Momentaufnahme. Sören Prescher
es ihr nicht übel zu nehmen, dass sie den ganzen Nachmittag weg gewesen war.
»Wie war’s am Strand?«, fragte ihre Mom.
»Ganz nett. Das Mädchen, von dem ich dir erzählt habe, hat mich gefragt, ob ich nicht mit ihnen ins Shadows gehen möchte.«
»Was ist denn das?«, fragte Dad. »Ich hoffe, eine Disco oder dergleichen.«
»Dad, wir leben nicht mehr in den Achtzigern. Das ist ein Club.«
»Ist das nicht dasselbe?« Er runzelte zwar die Stirn, schien darüber aber nicht wirklich nachzudenken. »Wo genau befindet sich der Club?«
»Nur ein paar Straßen entfernt. Am Ortsende.«
»Wann bist du wieder da?«
Jenny staunte nicht schlecht. Vor noch nicht allzu langer Zeit hätten ihre Eltern sie keinen einzigen Yard aus dem Haus gelassen, wenn sie nicht alles haarklein erzählt bekommen hätten. Jetzt hingegen schien sie das alles nicht weiter zu interessieren.
»Ich weiß nicht. Zu spät wird es bestimmt nicht werden.«
»Das wollen wir hoffen«, sagte Dad. »Und benimm dich bitte anständig. Wir würden hier gern noch ein paar Tage bleiben, wenn’s recht ist.«
»Du weißt doch, ich werde so lange mit dem Barkeeper flirten, bis er mich mit Whisky abgefüllt hat und dann machen wir es uns in seinem Pick-up gemütlich.«
Er blinzelte sie an. »Wenn du schwanger bist, verdonnern wir dich dazu, das Baby hier aufzuziehen. Außerdem suchen wir schöne Kindernamen heraus. Was hältst du von Wilbur als Jungenname?«
»Gute Argumente, Dad. Ich werde nicht lang wegbleiben. Und ich bin leise, wenn ich zurückkomme.«
Beide nickten. Während ihr Vater sich wieder seiner Lektüre widmete, begleitete ihre Mutter sie zur Tür. Beim Hinausgehen raunte sie Jenny ein »Morgen will ich aber ein bisschen mehr darüber erfahren« zu und zwinkerte.
»Geht klar, Mom.« Lächelnd kehrte Jenny zu ihren Freunden zurück.
Offenbar war das Shadows nicht nur der einzige Club in Milton, sondern im Umkreis von mindestens fünfzig Meilen. Jenny hatte mit der hiesigen Jugend gerechnet, eventuell mit ein paar Leuten von außerhalb, aber nicht mit so großen Menschenmassen, dass sie kaum Luft zum Atmen bekam.
Solch überfüllte Orte kannte sie bisher nur aus Boston. Allerdings wohnten dort ungefähr dreihundertmal so viele Leute wie hier. Die Musik orientierte sich ebenfalls an der der aus ihrer Heimatstadt.
Einziger Unterschied: Die R’n’B-Songs, zu denen die pulsierende Menge tanzte, lagen mindestens drei Monate hinter denen, die derzeit bei ihr daheim angesagt waren. Zwar befand sich auch Jenny nicht unbedingt auf dem neusten Stand, dennoch fühlten sich die Lieder von Rihanna, Usher und Co. irgendwie alt an. Doch hier mit den brandaktuellen Tracks empfangen zu werden, hätte sie auch sehr verwundert.
Wie verrückt das Leben doch manchmal war. Bei ihrer gestrigen Ankunft hatte sie noch befürchtet, dass der Ort viel zu ruhig wäre. Nun sehnte sie sich nach etwas Leiserem. Verwirrt über diesen Gedanken schüttelte sie den Kopf und vergewisserte sich, dass sie ihre Freunde nicht verloren hatte. Nicht auszudenken, wenn sie in diesem Gewimmel auf sich allein gestellt gewesen wäre. Aber direkt hinter ihr lief Monica, dicht gefolgt von Betty und Sheldon. Der Rest der Gruppe befand sich vor ihr und achtete mehr oder minder stark darauf, dass sie nicht von den anderen abgeschnitten wurden.
Sie erkämpften sich den Weg zu den Tischen nahe der Bar. Zu Jennys Überraschung waren nicht einmal alle besetzt. Sheryl, Norman, Betty und Marvin setzten sich an einen ovalen Ecktisch, Claire, Monica, Cody, Sheldon und Jenny an den daneben.
»Möchtest du was trinken?« Cody musste beinahe brüllen, um verstanden zu werden.
