Telefónica. Ilsa Barea-Kulcsar

Telefónica - Ilsa Barea-Kulcsar


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empfunden hatte, genügte diese Gemeinsamkeit, um den Anfang einer Gemeinschaft herzustellen. Der nächste Tag würde sehr hart sein: es schien ihnen gut, ihn wenigstens auf diesem einen, engen Gebiet vorzubereiten. Es tat ihnen gut, einmal ohne Hintergedanken reden zu können.

      Pepita saß stumm und verbissen daneben. Sie horchte auf den Tonfall, sie beobachtete die Blicke, sie verstand nichts als das eine, daß da irgendetwas ihr Neues, Feindseliges am Werk war. Nicht einmal ihre stets wache Eifersucht konnte einen verräterischen Klang erhaschen – um so schlimmer, um so gefährlicher. Sie fühlte sich hilflos. Hier stand sie draußen, nicht die Ausländerin.

      Als sich Anita erhob und Agustín ihr ohne besondere Höflichkeit in den plumpen Mantel half, folgte Pepita stumm. Agustín nahm dies mit einem achtlosen, aber freundlichen Kopfnicken zur Kenntnis. Er rief Pepe, der Anita über die Straße begleiten sollte, aus dem Schlummer und sagte zu seiner Frau: »Geh schlafen, und geht morgen nicht aus dem Keller, du und die Kinder.«

      Pepa fand sich ohne eine Möglichkeit der Erwiderung im Lift, zusammen mit der Ordonnanz – sie haßte Pepe – und dieser Ausländerin, die sie zu fürchten begann.

      Sie sprach kein Wort, auch nicht beim Auseinandergehen, und lief rasch die Kellerstiege hinab. Dort unten war wenigstens Licht. Aber in diesem Hause durfte sie nicht lange bleiben, sie hätte nicht kommen sollen. Agustín mußte weg, weg, weg …

      Anita grüßte die Wachen, sie grüßte den Einarm, sie hätte am liebsten die Telefónica gegrüßt. Denn sie spürte, daß sie morgen bei der Rückkehr in die Arbeit keine Fremde mehr sein würde. Sie wußte, daß sie morgen, gerade in harter Arbeit und großer Gefahr, das Leben und die Kraft in sich dreifach stark fühlen würde.

      Vom anderen Straßenufer aus sah sie die große, glatte Wand und den schmalen Turm der Telefónica geisterhaft blaß aus dem Dunkel tauchen.

       Zweiter Teil

       I.

      André ist der einzige Mensch im Pressezimmer. Sechs Uhr früh. Er hat zwei Stunden Zeit, seinen Bericht für Paris zu schreiben. Das Zimmer ist groß und kalt. Kopierpapiere und zerknüllte Abzüge von Korrespondenzberichten liegen auf den Schreibtischen und Sesseln. Abfälle der Pressearbeit des gestrigen Tages. Hinter einem Wandschirm stehen fünf zerwühlte Feldbetten. Die Nachtreporter der spanischen Blätter und der Havas-Mann, die dort schliefen, sind schon oben im Telephonraum, wo es wärmer ist, weil noch alle Fensterscheiben ganz sind. Hier ist in einer der Scheiben ein kleines rundes Loch, von einem dichten Strahlenkranz feiner Sprengstücke umgeben: ein winziger Schrapnellsplitter war es gewesen, den man dann nur mit Mühe unter dem Staub des vernachlässigten Fußbodens gefunden hatte.

      Durch dieses kleine Loch kommt die Kälte herein. Man könnte ebensogut die Fenster öffnen, dann würde man wenigstens frische Luft atmen. Der schale Rauch der Zigaretten von gestern hängt sich in die Kleider. Man hat ein übles Gefühl auf der Zunge. André reißt die Fenster auf – die Fenster jener Zimmerwand, die nicht in der Richtung auf die Front zu liegt. Die Wolkenfetzen haben sich verzogen, der Himmel ist rosig und unendlich klar. Wo ihn ein dunkler Fleck zeichnet, weiß man, daß es nur die Rauchwolken einer Explosion, einer Mine, eines Kanonenschusses sein können. Die geschmacklosen weißen Wolkenkratzer des modernen Madrid sind wie Alabaster, das Grün des Retiro-Parks ist eine Insel freundlicher Farbe, die Berge am Horizont sind reinstes Blau.

      Von dieser Seite her werden die Rebellen kaum eindringen, denkt André. Aber sie werden hereinkommen, es kann nicht anders sein. Merde! – er flucht leise. Was für eine Schweinerei, das Ganze. Die Leute hier werden sich nicht ergeben, das ist klar – warum eigentlich? Aber es ist klar. Man kämpft wohl, weil man nicht anders kann – solange man kann. Aber die Frau gestern, die Frau mit dem aufgerissenen Bauch, das Kind mit dem dunklen Fleck neben dem Auge, die gelbe, langfingerige Hand am Straßenrand – man darf nicht zuviel daran denken, sonst kann man nicht darüber schreiben.

