Welt- und Lebenanschauungen; hervorgegangen aus Religion, Philosophie und Naturerkenntnis. Max Bernhard Weinstein

Welt- und Lebenanschauungen; hervorgegangen aus Religion, Philosophie und Naturerkenntnis - Max Bernhard Weinstein


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eigentlichen Bantu-Negern des mittleren Afrika ganz verschiedene Rasse bilden, fast den gleichen Namen für Gott besitzen wie die ihnen so fernen Neger des oberen Kongo, Touquo und Tuiko gegen Tuku (vermehrt Tuku-Tuku), während fast sich berührende Stämme der gleichen Rasse und anscheinend des gleichen Sprachstammes ganz abweichende Namen aufweisen. Bei den Yoruba an der Nigermündung heißt es Dso oder Zo, wie in dem weit entfernten Saumgebiet Ostafrikas. Aber in dem nahen Kamerun soll man das gleiche mit Loba, Lebe, Rubi bezeichnen, wie ähnlich mit Lubari in Uganda, wo ja auch Dso oder Zo bestehen soll, und wo als eigentlicher Name des Schöpfers Kitonda angegeben wird. Vieles muß also an den verschiedenen Angaben liegen, die im gleichen Bezirk von verschiedenen Personen dem gleichen oder einem anderen Forscher gemacht werden. Anderes an der kindlichen Gewohnheit der Naturvölker, Namen beliebig zu ändern oder zu verdrehen. Wer Reisewerke miteinander vergleicht oder die Namen in Atlanten und anderen Werken sucht, gerät mitunter in helle Verzweiflung. Gegenwärtig kommt noch dazu, daß die meisten Naturvölker schon mit Kulturmenschen durchsetzt sind und vieles Kulturelle, namentlich Religiöse, von ihnen gehört und in sich aufgenommen haben. Neuere Mitteilungen über Ansichten von Naturvölkern können darum nur mit größtem Mißtrauen benutzt werden, namentlich, wenn sie an Kulturansichten erinnern. Und da die älteren Reisenden meist weder die Kenntnisse noch das Interesse besaßen, sich wirklich genau über die besuchten Völker zu orientieren, sondern nur allzu gerne sich die tollsten Lügen aufbinden ließen, um zu Hause die merkwürdigsten Fabeln erzählen zu können, so sieht es eigentlich mit Untersuchungen über die Welt- und Lebenanschauung der Naturvölker übel aus. In den Märchen und Erzählungen, die uns von den Naturvölkern vorgetragen werden, sind Züge reinster Empfindung und Tugend und dicht daneben Roheiten entsetzlichster Bestialität. Ganz wie in den Sagen der alten Griechen. Wer kann die rührende Szene zwischen Hektor und Andromache mit der scheußlichen des Totenopfers für Patroklos vereinigen? Wir kommen dadurch auf einen Punkt, der von großer Bedeutung ist und uns noch beschäftigen wird.

      Für die Kulturvölker scheint die Untersuchung einfacher und sicherer zu sein, hier ist ja so vieles durch Tradition und Schrift bekannt. Aber das Ungeheuere des Materials wirkt erdrückend. Es prahlte jemand mit seinem Fleiße und rechnete so viel Tätigkeit zusammen, daß für den Tag 26 Stunden Arbeit herauskamen. Selbst dieser Zauberkünstler wäre nicht imstande, das Material auch nur zum vierten Teil zu bewältigen, und wenn er Methusalems Alter erreichte. Man muß sich darum auf Hauptansichten und Hauptwerke beschränken. Und dieses darf um so eher geschehen, als wahrhaft große Meinungen nur spärlich erblüht sind, und als unglaublich Viele bewußt und unbewußt die Wege der Großen wandeln. Das ist kein Tadel; und wer in mühseliger Arbeit das gefunden hat, was einem Großen vor ihm schon als Geschenk des Genies eingefallen ist, darf mit Fug und Recht stolz sein und alberne Kritik aus Zusammengelesenhaben ablehnen. Eine solche Arbeitsvermehrung nimmt man gerne entgegen. Eine andere Schwierigkeit liegt in dem Mangel an Bestimmtheit in so vielen Meinungen und Schriften. Wir werden von zwei wilden Rossen nach entgegengesetzten Richtungen gezogen, dem Verstand und dem Gefühl. Mancher wird innerlich zerrissen, viele geben wenigstens dem einen oder dem anderen etwas nach. Kommt noch dazu die menschliche Gebundenheit um des bloßen Lebens willen an anderer Meinung, etwa die bemerkte an Staat und Kirche, so ergibt sich ein weiteres Schwanken. Hat man doch dem großen Kant Inkonsequenzen in seinem philosophischen System vorgeworfen. Und wer weiß so recht, was Fichtes oder gar Schellings eigentliche Philosophie gewesen ist, da man doch von jedem von ihnen mehrere ganz abweichende Philosophien hat? Und da bei weitem die meisten Menschen inkonsequent sind, die einen aus Anlage, die anderen aus ehrlichem Zweifeln, so berührt uns ein ganz konsequenter Mann oder eine ganz konsequente Ansicht fast unheimlich. Wir werden sehen, daß auf unserem Gebiete davon nur sehr wenig vorhanden ist. Man kann fast sagen: mitunter zum Glück für die Menschheit. Denn mit absoluter Konsequenz ist oft Fanatismus und mit diesem Verfolgungssucht verbunden, die sich in der konsequentesten Religion, der katholischen, in so entsetzlichen Taten geäußert hat, und eine Herrschernatur wie Innozenz III., trotz so großer Leistungen, durch die Ausmordung Tausender andersdenkender unschuldiger Menschen fast fluchbeladen erscheinen läßt.

