Fiona - Spinnen. Zsolt Majsai
Die Situation wird allerdings erschwert durch die generell immer härtere Vorgehensweise des Sicherheitsdienstes, woran auch Niasman Kadula seinen Anteil hat.“
„Wer ist das denn? Sanas Großvater?“
„Nein“, erwidert Baro und grinst, wie die Anderen auch. „Niasman dürfte der mächtigste Mann von Lomas sein. Er ist das Oberhaupt des Diagadas-Clans, der seit 150 Generationen die Energiequelle der Station kontrolliert.“
Okay, dann ist es klar. Wer die Energie kontrolliert, der kontrolliert alles.
„Und wie hängt Niasman drin?“
„Es gibt immer wieder Unruhen in einem Staat wie Lomas, das ist an sich nicht ungewöhnlich. Angeblich nehmen diese Unruhen immer mehr zu, schleichend zwar, aber doch stetig. Niasman Kadula hält sie inzwischen für eine Gefahr und möchte sie beenden, deswegen hat er Sana angewiesen, härter gegen alle vorzugehen, die sich nicht an die Regeln halten.“
„Eine beliebte und kurzfristig durchaus bewährte Methode aller Diktatoren“, bemerke ich. Und als Baro mich irritiert ansieht, füge ich hinzu: „Machthaber. Aller Machthaber.“
„Du verwendest manchmal seltsame Begriffe“, stellt Baro fest. „Aber du hast natürlich recht. Jedenfalls haben es Niasman und Sana ganz besonders auf einen Bezirk wie H305 abgesehen, weil es hier stärker brodelt als woanders in normalen Bezirken. Hier sind die Leute unzufrieden, mit allem, weil es an allem fehlt. Es gibt kaum Energie, wenn, dann nur aus Notstromaggregaten. Wasser muss mühsam zurückgewonnen werden. Baumaterial ist nicht verfügbar. Sex und Gewalt ist das Einzige, was es unbegrenzt gibt.“
Das erklärt meine Wahrnehmungen, als ich durch die Kreos geführt wurde.
„Warum?“
„Unter uns befinden sich die Energieverteilzentren und darunter kommt schon das Spinnennetz. Im Übrigen gibt es auch Gerüchte, dass die Spinnen etwas planen, doch das konnte bislang nicht bestätigt werden. Und da es solche Gerüchte immer wieder gab, würde ich das nicht zu ernst nehmen. Wir haben auch so schon genug Probleme.“
Ich höre zum ersten Mal von den Spinnen, auch wenn Baro anscheinend voraussetzt, dass ich die Bedeutung des Spinnennetzes kenne. Ich lasse ihn besser in dem Glauben.
„Unser Bezirk und der Nachbarbezirk, H306, stellte die Energiearbeiter. Wir waren in einem ständigen Wettbewerb, denn es gab nicht genug Arbeit für Leute aus zwei Bezirken. Über Generationen hinweg war das aber kein Problem, denn letztlich ging es trotzdem allen gut. Der Wettbewerb war mehr eine Art Sport, es hatte keine Auswirkungen auf die Lebensqualität, mal der Zweite zu sein. Es gab sogar Sportveranstaltungen, auf denen Tätigkeiten aus der Arbeit nachgespielt wurden.“
Arbeiterolympiade, denke ich. Ich hatte im Geschichtsunterricht davon gehört. Wenn ich mich richtig erinnere, fand sie nicht oft statt. Die größte Veranstaltung war 1931 in Wien, bereits im nahen Vorfeld der Nazischeiße. Oh, wie ich dieses widerliche Pack hasse. Wir hatten das Thema recht ausführlich im Geschichtsunterricht und sahen auch Filme aus den KZs nach der Befreiung. Ich konnte tagelang nicht richtig schlafen, weil mich der Anblick der Leichenberge und der völlig ausgemergelten Körper der Überlebenden verfolgte.
Anscheinend ist all das dem menschlichen Charakter geschuldet. Klar, die Nazis kamen aus Deutschland, bis auf ihren Obernazi, aber die Vorgehensweise, die ideologische Verblendung, das elitäre Denken beschränkte sich ja keineswegs auf Europa. Die Briten hatten es schon früher vorgemacht, in Zusammenarbeit mit den geschäftstüchtigen Niederländern sowieso. Von den Spaniern ganz zu schweigen. Doch auch diese seltsame Verklärung der sogenannten Naturvölker, die alle ihre dämlichen und bescheuerten, menschenverachtenden Riten hatten, konnte ich nie verstehen.
Und die hier sind wohl genauso. Wie überall. Selbst meine geliebten Marbutaner machen es nicht besser, wenn ich an ihre perversen Hinrichtungsmethoden, die auf meiner Erde im Mittelalter ja auch verbreitet gewesen waren, denke.
