Thwaites stirbt. Caspar Heyse

Thwaites stirbt - Caspar Heyse


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      Caspar Heyse

      Thwaites stirbt

      Der Schildbürger letzter Streich

      Eine Parabel

      Den Menschen in Kiribati

      IMPRESSUM

      © 2020

      Verlag Christoph Kloft

      Südstraße 5

      56459 Kölbingen

      www.christoph-kloft.de

      Satz und Umschlaggestaltung:

      Verlag Christoph Kloft

      Coverbild: Franziska Hartisch

      ISBN 978-3-929656-33-6

      Marsmenschen

       Dramolett

      König von Brasilien steht vor einem Container und schlägt mit beiden Fäusten gegen die schwere Tür.

      Mensch, unge, mach auf! Weißt du nicht, wie kalt es hier ist? Wir sind schließlich nicht auf der Erde. (Klopft sich jede Menge roten Staub aus den Kleidern)

      Ich weiß ja, dass du das nicht leiden kannst. Aber sieh doch, ich bin jetzt ganz sauber. Nicht ein einziges Staubkorn mehr da.

      (Hämmert weiter gegen das Metall)

      Nun mach schon auf. Ich will auch nicht mehr mit dir streiten. Du kannst mir ruhig weiter von deinen Liebschaften erzählen, von deiner Traurigkeit und davon, was du für ein toller Bursche bist. Ich werde dir geduldig zuhören, nur lass mich bitte wieder rein.

      (Zu sich) Wie kann man nur so dumm sein? Aber gut, wir wollten es ja so haben. Hätte ich doch nur nicht auf den gehört! Ich hätte da unten schon noch einiges anrichten können.

      Nicht mal den großen Knall haben wir hier mitbekommen, wenn es ihn denn überhaupt gab.

      (Sieht durchs Fenster)

      Jetzt steht der Kerl da drin und kämmt sich. Während ich mir hier den Arsch abfriere.

      (Klopft heftig an die Scheibe) Bitte mach endlich auf. Willst du denn, dass ich erfriere?

      Häuptling von Amerika steht vor dem Spiegel, kämmt sich und singt das

      Lied von der Traurigkeit

      Ich weiß nicht, was soll es bedeuten,

      dass ich so traurig bin.

      Ein Mädchen aus uralten Zeiten,

      das kommt mir nicht aus dem Sinn.

      Die Luft ist so kalt, es ist dunkel,

      ich bin mutterseelenallein;

      hab hinten ein großes Furunkel,

      und einen Idioten am Bein.

      Ich frage mich manchmal, wie lange

      ich hier schon so einsam bin.

      Ein Mann von so hohem Range

      für alle ein großer Gewinn.

      Ich sehe den blauen Planeten,

      die Tränen, sie brechen sich Bahn.

      Hätte ich ihn nicht herzlos zertreten

      ich könnt jetzt zum Mädchen fahrn.

      Geht zum Fenster und sieht den erfrorenen König von Brasilien auf dem Boden liegen. Zuckt nur leicht mit den Achseln, greift wieder zum Kamm und beginnt das Lied von vorn.

      Vor nicht allzu langer Zeit lebte auf der Erde einmal ein Volk, das nannte man die Schildbürger. Sie waren einst durch ihre Dummheit berühmt geworden, und das kam so: Die Schildbürger waren aus dem Land der Dichter und Denker gekommen, anfangs sehr fleißig und klug gewesen, hatten Bücher geschrieben und Theaterstücke, philosophische Werke veröffentlicht, und damit hatten sie die Menschen beeindruckt. Um dies alles in die Welt zu tragen, waren sie aus ihrer Heimatstadt Schilda fortgegangen und hatten andere belehrt. Könige und Kaiser suchten ihren Rat, holten sie an ihre Höfe und versorgten sie dort mit dem Besten, was ihre Länder zu bieten hatten. Immer mehr Schildbürger gingen deshalb ins Ausland, so dass zu Hause nur noch die Frauen und Kinder waren. Wenn dort am Anfang auch noch alles gut ging, so wurde das Leben für die Frauen mit der Zeit doch immer schwerer. Sie mussten nämlich nicht nur die Arbeit der Männer machen – die Saat ausstreuen, die Früchte ernten und die Häuser reparieren –, sondern sie unterrichteten auch noch die Kinder, weil der Lehrer ebenfalls in der Fremde war. Und so trug es sich zu, dass die Schildbürger alsbald Briefe aus der Heimat erhielten: Briefe, in denen stand, dass sich zu Hause alles sehr zum Schlechten gewendet hätte und alles den Bach herunter ginge. Folglich blieb den Männern nichts anderes übrig, als Boten nach Schilda zu schicken, die sich in der Folge davon überzeugten, dass die Frauen wirklich nicht gelogen hatten.

