Welt- und Lebenanschauungen; hervorgegangen aus Religion, Philosophie und Naturerkenntnis. Max Bernhard Weinstein

Welt- und Lebenanschauungen; hervorgegangen aus Religion, Philosophie und Naturerkenntnis - Max Bernhard Weinstein


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sehr eingehendes Inhaltsverzeichnis und Namen- und Sachregister wird, hoffe ich, die Brauchbarkeit des Buches auch zum Nachschlagen erhöhen. Beim Lesen der Korrekturen hat mich mein Freund, der Lehrer an der Berliner Baugewerkschule Dr. Levy, formell und sachlich unterstützt. Ihm und der Verlagsbuchhandlung, die viel Mühe mit dem Buche gehabt und für eine würdige Ausstattung gesorgt hat, meinen besten Dank. Möchte der Leser das Buch so gern lesen, wie der Verfasser es gern und aus dem Innern heraus geschrieben hat.

      Charlottenburg, im Mai 1910.

      Weinstein.

       Charakteristik, Prinzipe und Einteilung der Welt- und Lebenanschauungen.

       Inhaltsverzeichnis

      1. Bedeutung der Welt- und Lebenanschauungen.

      Es liegt schon in der Natur des Menschen, von sich selbst und von allem, was ihn umgibt und störend oder unterstützend in sein Leben eingreift, sich eine Ansicht zu bilden. Vielfach und bedeutungsvoll sind die Fragen, die dabei gestellt werden, und mit deren Beantwortung die Menschheit, seit sie ihrer sich bewußt ist und die Fähigkeiten ihrer Seele auch geistig anzuwenden gelernt hat, sich müht und plagt. Und diese Beantwortung bildet eine Welt- und Lebenanschauung; vollständig, wenn sie alle Fragen betrifft, fragmentarisch, wenn sie nur in das Einzelne dringt. Es gibt Anschauungen, die nur aus träger Gedankenlosigkeit oder aus trotziger Verbitterung oder gar aus pathologischer Denkweise hervorgehen. Diese lassen wir beiseite. Die Weltanschauungen, mit denen wir es hier allein zu tun haben, können auf naiver Naturbetrachtung und naivem Egoismus beruhen, sodann auf Kultgebräuchen und Religionslehren, auf philosophischen Untersuchungen und Meinungen, endlich auf naturwissenschaftlichen und soziologischen Feststellungen. Alle diese Grundlagen mögen gesondert stehen oder miteinander verbunden sein. Bei wenigen Menschen haben die Anschauungen nur eine objektive, rein wissenschaftliche Bedeutung. Die meisten wollen neben der Erkenntnis auch eine Beruhigung für das Dasein und darüber hinaus gewinnen. Indessen bilden sich eine eigene Anschauung nur wenige Menschen. Den anderen wird sie durch Erziehung oder Religionsvorschriften eingeimpft. Letztere waren ja früher gerade bei den Kulturvölkern von so zwingender Gewalt, daß eine andere Anschauung als die, welche die Religion allein zuließ, gar nicht gehegt, geschweige geäußert werden durfte. Viele standen und stehen freiwillig unter dieser zwingenden Gewalt, indem die Glaubenssätze der Religion für sie über jeden Zweifel erhaben sind. Andere beugten und beugen sich ihr aus Weltklugheit oder weil das Beispiel des Widerstandes sie schreckte. Auch Lehren, die gerade mit besonderer Kraft ausgesprochen sind oder in Mode stehen, werden gerne ergriffen. Denn es handelt sich, wenn man eine Welt- und Lebenanschauung sich bilden will, immer um eine tiefe und schwere Gedankenarbeit, und mitunter um einen harten Kampf mit sich selbst und mit Anderen. Und bei der Unsicherheit des Kennens und Erkennens fällt der Mensch von Zweifeln in Zweifel und nimmt darum gerne an, was ihm autoritativ übermittelt ist. Mitunter muß der Name an Stelle der Sache treten. Wie wenige von einer Religionsgemeinschaft wissen, was eigentlich die Lehren dieser Religion sind, zumal, wenn diese Lehren von vornherein als „geoffenbart“ vorgetragen werden. Viele wollen sie gar nicht einmal wissen; die symbolischen Formeln genügen ihnen, das übrige soll der Seelsorger verantworten. Und was hat für die meisten Nietzscheaner Nietzsche eigentlich gelehrt? Man darf nicht fragen, ohne auf die hohlsten Redensarten zu stoßen, wenn man überhaupt eine Antwort und nicht eine Widerfrage oder eine Abweisung erhält. Am ehesten auf eine bestimmte sachliche Welt- und Lebenanschauung stößt man bei Naturmenschen und bei unreifer Jugend, nur daß es sich dabei teils um widersinnige, teils um töricht übereilte Äußerungen handelt. Für die Naturvölker werden wir das später eingehend verfolgen, da es ein anthropologisches Interesse hat. Wer die junge Kulturwelt belauschen will, braucht nur ihre modernen Dichtungen zu lesen, die bei schönen Worten und reizvollen Wendungen gedanklich oft recht blühenden Unsinn enthalten und Anschauungen wiedergeben oder erraten lassen, bei denen selbst einen mild urteilenden harte Ungeduld ergreift. Die ernst und selbständig denken, suchen sich allmählich zu einer sie befriedigenden Welt- und Lebenanschauung durchzuringen. Da hierzu auch Kenntnisse gehören und namentlich auch Disziplin des Denkens, kommen nur sehr wenige Begünstigte schon früh zu einer brauchbaren solchen Anschauung. Viele gelangen erst in späten Jahren dazu, und noch mehr mühen sich ihr Leben hindurch umsonst ab und müssen sich mit einem Stück einer Anschauung oder mit mehreren Anschauungen begnügen, zwischen denen sie nicht zu vermitteln vermögen.