Ich atme tief durch und konzentriere mich wieder auf Baro. Der mich fragend ansieht.
„Alles in Ordnung?“
„Ich habe nur an etwas denken müssen. Ist wieder vorbei.“
„Scheint etwas Unangenehmes gewesen zu sein. Aber ich sehe schon, du willst nicht darüber sprechen. Gut, zurück zu den beiden Bezirken. Wie gesagt, alles lief lange gut. Bis die Zwillinge kamen. Sie wurden, wie schon ihre Väter und Großväter, Energiearbeiter. Das Besondere daran war, dass sie keine gewöhnlichen Zwillinge waren. Aus irgendeinem Grund konnten sie wie ein Mensch agieren und arbeiteten viel schneller als zwei Einzelne. Sehr viel schneller. Das führte mit der Zeit dazu, dass unser Bezirk nur noch Zweiter war. Die Zusammenarbeit, die über Generationen so gut funktioniert hatte, klappte auf einmal gar nicht mehr.“
„Und dann hat jemand die Zwillinge getötet?“
„Du kennst die Geschichte doch?“, fragt Baro überrascht.
„Nein, aber das war nicht schwer zu erraten. Mord ist in solchen Fällen die bevorzugte Vorgehensweise der Verlierer.“
„Hm. Du erstaunst mich. Und du hast tatsächlich recht. Die Zwillinge wurden umgebracht, der Täter konnte nie gefunden werden. Aber für den Diagadas-Clan, also Niasman Kadula, stand fest, dass jemand aus H305 dafür verantwortlich war. Und weil der Täter nicht ausgeliefert wurde, nahm er den ganzen Bezirk in Sippenhaft: Niemand von hier durfte ab da in den Verteilern arbeiten. Seitdem versinken wir im Chaos.“
„Das ist doch bescheuert. Der Mann hat keine Ahnung, was er anrichtet.“
„Da gebe ich dir recht, aber das hilft uns auch nicht weiter. Verständlicherweise führte das irgendwann zu Unruhen, die zusätzlich befeuert werden durch die unbarmherzige Vorgehensweise des Kroig-Clans. Bevor du fragst: Die stellen den Sicherheitsdienst, auch seit ein paar Generationen.“
„Aha. Und wie soll das enden?“
Er zuckt die Achseln. „Das weiß niemand so genau. Ich denke, Niasman und Sana hoffen darauf, dass wir uns irgendwann gegenseitig umbringen, zumindest so weit, dass sie den Bezirk plattmachen können. H305 und Tlen halten sie für Keimzellen der Gewalt.“
„Tlen?“
„Der Bezirk ganz unten. Bete, dass du ihn niemals kennenlernst. Im Vergleich zu dem ist unser Bezirk der reinste Luxus, friedlicher Luxus.“
„Gut zu wissen“, erwidere ich und weiß jetzt schon, dass ich ihn besuchen werde. Die Götter werden sicher irgendwie dafür sorgen. Tlen klingt ganz nach einem Ort für die kleine Fiona, damit sie was genau da macht? Nun, ich werde es wohl erfahren, wenn es so weit ist.
Baro lehnt sich lächelnd zurück und sieht mich an. „Wann beginnen wir mit dem magischen Unterricht?“
Mir ist es ganz recht, dass Baro absolut kein Talent für Magie hat. Null. Oder noch weniger. Wenn es Anti-Magie gibt, dann ist er voll davon. Wer weiß, was er mit Zaubertricks anstellen würde. Wobei, er ist nicht blöd. Das ahnte ich ja schon nach den ersten Worten, die ich mit ihm gewechselt habe, doch die letzten Tage haben mich darin bestätigt.
Ob mir die neue Währung, die er sich hat einfallen lassen, in der ich für das Asyl bezahlen soll, besser gefällt, das weiß ich noch nicht so genau. Im besten Fall habe ich meinen Spaß dabei. Im schlimmsten Fall wird es schmerzhaft. Zwar halte ich es für eher unwahrscheinlich, hier einen zweiten Krieger zu treffen, aber da ich ja den schrägen Humor der Götter kenne, möchte ich mich darauf lieber nicht verlassen.
So bin ich verhalten optimistisch, als Cou in mein bescheidenes Quartier kommt und sagt, dass es Zeit wird. Ich nicke und erhebe mich von meinem Bett. Ich trage einen Leinenanzug, den ich von Baro bekommen habe, der deutlich bequemer ist als die Jeans, die ich trug, als ich hier gelandet bin. Und für den Kampf ist bequeme Kleidung sicher kein Nachteil.
„Die anderen sind übrigens nicht begeistert“, teilt mir Cou unterwegs mit.
„Die anderen?“
„Das Team, das sonst für Baro kämpft. Sangro, Marat und Kaskop. Sangro und Marat kennst du übrigens