      3. Hauptfragen und Stammannahmen (principia, ἀρχαὶ) der Welt- und Lebenanschauungen.

      Der Leser sieht, welch umfangreiche Arbeit hier zu bewältigen ist, und wie alles nur in großen Zügen zur Darstellung kommen kann. Doch habe ich die Absicht, weit über die engen Grenzen der Spezialbetrachtungen hinauszugehen, die immer nur einzelne Klassen der Menschheit betraf. Ich möchte vorführen, was der Mensch allgemein an Welt- und Lebenanschauungen geschaffen hat; nicht diese oder jene Philosophenschule, diese oder jene Religion, dieses oder jenes Volk. Unter solchen Umständen ist eine gewisse Systematik unausweichlich, sonst verläuft man sich in der Fülle des Gebotenen und gerät in Gefahr, die Darlegung in Phrasen aufzulösen. Und nirgends ist diese Gefahr so groß und sind ihr so viele Schriftsteller erlegen als gerade auf dem Gebiete, mit dem wir uns hier beschäftigen sollen. Was Prinz Heinz von seinem dicken Freunde bei der Musterung seiner Rechnungen gesagt hat, und ich einmal einen berühmten Nationalökonomen auf einem Kommers auf die Universitätsvorlesungen habe anwenden hören, soll uns zur Warnung dienen. Gründlichkeit hier, Schmuckrede dort, zwischen diesen Symplegaden müssen wir unser Schifflein hindurchsteuern.

      Fast jede Weltanschauung geht von einer Stammannahme oder von mehreren Stammannahmen aus. Es muß daher von großer Bedeutung für die Ordnung des Vortrags sein, wenn vor allem diese Stammannahmen vorgeführt werden. Vollständig dieses zu tun ist für einen beschränkte Zeit lebenden Menschen nicht möglich, wegen der unendlichen Menge von Büchern, die er lesen müßte. Nachdem ich mich aber durch so viele Jahre frei und veranlaßt in so vielen Wissenschaften umgesehen habe, glaube ich, daß in der nachfolgenden Aufzählung Wichtigeres nicht fehlen wird. Sollte der Leser noch eine und eine andere Annahme wissen, so füge er sie gütigst hinzu; wir sind alle gerne Kärrner der Königin Wissenschaft. Die Annahmen gehen aber auf

       den Grund des Alls und den der Einzelnen,

       den Bestand des Alls,

       das Wesen der Dinge,

       das Wesen und den Grund der Geschehnisse,

       die Entwicklung des Alls,

       das Ende des Alls,

       das Ende der Einzelnen.

      Das sind sieben Hauptpunkte. Es ist nicht angängig, die allgemeine Liste ganz nach diesen Hauptpunkten einzurichten; die Behandlungen müßten vielfach durcheinander gehen und sich verschlingen, wodurch viele unnötige und störende Wiederholungen entstehen würden. Gleichwohl ist die nachfolgende Liste unterteilt, und zwar derartig, daß sie in einiger Beziehung sich den Hauptpunkten anschmiegt. Wenn manche Hauptpunkte in der Liste nicht berücksichtigt zu sein scheinen, so ist es in der Tat nur ein „scheinen“. Durch gehörige Untersuchung der Stammannahmen und namentlich auch durch Verbindung zweier oder mehrerer von ihnen werden auch diese Hauptpunkte zur Erledigung gebracht.

      Die Liste enthält vier Klassen: phantomistische Annahmen, wesenheitliche, wesenheitlich-begriffliche, begriffliche. Es kommt auf die absolute Richtigkeit der Benennungen nicht an, diese müssen nur durchschnittlich zutreffen und können es auch nur. Nun möge die Liste selbst folgen.

      1 Phantomistische.1. Nichts, 2. Traum, 3. Schein.

      2 Wesenheitliche.4. Das (indisch Tad), 5. Etwas, 6. Urwesen, Ding an sich, Substanz, 7. Gott, 8. Götter (in allen Abstufungen), 9. Weltgeist, 10. Schöpfer (Schöpfung), 11. Vernichter, Satan, Widergott, 12. Weltseele, 13. Einzelseele, 14. Weltvernunft, 15. Einzelvernunft, 16. Emanation, 17. Chaos, Urmaterie, 18. Materie (auch Elemente und Körper), 19. Energie, Entropie, 20. Psychoma.

      3 Wesenheitlich-begriffliche.21. Sein, Nichtsein, 22. Werden, Vergehen, 23. Ruhe, Erregung, 24. Attribute, 25. Ideen, 26. Formen, 27. Modi (auch Essenzen und Bilder), 28. Monaden (auch Realen), 29. Zahl, 30. Raum (auch Leere), 31. Zeit, 32. Harmonie, 33. Disharmonie (auch Entzweiung in sich).

      4 Begriffliche.34. Gut, 35. Böse, 36. Liebe (auch Anziehung), 37. Haß (auch Abstoßung), 38. Streit, 39. Zwang (absoluter), 40. Notwendigkeit, 41. Anlage (auch Prädestination, Prästabilisation), 42. Unfreiheit, Determinismus, 43. Ursächlichkeit, 44. Beschränktheit, 45. Zweckmäßigkeit (Teleologie, auch Instinkt),


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