Mami Bestseller 19 – Familienroman. Gisela Reutling
Man soll sich auch gleich um eine Wohnung für Sie bemühen.«
Das wäre also geschafft, dachte Christiane. Doch das Schlimmste stand ihr noch bevor: die Aussprache mit Andreas. Sie ließ sich nun nicht mehr länger hinausschieben.
Manchmal träumte sie davon, daß er sagen würde: Ich liebe dich trotzdem, du darfst nicht fortgehen! Aber das
waren gefährliche, wirklichkeitsferne Träume, die sich nicht erfüllen würden.
Es war an einem Abend im Juli. Die Fenster in Christianes Wohnung standen weit offen, um die laue Luft hereinzulassen. Sie hatten, wie so oft, zusammen zu Abend gegessen, aber Christiane hatte kaum ein paar Happen heruntergebracht. Es wird das letzte Mal sein, daß er mir so gegenübersitzt, munter plaudernd, mit diesem frohen Lächeln in seinem offenen ehrlichen Gesicht. Das letzte Mal, das letzte Mal, hämmerte es in ihren Schläfen. Er würde sich betrogen fühlen, weil sie so lange geschwiegen und ihn in dem Glauben gelassen hatte, es würde eine gemeinsame Zukunft für sie geben. Ach, sie hatte sich doch nur ein paar Wochen Glück stehlen wollen…
Andreas breitete bunte Prospekte auf dem Tisch aus – blauer Himmel, Wasser, weiße Segelschiffe. »Mein Freund Otto will mir seinen Wagen für unsere Ferienfahrt leihen. Er ist zwar schon ein bißchen klapprig, aber er läuft noch. Sieh mal, Christiane, und so habe ich mir unsere Reiseroute vorgestellt…« Er faltete eine Straßenkarte auseinander und nahm einen Bleistift zur Hand, um den geplanten Weg nachzuzeichnen.
Christiane konnte es plötzlich nicht mehr ertragen. »Aus dieser Fahrt wird nichts werden, Andreas«, sagte sie mit spröder Stimme.
Betroffen hob er den Kopf. »Warum nicht? Du brauchst dringend eine Erholung, Christiane!«
»Ich werde zum 1. September in unsere Niederlassung in München versetzt. Im August werde ich alle Hände voll zu tun haben, meine Übersiedlung nach dort vorzubereiten.« Es kam beinahe unbeteiligt über ihre Lippen, und ihre Miene war maskenhaft starr dabei.
Andreas sah sie an, als glaubte er, nicht richtig gehört zu haben. Dann legte er mit einer langsamen Bewegung den Bleistift aus der Hand. »Das ist doch wohl ein schlechter Scherz, Christiane!«
»Mir war noch nie weniger zum Scherzen zumute als jetzt«, entfuhr es ihr. Sie sah ihn mit großen dunklen Augen an, dann nickte sie schwer. »Es stimmt schon, Andreas, ich gehe fort.«
Allmählich schien er zu begreifen, daß ihr jedes Wort bitterer Ernst war. Sein Gesicht wechselte die Farbe. »Warum?« fragte er fassungslos, »warum willst du fort? Wir sind doch so glücklich hier. Wenn du in München bist, können wir uns nur ganz selten sehen.«
Gequält wandte sie sich ab. »Es wird wohl so sein, daß wir uns dann überhaupt nicht mehr sehen«, murmelte sie erstickt.
Andreas schnellte empor. »Was soll das heißen? Willst du Schluß mit mir machen?« Heftig schüttelte er den Kopf. »Was ist das auf einmal für ein Unsinn! Die Firma kann dich doch nicht einfach in eine andere Stadt versetzen, oder doch? Dann mußt du dich dagegen wehren!« hielt er ihr erregt entgegen.
Christiane preßte die Hände gegeneinander. Es war alles noch schwerer, als sie es sich vorgestellt hatte. Sie sah beiseite. »Ich habe ja selbst um meine Versetzung gebeten«, brachte sie hervor.
Sein Atem ging rasch. Unverwandt sah er sie an. »Nun verstehe ich überhaupt nichts mehr!« Als sie regungslos, mit hängenden Schultern, vor ihm stand, faßte er sie hart beim Arm. »Erkläre mir doch endlich, was das alles bedeuten soll!« verlangte er und schüttelte sie leicht. In seinen Augen flackerte Unruhe.
Sie blickte zu Boden. »Ich bekomme ein Kind«, sagte sie tonlos. Es war eine ganze Weile still nach ihren Worten, und als Christiane es endlich wagte, aufzublicken, sah sie, daß die verschiedensten Empfindungen in Andreas’ Gesicht miteinander stritten.
»Deshalb warst du manchmal so sonderbar in letzter Zeit, so wechselhaft in deinen Stimmungen. Meinst du, ich hätte das nicht gemerkt?« Er fuhr sich mit beiden Händen über das Haar, dann glitt ein staunendes Lächeln über seine Züge. »Ein Kind… Aber Christiane, das ist doch kein Grund zum Verzweifeln! Dann heiraten wir eben jetzt schon und nicht erst, wenn ich mit meinem Studium fertig bin. Es gibt doch viele Studentenehen. Zusammen werden wir es schon schaffen, auch mit einem Baby!« Seine Augen blickten hell und zuversichtlich, er war voller Optimismus.
