Kassiber. Izy Kusche

Kassiber - Izy Kusche


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nur Augen, die mit einem Gehirn wie über Drähte verbunden sind. Wenn du einem Bruder mit dem Anstand eines Wärters gegenüber seinem Häftling begegnest, dann will ich nicht dein Bruder sein.

      Brrrtzl. Die Sonne brennt wie zu einer Unterstellung hier herein. Ich schwitze im Liegen. Regungslos. Wie in die Wände eingewickelt. Die Decke senkt sich über mich wie früher die eigene Mutter, wenn sie über ihr krankes Kind gebeugt am Bett stand, über den nassen Körper, als würde er trocken von ihrem blasenden Atem voller Ratlosigkeit mit ihrer sinnlosen Frage nach dem Warum, als ob Masern, Scharlach oder Röteln eine Verweigerung des Kinds gewesen wären: Willst du etwa die Schule schwänzen?

      Als sei ich auf das Bett getupft, zerlaufen liege ich, wie zum zweiten Mal von einer unbekannten Schwester verlassen, nachdem Papa mit dir als Preis in den Krieg zog und eine überforderte Mutter sich lieblos darin übte, mich zu pflegen wie jemanden, der an Sinnlosigkeit erkrankte. Sich selbst konnte sie schneller und besser trösten und erwartete, ich könnte mir Aigisthos ebenso als Ersatz vorstellen. Doch was mechanisch zwischen den beiden erfolgt sein mag, das trennte den Stiefvater von dem Sohn. Ich verschwand. Brrrtzl.

      Mein lieber …, ja, wie soll ich dich also jetzt nennen, wenn nicht mehr Bruder? Wie hart du wirkst gegen mich, ohne Anrede, kein Grußwort, auch du weißt mir keinen Namen zu geben, und was, mein Teurer, soll ich denn tun? Auch diese kurzen Zeilen werden wohl wieder einmal unbefriedigend für dich bleiben. Wir müssen uns gedulden. Ich wünschte, es gäbe bessere Nachrichten. Aber obwohl oder weil alles so lange dauert, drängt die Zeit, weshalb ich gerade leider nicht sehr ausführlich schreiben kann. Deine Enttäuschung über meine stets knappen Mitteilungen muss ich dabei in Kauf nehmen, doch sollst du schließlich wenigstens etwas von mir hören. Wenn ich von einer Verhandlung zur nächsten haste, um für deine Sache einzutreten. Verunsichert, blass, aber immer deine Schwester, I.

      Von meinem Artemis-Gerät gesendet.

      Okay. Iphigenia. Dich mit deinem Namen anzusprechen, erscheint mir leichter, als dich Schwester zu nennen. Denn das war Elektra für mich. Als die Zeit wie Folie auf den Nachmittagen lag, wir in unseren Kapsülen saßen und Krieg der Barbaro-Waffen spielten. Wenn du verstehst. Wir schmissen die Kisten an, wann immer wir konnten. Elektra und ich knatterten Zillionen Atombomben auf die Babylonier. Sie neckte mich: Mit meinem blinden Eifer. Mit meiner Ungeduld. Du musst strategisch denken, lachte sie. Aber, alle Achtung, das war ein verfluchtes Knatterspiel. Ich wollte Elektra wegknattern. Nachmittag um Nachmittag. Bis plötzlich Papa von seinem Einsatz zurückkehrte. Hieß es. Wir suchten überall im Palast nach ihm und entdeckten ihn nirgends. Elektra fragte noch in den Büros, als ich nur so im Revitalisierungsbereich suchen wollte. Papa macht doch nicht als erstes Sport, wenn er nach Hause kommt, rief Elektra mit ihrer sägenden Stimme. Aber dort fand ich ihn. Papa war im Belebungsbecken. Im Wasser. Das Blut. Im Gesicht. Mamas starrer Blick. Als hätte sie ihn totgeküsst oder, alle Achtung, es sah aus, als ob sie ihn gebissen hätte. Ihr ganzer Körper. Rot. Nass. Nackt. Aigisthos musste kotzen. Und da lag Papa. Ertrunken, wie es offiziell hieß, und ich wurde in einer speziellen Einrichtung für traumatisierte Knatter-Kinder-Blabla untergebracht. Auch Elektra meinte, es sei zu meinem Besten. Sie sagte, ich sei dort vor dem Argwohn von Aigisthos sicher, der in mir schließlich einen Konkurrenten wachsen sah, wie sie meinte, und schlug mir in die Klöten. Sie werde immer für mich da sein, lachte sie sägend. Als ich irgendwann wie untot zurückkehrte, tat Elektra so, als würde sie mich nicht mehr erkennen.

      Lieber Orest, das mit Elektra fühlt sich vielleicht etwas schief an für dich. Aber ich weiß doch, was in Mykene damals passiert ist. Also, ich meine, es geht um Mama! Für mich ist das im Moment auch nicht leicht. Gefühlsmäßig. Aber wenn du darauf anspielen willst, dass wir das dringend ausführlich besprechen müssen, und zwar persönlich, dann hast du sicherlich recht. Ich weiß, ich wollte längst wieder bei dir gewesen sein. Zurzeit ist alles ein wenig schwierig, wie du dir vielleicht denken kannst? Bis ganz bald, versprochen, I.

      Von meinem Artemis-Gerät gesendet.

