der Vergangenheit alles abgespielt hat. Immer wieder gibt es neue Erkenntnisse. Wir tun gut daran, uns an das Sichtbare und Wesentliche zu halten. Vinzenz grübelt darüber nach, wie viele geklonte Menschen schon auf der Erde weilen könnten, wieviel Versuche, von denen wir nichts wissen, mit und an Menschen durchgeführt werden. Diese Gedanken gefallen ihm nicht, verfolgen ihn im Schlaf, erwachen in den Träumen. Er denkt einfach zuviel, das ist die Ursache für seine Zerrissenheit. Ich hoffe, daß es sich jetzt wieder bessert, wenn Sie bei ihm sind, mit ihm reden und Ihre Probleme für ihn wichtiger sind, Viktoria.«
»Aber meine Probleme sind für ihn doch auch eine Belastung.«
»Nicht so, wie Sie meinen. Das Gefühl, Ihnen womöglich helfen zu können, läßt ihn vergessen, was in seinem Kopf herumspukt. Schließlich bildet er sich doch ein, daß dieser Dr. Dietrich und seine Assistenzärztin Alien sein müssen, weil er den Mitmenschen nicht soviel Böses zutraut. Seine These, daß der Mensch an sich gut sei, bedingt für ihn die Vorstellung, daß die bösen Menschen, die Kriminellen, alle von gefühllosen Wesen gezeugt wurden.«
»Es macht mir Angst, wenn er sich so hineinsteigert.«
»Er hat seinen Verstand nicht verloren, man kann mit ihm ganz vernünftig reden. Er war nur zuviel allein. Mit wem sollte er reden, außer mit Marie?«
»Ich habe mich gut mit ihm unterhalten, nur manchmal wich er ab, redete von den Meteoriten, die Vernichtung bringen. Ich mache mir Vorwürfe, ihn im Stich gelassen zu haben, weil ich zu sehr mit mir selbst beschäftigt war. Es ist nicht einfach,