      Im Gegenteil: Sie berichteten den Schildbürgern, es stehe daheim noch schlechter, als ihnen geschrieben worden sei, und wenn sich nicht bald etwas ändere, werde schon bald nichts mehr übrig sein von dem, was sich die Familien einst erarbeitet hätten. Die Männer aus Schilda bekamen große Angst, verabschiedeten sich von den Königen und Kaisern und fuhren so schnell wie möglich nach Schilda zurück. Dort angekommen, erkannten sie ihre Heimat kaum wieder. Die Häuser waren kaputt, durch die Fenster pfiff der Wind, und auf den Dächern waren kaum mehr Ziegel. Die Straßen hatten große Löcher, die Räder der Wagen quietschten, und die Brunnen waren verstopft. Mit den Kindern kamen die Mütter schon lange nicht mehr zurecht, sie gehorchten ihnen nicht mehr und streckten nur ihre Zungen heraus, wenn sie ermahnt wurden.

      „Das haben wir nun von unserer Klugheit“, sagten die Schildbürger und kratzten sich an den Köpfen. Sofort machten sie sich daran, die Dächer und Fenster zu reparieren, gaben den Kindern ein paar Klapse, so dass diese wieder gehorchten, und trafen sich dann einige Tage später im Wirtshaus zu einer Versammlung. Gegenseitig klagten sie sich ihr Leid, und jeder wusste etwas zu berichten, das noch schlimmer war als das, was er gerade vom Nachbarn gehört hatte.

      Gemeinsam überlegten sie, um zu einer Lösung zu kommen. Schon wieder standen Leute aus fernen Ländern vor der Türe, die wollten, dass sie mitkommen sollten.

      „Wir brauchen euch, denn ihr seid so klug, und ohne eure Ratschläge geht es bei uns nicht voran“, sagten sie.

      Die Schildbürger versuchten es einstweilen mit einer Lüge. „Wir sind krank“, sagten sie, und jeder erfand schnell ein anderes Leiden, das ihn quälte: Der eine hatte starke Halsschmerzen, den anderen zwickte es im Bauch und wieder andere plagte ein fauler Zahn oder sie hatten ein wehes Bein.

      Da gingen die Leute wieder weg. „Aber sobald ihr gesund seid, kommen wir zurück, und dann nehmen wir euch mit“, riefen sie zum Abschied.

      Den Schildbürgern gefiel das gar nicht, und sie wollten die Zeit nutzen, um weiter nachzudenken.

      Nach einiger Zeit kam dem alten Wirt des Gasthauses eine Idee. Er war als junger Mann lange Zeit im Krieg gewesen und hatte nur noch ein Bein.

      „Ich weiß es jetzt“, sagte er. „Wenn einem Menschen etwas fehlt, dann ist das manchmal auch zu seinem Vorteil. Seht mich an: Ich habe nur noch ein Bein, und weil das so ist, musste ich nicht mehr in den Krieg. Mit zwei Beinen würde ich vielleicht nicht mehr leben.“

      Die anderen verstanden nicht, was er ihnen sagen wollte und wurden ungeduldig.

      „Nun verrate uns schon, worauf willst du hinaus?“ und „Lass uns nicht länger warten!“, riefen sie durcheinander.

      Wie ein Studierter hob da der Wirt den Zeigefinger und sah sie mit einem Blick voller Weisheit an, so dass sie alle sofort still waren: „Nun, was ich damit sagen will: Offenbar ist es für mich gut gewesen, dass ich nur ein Bein hatte und das andere war zu viel. Genauso ist es mit unserer Klugheit! Sie ist zu viel, und sie fügt uns nur Schaden zu!“ Ein leises Raunen ging durch die Runde, weshalb der Wirt nachsetzte: „Lasst es euch sagen: Die Klugheit ist an allem schuld. Ich habe in meinem Leben


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