      Ich habe unbestimmt von einer Welt- und Lebenanschauung gesprochen. Die Welt- und Lebenanschauung gibt es noch nicht. Selbst bei den Kulturvölkern sind unzählige Anschauungen im Schwange, und eine Anschauung wird von der anderen bekämpft, und von jeder Anschauung kann man nachweisen, daß sie hier oder da unrichtig sein muß, von keiner aber, daß sie richtig ist. Die wichtigsten Dinge, die in einer Welt- und Lebenanschauung zur Sprache kommen, sind zeitlich, räumlich und sinnlich unerreichbar. So ist niemand bei der Schöpfung zugegen gewesen; der eine kann sie also ganz leugnen, der andere ebenso sicher absolut bejahen. Daher handelt es sich hier fast ausschließlich um Meinungen. Und diejenige Meinung wird die größte Wahrscheinlichkeit für sich haben, welche mit den Vorgängen im All, jetzt und früher, am besten in Einklang ist. Hier aber spielen subjektive Ansichten mit, gerade wie in der Religion; und was dem einen erwiesen scheint, weist der andere weit von sich. Und wie oft geradezu Widersinniges für sicher genommen wird, werden wir an vielen Beispielen sehen. Ich habe einmal in einer sehr wichtig und bedeutend tuenden Broschüre gelesen, unsere Welt sei die Schlacken oder auch die Auswurfstoffe aus der vierten Dimension. Wie töricht! wird der Leser ausrufen. Aber wir haben noch viel seltsamere Ansichten.

      

      2. Naturvölker und Kulturvölker.

      Wir unterscheiden zunächst die Anschauungen der Naturvölker von denjenigen der Kulturvölker. Die Völker der Halbkultur folgen wesentlich den Naturvölkern. Auch steht so mancher Kulturmensch ganz auf dem Standpunkt des Wilden. Trifft er sich dort, so mag er in sich gehen und in die ihm gehörige Klasse überwandern.

      Einfacher und doch verworrener sind die Anschauungen der Naturvölker als die der Kulturvölker. Wie es unendlich viele Mühe gemacht hat, in die Religion der Naturvölker einige sichere Einsicht zu erhalten, weil auf Befragen nicht bloß fast jedes Dorf, sondern fast jeder Befragte etwas besonderes erzählt, so verhält es sich hinsichtlich der Weltanschauungen. Gemeinsame Lehren ergaben sich nämlich bald, weil ihre praktische Betätigung in unmittelbare Erscheinung trat. Aber Meinungen und Anschauungen hatte jeder für sich. Und dabei handelte es sich nicht einmal immer um Verlegenheit vor dem Frager und Mißtrauen gegen ihn, sondern einfach um Mangel an Ansicht und Unüberlegtheit. Wie viele Kulturmenschen würden auf Befragen nach ihrer Weltanschauung bestimmt antworten können oder wollen? Und wo sie eine solche Anschauung besitzen, würden sie in Staaten mit polizeilichen oder kirchlichen Gewalten aus Furcht vor Nachteilen, sonst in dem unbequemen Gefühl, etwas Törichtes zu sagen, noch weit mehr mit ihren Meinungen zurückhalten als ein Naturmensch, oder sich mit Ausflüchten helfen. Als ich mich mit der Religion der ozeanischen Völker beschäftigte, fiel es mir auf, daß von den unzähligen Namen für Götter und Helden, welche in einem Hauptwerk hierüber, Greys „Polynesian Mythology“, enthalten sind, kaum zwei in den sehr vielen Angaben der Seefahrer des achtzehnten Jahrhunderts (Cooks, Wilsons, Pokocks u. a.) sich finden. Die bei weitem wichtigste Bezeichnung für Götter und Dämonen in diesen Angaben, Eatooa oder Atoa oder ähnlich, sucht man in gleicher Eigenschaft in Greys Werk vergeblich. Ein anlautender Name kommt wohl vor, er bezeichnet aber eine Insel oder einen Distrikt. Nur die Namen Tane und Maui scheinen zeitlich und räumlich sehr verbreitet zu sein. Frobenius, in seinem Buche „Die Weltanschauung der Naturvölker“ hat sich der Mühe unterzogen, für die afrikanischen Völker den Namen einer der bekanntesten Gottheiten durch die Stämme zu verfolgen. Er geht von dem Namen Tschuka aus, der bei den Ibo und in Kalabar einfach Gott bedeuten soll, und stellt mehr als fünfzig Namen auf, die jenem Namen entsprechen sollen, darunter solche wie Rupe, Ndsakumba und ähnliche, die nicht entfernt mehr an den Ausgangsnamen erinnern. Das kann und wird zum Teil an den abweichenden Sprachen liegen, wie wir ja für unser „Gott“


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