»Klar, warum nicht? Was empfiehlst du denn?«
Dies war offenbar sein Stichwort und er lächelte geheimnisvoll. »Lass dich überraschen. Der Barkeeper ist mein Bruder. Der schenkt uns was ein, da drehen deine Geschmacksnerven am Rad.« Er verschwand in Richtung Bar.
Norman und Marvin folgten, gleich darauf auch Sheldon.
»Seid ihr jeden Abend hier?«, fragte Jenny die beiden Mädchen an ihrem Tisch. Auch sie schrie förmlich, um gegen die Musik anzukommen.
Monica schüttelte den Kopf. »Nein, so oft hat der Laden gar nicht offen. Hin und wieder kommen wir hierher – wenn was los ist.«
Ein Junge mit schlaksigen Armen und einem Outfit, das hätte verboten sein müssen, erschien an ihrem Tisch und beendete das Gespräch vorzeitig.
»Hi, Monica.« Die weißen Karos auf seinem karierten Holzfällerhemd leuchteten in der flackernden Beleuchtung – was die Angesprochene allerdings wenig beeindruckte.
»Brian?! Was suchst du denn hier?« Mit einem Mal war sie sehr aufgebracht. »Verpiss dich und such dir jemand anderen, den du anbaggern kannst.«
»Wir sind heute aber wieder mies drauf.«
»Ich kann dich bloß absolut nicht ausstehen. Wann siehst du das endlich ein? Verzieh dich einfach.«
Diesmal erwiderte Brian nichts, sondern sah zu, dass er möglichst schnell verschwand.
Jenny erkannte, wie sehr ihn die Worte verletzt hatten und hätte ihm gern gesagt, dass Monica es bestimmt nicht so gemeint hatte. Aber ein Blick zu ihr und ihren Freundinnen sprach eine völlig andere Sprache. Monica machte ein Gesicht, als hätte sie eine Goldmedaille gewonnen. Claire und die anderen Mädchen wirkten ebenfalls amüsiert.
»Oh Gott, was für ein Idiot!« Monica verdrehte die Augen.
Cody und Sheldon kamen in diesem Augenblick zurück.
»War das eben Brian?«, fragte Cody, während er vor Jenny ein gefülltes Glas abstellte. »Der gibt wohl nie auf, was?«
»Der Idiot lernt es einfach nicht. Dabei weiß er genau, dass ich mit Losern wie ihm nichts zu tun haben will. Trotzdem beobachtet er mich ständig beim Cheerleader-Training. Der Wichser meint wohl, ich würde es nicht mitbekommen.«
»Was ist das?« Jenny tippte gegen das Glas. Alkoholfrei sah das nicht aus.
»Oh, das wird dir gefallen. Es heißt Firestarter.«
»Klingt nicht besonders viel versprechend.«
»Probier es einfach!« Er wartete darauf, dass sie seinem Vorschlag nachkam.
Zuerst zögerte sie, dann nippte sie tatsächlich am Glas. Zu mehr kam sie allerdings nicht. Obwohl nur wenige Tropfen in ihren Magen gelangten, brannte es wie tausend Höllenfeuer. Jenny spürte, wie ihr die Gesichtszüge entglitten, während sie das Glas ungeschickt auf den Tisch zurückstellte und nach Luft schnappte. Gleichzeitig war ihr auf einmal brütend heiß.
Cody war von ihrer Reaktion sichtlich amüsiert, sagte aber nichts.
Sheldon nahm nicht so viel Rücksicht. »Das Zeug ätzt dir die halbe Speiseröhre weg. Aber es ist geil. Nach ein paar Schlückchen willst nie wieder was anderes.«
»Das glaube ich kaum.« Sie hatte Schwierigkeiten zu sprechen. Noch immer brannte der Alkohol und sie wünschte, der Barkeeper hätte vor dem Ausschenken nach ihrem Ausweis gefragt.
»Wie ist nun dein erster Eindruck von Milton?«, fragte Cody, als wäre alles in bester Ordnung. Anscheinend war das Getränk für ihn nur Mittel zum Zweck. Die wirkliche Anmache folgte erst noch. »Ich hoffe, dass wir keinen all zu schlechten Eindruck bei dir hinterlassen haben.«
»Nein, bisher reicht es nicht für eine Beschwerde. Da müsst ihr mir schon ein wenig mehr bieten.«
Alle an dem Tisch lachten auf, nur Jenny wusste nicht recht, wie sie reagieren sollte. Zum Glück sprang Sheldon nur Sekunden später auf und verschwand mit Claire auf die Tanzfläche. Wenig später folgte Monica und ließ Jenny mit Cody allein am Tisch zurück. Was eindeutig nicht nach Zufall roch.
»Du scheinst