Christiane war wie betäubt über seine Reaktion. Du lieber Himmel, er glaubte, das Kind sei von ihm. Und daß er so dachte, war ja eigentlich ganz natürlich. Erschüttert ließ sie sich in einen Sessel sinken. Wenn es doch ein Mauseloch gäbe, in das sie sich verkriechen könnte.
Andreas nahm neben ihr auf der Couch Platz, ergriff ihre kalte, schlaff herabhängende Hand und nahm sie in seine beiden warmen festen Hände. »Was hast du dir da eben zusammenphantasiert, du wolltest fortgehen?« redete er der Verstörten weich und liebevoll zu. »Aber du brauchst mir nichts zu sagen, ich kann es mir schon denken. Ich habe dir einmal erzählt, daß ich der Ansicht bin, ein Mann dürfte nicht eher heiraten, bevor er auch imstande sei, eine Familie zu ernähren. Alles andere sei verantwortungslos. Aber, Christiane, was redet man nicht alles! Wenn man dann vor die Entscheidung gestellt wird, sieht die Sache doch ganz anders aus. Du aber hast gedacht, es wäre eine zu große Belastung für mich, weil ich ein armer Teufel bin und noch mehrere Semester vor mir habe.« Er beugte sich vor und hauchte einen Kuß auf ihre Wange. »Du Dummes, Liebes, glaubst du denn, ich würde dich im Stich lassen? Und mir einfach durchgehen zu wollen, das kommt ja überhaupt nicht in Frage! Ich rechne es deinem Zustand zu, daß du solche närrischen Ideen haben konntest.«
Mit geschlossenen Augen lehnte Christiane in ihrem Sessel. Wenn es doch wahr wäre, dachte sie heiß und schmerzvoll, wenn Andreas der Vater meines Kindes wäre, wie wundervoll könnte alles sein! Sie fühlte, wie seine Hand liebkosend über ihre blassen Wangen glitt. »Du solltest heute bald schlafen gehen, mein Herz. Mir scheint, Mama zu werden ist doch recht anstrengend.« Auch seine Stimme war wie ein Streicheln.
Wenn ich ihm die Wahrheit gar nicht eingestände, zuckte es Christiane durch den Sinn. Das Kind würde dann eben einige Wochen zu früh zur Welt kommen. Aber konnte man mit einer solchen Lüge leben? Vielleicht, wenn sie verhinderte, daß zwei Menschen todunglücklich wurden. Eines Tages würde man dann vielleicht vergessen, daß man sich sein Glück mit einer Lüge erkauft hatte.
Andreas brach bald auf, weil er sah, wie müde Christiane war. Und auch er mußte ja sehr früh aufstehen, aber er war viel robuster als seine Liebste, die nun ein Kind von ihm unter dem Herzen trug. Bevor er ging, küßte er sie noch einmal voll überströmender Zärtlichkeit. »Morgen reden wir weiter. Wir müssen das Aufgebot bestellen. Jezt bin ich froh, daß du schon bald meine Frau wirst – dann kann dich mir niemand mehr wegnehmen!« Sein Lächeln war hell und glücklich.
Obwohl Christiane sich erschöpft fühlte, ging sie noch nicht zu Bett. Rastlos lief sie in ihrer Wohnung hin und her, sie setzte sich hin und sprang sogleich wieder auf, von innerer Unruhe zerrissen. Wie hatte sie schweigen können? Sie hatte sich doch so fest vorgenommen, heute endlich Klarheit zu schaffen! Aber es war furchtbar schwer, dem ahnungslosen Geliebten einen Dolch ins Herz zu stoßen.
Aber sie durfte sich doch auch nicht eines ungeheuren Betrugs schuldig machen! Daß sie das überhaupt erwägen konnte, erfüllte sie mit Scham und Entsetzen. War es schon soweit mit ihr gekommen, daß sie an dem liebsten Menschen ein Verbrechen begehen wollte – denn einem Mann das Kind eines anderen unterschieben zu wollen, das war doch ein Verbrechen! Sie bekam plötzlich Angst vor ihrer eigenen Schwäche. Es wäre das beste, wenn sie Andreas nicht mehr wiedersähe, dann liefe sich auch nicht Gefahr, der Versuchung erneut zu unterliegen. Einen Schlußstrich ziehen, ohne den wahren Grund dafür anzugeben… Das war hart, aber Andreas würde wohl so viel Stolz besitzen, um ihr nicht nachzulaufen.
Sie holte Briefblock und Schreibstift aus der Schublade und begann mit fliegenden Fingern zu schreiben:
Lieber Andreas, ich fand heute abend nicht den Mut, Dir mit aller Bestimmtheit zu erklären, daß unsere Wege sich trennen müssen. Ich habe wirklich keinen anderen Wunsch, als nach München zu gehen, um dort ein neues Leben anzufangen. Für das Kind kann ich schon