Fürstenkrone Staffel 6 – Adelsroman. Marisa Frank
Restaurants von Freiburg. Während des Essens hatten sie fast ausschließlich von den Pferden gesprochen.
»Und dennoch muss es so sein. Es gibt keine Einbruchsspuren«, erwiderte Antonia.
Der junge Prinz nickte düster. »In meiner Familie ist seit Jahrzehnten darauf geachtet worden, unsere Tiere nur in gute Hände zu geben. Mein Vater hat jeden Käufer auf Herz und Nieren prüfen lassen.« Er nippte an seinem Wein. »Wann haben Sie Ihre Liebe zu Pferden entdeckt?«
»Als ich das erste Mal auf Bernstett meine Ferien verbringen durfte«, sagte Antonia. »Ihr Vater hatte Louise und mich zu einem Ausritt mitgenommen. Am liebsten hätte ich in den Stallungen übernachtet.«
»Ich habe es als Kind manchmal getan. Natürlich nur heimlich.« Prinz Leon lachte leise auf. Sie hörte ihn zum ersten Mal lachen. »Ich war noch keine acht, als für mich schon feststand, Springreiter zu werden. Nachdem ich meinen Vater davon überzeugt hatte, dass es mein Herzenswunsch war, bekam ich von ihm einen eigenen Trainer. Ich …« Er seufzte auf. »Seltsam, wie sich das Leben von einer Sekunde zur anderen völlig ändern kann. Ich brauchte sehr lange, um zu begreifen, dass ich nach diesem Unfall nie wieder an einem Turnier teilnehmen werde.«
Antonia spürte den tiefen Schmerz in der Stimme des Prinzen. Es fiel ihr schwer, nicht nach seiner Hand zu greifen und sie mitfühlend zu drücken. Sie suchte noch nach Worten, als er sagte:
»Man sollte nicht glauben, wie schnell die Zeit vergeht. Ich sehe Louise immer noch im Park mit ihren Puppen spielen. Meine Schwester wird Ihnen bestimmt fehlen, wenn sie in England lebt.«
»Ja, da bin ich mir sicher«, antwortete Antonia. »Während der letzten Jahre haben Louise und ich einen großen Teil unseres Lebens gemeinsam verbracht.«
»Ich werde sie auch vermissen«, gab er zu. »Als Louise geboren wurde, war ich schrecklich eifersüchtig auf sie. Frederik besuchte damals schon ein Internat in England. Ich dagegen war erst sechs Jahre alt und konnte nicht verstehen, weshalb ich meine Eltern mit ihr teilen sollte. Und nun heiratet sie in einer Woche …«
»Wie ich Louise kenne, wird sie ihre Familie oft besuchen«, meinte Antonia.
Er schaute ihr in die Augen. »Haben Sie je daran gedacht, meiner Schwester nach England zu folgen?«
Antonia kam es vor, als könnte er bis in ihr Herz sehen. »Daran gedacht habe ich«, gab sie zu, »besonders in letzter Zeit.«
»Tun Sie es nicht, Frau von Vallone.« Leon nahm ihre Hand. »Sie gehören nach Bernstett.« Abrupt ließ er ihre Hand los. »Ich glaube, wir sollten aufbrechen. Es ist ziemlich spät.«
Die junge Frau nickte. Es war ein schöner Abend gewesen. Sie hatte jede Minute in der Gesellschaft des Prinzen genossen und sie wäre gern noch länger hier sitzen geblieben, sah jedoch ein, dass jeder schöne Abend auch ein Ende finden musste. Ob er es ehrlich meinte, wenn er sagte, dass sie nach Bernstett gehörte? Sollte er doch etwas für sie übrighaben? – Nach wie vor konnte sie es nicht recht glauben. Nichts im Verhalten des jungen Prinzen hatte bisher darauf schließen lassen.
Ein Angestellter des Restaurants hatte den Wagen des Prinzen vorgefahren. Leon ließ es sich nicht nehmen, selbst für Antonia den Wagenschlag zu öffnen. Zuvorkommend half er ihr dabei, sich anzuschnallen.
»Danke.« Sie schenkte ihm ein erstauntes Lächeln.
»Nichts zu danken«, erklärte er, ging um den Wagen herum und setzte sich hinter das Steuer. »Das war der schönste Abend, den ich seit Monaten verbracht habe.« Er ließ den Motor an.
»Dann habe ich Sie also nicht gelangweilt?«, scherzte sie.
»Nicht eine Minute«, versicherte er und lachte.
Antonia konnte nicht fassen, wie sehr sich der junge Mann, mit dem sie an diesem Abend aus gewesen war, von dem übellaunigen Prinzen unterschied, den sie in den letzten beiden Wochen kennen gelernt hatte.