      Ich hatte erstmal keine Ahnung, wie es weitergehen sollte. Ich wollte einfach nur weg. Und mit Pylades bin ich dann los. Glieder wie während der Nacht der lebenden Toten. Gedanken aus Gallert. Ein Blick durch Kleister. Zur Fähre. Hierher. Voller Hass auf dich. Weil alles anfing wegen dir. Weil du dich verschanzt hältst. Auf dieser Insel. In diesem Tempel. Mit dem zentralen Artemis-Distributionsgerät. Na ja. Ich meine. Ich muss zugeben, dass ich das dachte, bevor ich kam. Als Pylades und ich von der Küstenwache verhaftet wurden. Aber dann passierte erst mal nichts weiter. Bis du kamst. Mit einem behutsamen Lächeln, als wärest du noch die Tochter, die ihrer Eltern Sorge bisher immer beschwichtigen konnte, eiltest du an mir vorbei, den Gang entlang, wenn auch den Kopf leicht gesenkt, den Blick auf das PVC, während die rechte Hand eine Strähne vom Gesicht hinters Ohr schob. Dann warst du verschwunden, in einem hinteren Raum, um nach kurzer Zeit neben mir wieder aufzutauchen. Ganz in Schwarz. Der dunkle Stein an dem Ring deiner linken Hand erhob sich wie ein Helikopter, wenn du mit ihr nahezu gestreckt eine Zigarette zum Mund führtest, schwebte, während du den Rauch ausatmetest, senkte sich schließlich wieder neben dem Rock und wartete dort bis zum nächsten Einsatz. (Ich wusste gar nicht, dass hier in deiner Funktion so kurze Röcke überhaupt erlaubt sind.) Und als klar war, du hattest einen ersten, kleinen Teilerfolg erreicht, die Umarmung, in der wir blieben, als würden wir uns aneinander ausruhen. Dein dezent warmer Geruch. Wie auf einem Kissen. Da war dieses Brrrtzln in deinen Augen, über das die violetten Schatten um sie herum nicht hinwegtäuschen konnten, das von keiner Müdigkeit ausgelöscht werden konnte. Das auch blieb, als dein Lächeln längst verloren war. Das war das ewige Leben. Inmitten der ganzen Zombielügen um dich herum. Das spürst du doch jeden Augenblick, dass du nicht dazugehörst. Zu diesen ganzen Leuten hier. Wie hohl das alles ist, das war dir ja selbst bewusst, während wir uns unterhielten. Du kannst doch jetzt nicht sagen, dass das gefühlsmäßig im Moment ein wenig schwierig ist. Als du vorher irgendwann gesagt hast, du hast das Gefühl, das Leben läuft an dir vorbei, weshalb du dich endlich mal konzentrieren musst und so und, ja, vielleicht tatsächlich doch noch mal was ganz anderes machen, wer weiß, irgendwas mit Holz vielleicht, obwohl du schon das Gefühl bekommen hast, wobei man natürlich auch bedenken sollte, dass wir kaum Gelegenheit bekommen haben, alles zu vertiefen, dennoch hast du wieder ein Gefühl dafür bekommen, was das eigene Gefühl ist, das habe ich doch gemeint, die ganze Zeit habe nichts anderes gemeint, als ich gesagt habe, dass das hier echt nicht gut für dich ist und du dringend hier raus musst. Du arbeitest dich zu Tode. Du schaust nur noch in deine Geräte, wann wo was passiert. Sie entstressen dich zwar, wie du dich ausgedrückt hast, weil du nicht mehr irgendwo hinmusst, um etwas nachzuschauen, ob sich irgendwo was ergeben hat. Aber die Arbeit ist nun mal dadurch ständig da. Und du musst auch mal runterkommen. Klar. Aber was sollte das schließlich bedeuten, als du meintest, deine einzige Erinnerung an Griechenland sei dein letzter Winter, bevor du von da weggebracht wurdest, und du würdest vielleicht schon gerne einmal wieder zurück, sagtest du, aber nicht ausgerechnet jetzt. Im Winter. Was soll denn das bedeuten?

      Zwischenzeitlich habe ich wirklich gedacht, du bist anders, und ich hatte mich geirrt vorher. Aber das war wohl ein Fehler. Du hast Angst davor, Farbe zu bekennen. Du bist wie alle anderen. Warum traust du dich nicht, wenigstens das ehrlich zuzugeben? Denkst du, ich kann das nicht verkraften? Hast du Angst, ich mache wieder Attacke? Oder was hast du gemeint, als du sagtest, du wüsstest nicht, ob das so gut sei, wenn wir alle zusammen zurück nach Griechenland fahren? Ich solle mir überlegen, ob es gut ist, auch wegen Pylades. Ist das deine Art, zwischen Pylades und mir zu wählen? Was ist denn das für eine Wahl? Ist doch klar, dass Pylades am wenigsten für alles kann. Ich meine, ich hab ihn wirklich gerne und so, aber seine Frohnatur kann auch ziemlich nerven. Du wirst dich doch nicht für ihn entscheiden?

      Etwas zog dich hin zu mir, und das war nichts rein Griechisches oder Geschwisterliches. Das war ein Brrrtzln. Wenn du nicht etwas dagegen tust. Wolltest du dich wieder Schwester nennen und nicht mehr Mensch, nicht mehr Liebende, um dich aus deiner Pflicht zu stehlen? Ich dachte, du willst mir helfen. Lieber Bruder, so will ich dich also nun vorsichtshalber nennen, denn ich glaube, du hast da etwas überbewertet. Ich hatte mich gefreut dich wiederzusehen. Ich meine, überhaupt zu sehen. Klar, dass man sich dann umarmt. Zumal in so einer Situation. Aber das war es dann auch schon. Und deshalb tut es mir auch weh, deine Worte zu lesen. Jetzt ist nicht der Augenblick, mehr darüber zu schreiben. Zurzeit kann ich wirklich


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