      André setzt sich an eine der großen, altmodischen Schreibmaschinen. Er kann nicht tippen; er muß seine Sätze in Handschrift vor sich sehen, nur dann haben sie Leben. Aber die Zensur verlangt drei maschingeschriebene Kopien. Hol sie der Teufel, aber man muß sich mit den dummen Kerlen vertragen. »Tante Anastasia« nennen die Spanier ihre Zensur, so wie die Franzosen. Er beginnt mit spitzen Fingern zu stochern, findet die Buchstaben nicht, das Farbband verwickelt sich, es geht überhaupt nicht mehr. Er braucht jemanden, der ihm hilft, das ist klar. Eine Sekretärin. Aber hier gibt es keine qualifizierten Frauen. Die Deutsche, die neue Zensurbeamtin, kann halbwegs Französisch; sie ist selbst Journalistin, vielleicht hilft sie. André versucht, sich Anita zu vergegenwärtigen – der echte politische Typus nach außen, sehr sensitiv, wenn man näher beobachtet, eine schwierige Frau. Aber das geht ihn nichts an. Er entschließt sich, das Hotel Gran Vía anzurufen, wo alle jene Journalisten, die nicht in ihrer Gesandtschaft Wohnung genommen haben, schlafen.

      Anita antwortet, völlig wach. Sie war vor einigen Minuten aus tiefem Schlaf aufgefahren, weil eine vereinzelte Minenexplosion die Stille des Morgengrauens zerrissen hatte. Ja, natürlich kommt sie sofort in die Telefónica hinüber, sofort. Sie ist froh über den Anlaß, ihr grabkaltes Hotelzimmer zu verlassen, Arbeit zu haben, ins Haus dort drüben zu gehen. Sie kleidet sich rasch an. Sie hatte ohnedies in der Unterwäsche geschlafen, teils der Kälte wegen, teils aus Vorsicht, um im Alarmfall möglichst schnell fertig zu sein. Sie zieht dasjenige ihrer Kleider an, das einer Uniform am ähnlichsten sieht. Natürlich keinen Hut, sie hat diesen Fehler nur am ersten Tag ihrs Aufenthaltes in Spanien begangen. Alle Papiere, alles Geld mitnehmen, Seife in die Aktentasche stecken, mehrere Taschentücher, denn man kann nie wissen, ob man noch hierher zurückkommen wird. Die bequemsten, breitesten Schuhe mit flachen Absätzen, denn der Tag wird lang sein. Es wird freilich plump aussehen.

      Anita denkt an die Blicke der Spanierinnen und verspürt einen kleinen Stich. Sie weiß, daß sie so am vernünftigsten angezogen ist. Sie hat alles darauf berechnet, so neutral und unkokett wie möglich zu wirken. Aber das hat seine Nachteile. Darf sie übrigens als Zensor mit einem Journalisten zusammenarbeiten? Wahrscheinlich wird man es ihr übelnehmen. Aber das ist Unsinn, man darf die Berichterstatter nicht von vornherein als Gegner behandeln. Sánchez hat das gestern zum Schluß eingesehen. Für einen Spanier allerhand. Halt, das ist wieder eines der arroganten Vorurteile, von denen Sánchez gesprochen hat. Genauso falsch, wie die Vorstellung der Spanier über Ausländer. Sie muß sich da einen Vermittlerposten schaffen. André ist wichtig, ebenso wie sein unsympathisches Blatt. Er ist ein lebhafter Mensch, man hat es gestern gesehen, daß er imstande ist, sich aufzuregen. Er hat Phantasie. Er sieht die Menschen, nicht nur die Nachricht für sein Blatt. Sie hilft ihm gerne.

      Während Anita die dunkle Hoteltreppe hinuntergeht, die dunkle, schattenerfüllte Hotelhalle kreuzt, kämpft sie gegen das Gefühl der Unwirklichkeit. Alles verschwimmt, ihr Denken funktioniert nicht recht, sie möchte laut etwas sagen, um den Kontakt mit der Realität wiederzufinden. In tiefen Fauteuils liegen die Wachsoldaten des Hotels – anarchistische Miliz. Lächerlich-grimmige Gestalten, als sie gestern nacht die Ausländer musterten, aber jetzt im schwachen grauen Licht hilflose, junge, unrasierte Bauerngesichter. Draußen ist die Straße still, leer und grau, sie verschwimmt im dünnen Nebel.

      In der Eingangshalle der Telefónica macht noch immer – schon wieder – Moreno Dienst. Er hat zwei Stunden geschlafen.

      Er schläft immer nur ein paar Stunden, er hält sehr viel aus, nur ist dann manchmal sein Schädel so wüst und fieberhaft. Anita grüßt ihn mit »Salud!«, er brummt die Antwort nur und nimmt sich vor, den alten Pepe genau nach der Frau auszufragen. Der hatte sie doch nach Hause begleitet. Merkwürdig: bis um vier Uhr nachts hat sie mit Sánchez gesprochen und jetzt ist sie schon wieder im Haus – sie kann fast nicht geschlafen haben. Sie geht es scharf an. Man müßte wissen, warum. Anita selbst denkt im gleichen Augenblick daran, daß sie kaum zwei Stunden im Bett gewesen war, und wundert sich über ihre Frische. Wenn sie nur den heutigen Tag und die heutige Nacht ebenso durchsteht. Sie ist überzeugt, vierundzwanzig Stunden wichtiger Arbeit vor sich zu haben, obwohl eigentlich ihr Zensurdienst nur acht Stunden dauert.

      Der Einarm muß Anita ins Pressezimmer führen, sie kennt sich noch nicht recht aus.


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