Louise hatte oft davon gesprochen, wie charmant ihr Bruder sein konnte, wenn er wollte. Gut, Prinz Leon hatte seit seinem Unfall keinen Grund gehabt, charmant und humorvoll zu sein. Sie konnte das sogar verstehen. Andererseits musste er sich endlich damit abfinden, seinem Leben ein neues Ziel zu geben.
Da jeder von ihnen seinen eigenen Gedanken nachhing, legten sie den Weg zum Schloss fast schweigend zurück. Antonia genoss es, neben Leon zu sitzen. So unverständlich es ihr auch erschien, sie wünschte sich, die Fahrt würde noch kein Ende nehmen.
Als hätte er ihren Wunsch erraten, bog er unerwartet von der Straße ab und hielt seitlich einer Blockhütte.
Antonia blickte überrascht auf. »Ist etwas mit dem Wagen?« fragte sie, als er den Motor ausschaltete.
Er schüttelte den Kopf. Flüchtig berührte er ihre Hand. »Nein, es ist nichts mit dem Wagen«, erwiderte er und wies in die Nacht. »Es ist so ein schöner Abend. Ich dachte, wir könnten uns noch etwas die Füße vertreten. Allerdings nur, wenn Sie es auch möchten, Frau von Vallone.«
»Das ist eine sehr gute Idee, Hoheit«, erwiderte Antonia.
»Fein!« Er stieg aus, lief zu ihrer Seite und öffnete den Wagenschlag. »Ich bin schon früher gern bei Nacht spazieren gegangen.«
Sie gingen zu dem Fahrweg, der von der Straße weg am Waldrand entlangführte. Nach wenigen Metern tauchten vor ihnen die Ruinen einer Kapelle auf, die vor Jahrzehnten eingestürzt war. Antonia kannte diesen Ort. Louise und sie waren hier oft entlanggeritten. Als Kinder hatten sie sich vorgestellt, zwischen den mit Moos bewachsenen Steinen würden Geister aus den vergangenen Jahrhunderten hausen.
»Habe ich Ihnen schon gesagt, was für ein schöner Abend das heute für mich gewesen ist, Frau von Vallone?«, fragte Prinz Leon und blieb bei den Ruinen stehen.
»Ja, das haben Sie.« Antonia sah ihn an. »Ich bin froh, Ihre Einladung angenommen zu haben. Es war auch für mich ein schöner Abend.« Sie hob die Schultern. »Irgendwie hatten wir keinen guten Start miteinander. Der heutige Abend hat das alles wettgemacht. Jedenfalls für mich.«
»Für mich auch, Antonia«, sagte er. »Darf ich Sie so nennen? Nicht auf dem Gestüt, nur privat.« Er nahm ihren Arm, ließ ihn jedoch gleich wieder los. »Ich bin oft etwas schwierig, aufbrausend und auch ungerecht.«
»Einsicht ist der erste Weg zur Besserung«, scherzte die junge Frau. »Ich habe nichts dagegen, wenn Sie mich Antonia nennen, Prinz Leon.«
»Das freut mich. Ich …«
Sie hörten einen größeren Wagen kommen. Instinktiv zog Leon die junge Frau hinter die Ruinen. Er legte einen Finger auf die Lippen. Sie nickte.
Es handelte sich um einen Kleinbus. Er fuhr an der Kapelle vorbei und verschwand zwischen den Bäumen.
»Kommen Sie!« Leon nahm ihre Hand.
Sie eilten den Fahrweg entlang, der nun sanft ins Tal zu einer Brücke hinunterglitt, die über einen breiten Bach führte. Verborgen hinter den Bäumen sahen sie, dass der Wagen vor der Brücke gehalten hatte und ein Mann ausgestiegen war. Suchend schaute er sich um. Unruhig blickte er mehrmals auf seine Uhr.
Er musste nicht lange warten. Aus der Richtung des Schlosses näherte sich eine Gestalt auf einem Fahrrad. Erst, als das Mondlicht direkt auf sie fiel, erkannten sie, dass es sich um Bernd Fischer handelte. Er sprang vom Fahrrad und ließ es achtlos auf die Wiese fallen.
Der Fremde ging ihm entgegen. Er schien wütend zu sein. Mehrmals schlug er Bernd Fischer grob gegen die Schulter. Die beiden Männer stritten sich heftig. Ab und zu drangen Wortfetzen zu ihnen hinauf. Leider konnten sie nicht verstehen, um was der Streit ging.
»Haben Sie den Mann im Kleinbus schon einmal gesehen?« fragte Prinz Leon leise.
»Nein.« Antonia wies aufgeregt nach unten. »Schauen Sie!«
Der Fremde reichte Bernd Fischer einen Umschlag. Bernd schaute hinein und verstaute den Umschlag in seiner Joppe. Im Gegenzug reichte er dem Fremden einen länglichen Gegenstand, den sie aus der Ferne nicht zu deuten mochten.
Der