Kassiber. Izy Kusche

Kassiber - Izy Kusche


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wieder raus kannst. Sei ebenso zuversichtlich, I.

      Von meinem Artemis-Gerät gesendet.

      Ich und zuversichtlich bleiben? Soll ich an meiner eigenen Zuversicht erkennen, dass du mir helfen willst? Du wirst mich allein lassen – wie Elektra. Ich habe es ja vorher schon gewusst. Du bist ein Teil des Systems. Insofern hasse ich deine Funktion und dich, wenn du dich mit ihr identifizierst. Wenn du das aber nicht tust, dann frage ich mich, wofür ich dich nicht hassen soll, solange du mich immer noch mit Hinhaltungen abspeist. Jetzt ist nicht der Augenblick? Worauf soll ich warten? Da kann ich ja genauso gut Schluss machen. Aber so tot wie du kann ich dabei gar nicht werden.

      Du funktionierst wie ein Roboter. Du tippst ständig in deine Geräte rein, läufst zu Verhandlungen, du kannst deine Termine schneller bewältigen mit deinem Gerät, es entstresst dich total, aber was passiert? Du sagst, du kämpfst für die Freiheit. Meine. Deine. Unsere. Für die Freiheit, mit deinem Gerät. Freiheit der Geräte und der Geräteverbindungen. Du bist nicht mehr du selbst. Inmitten dieser ganzen Verbindungen. Du folgst blind deinem Programm wie einer Vorschrift. Denn das eine bedeutet das andere. Weißt du noch: Πρόγραμμα heißt schließlich das Vorgeschriebene. Wir sind unserer Sprache fremd geworden, weil sie von Geräteverwendungen bestimmt wird. Alles funktioniert. Lass uns einfach das Distributionsgerät schnappen, dann hauen wir ab. Und wir sind alle frei. Ich sehe nicht, was das eine mit dem anderen zu tun hat? Du hast Mama getötet. Und Aigisthos. Ich habe genug von deiner Ich-bin-schuld-aber-ich-kann-nichts-dafür-Logik. Es handelt sich um eine seltsame Relation, von dem, was du Freiheit nennst, zu dem, was du dahinter verbirgst. Das ist kein Wert an sich. Ich will endlich was von dir wissen, Orest: Warum. Warum, Orest? Womit hat das alles begonnen?

      Von meinem Artemis-Gerät gesendet.

      Wenn du wüsstest. Was man so Anfang nennt. Mama gab sich scheinheilig. Als wäre nie etwas gewesen. Wie sie dastand. In ihrem Zimmer. Noch immer im Morgenmantel. Schwafelte. Aigisthos soll beleidigt sein? Wie ich mich aufführe? Ich meine, bitte? Ich? Alle Achtung! Okay, bleib einfach ruhig, habe ich gedacht, lass dir gar nichts anmerken, also habe ich sie einfach angesehen, als ob ich gar nicht begreifen würde, was sie mir mitteilen wollte, und ich bin wirklich echt ruhig geblieben, aber dann hat sie wie wild angefangen zu schreien, so dass ich tatsächlich nicht verstanden habe, was sie meinte, als sie mit den Armen fuchtelte und, wie ich erst dachte, auf mich zeigte, bis ich begriff, dass sie eventuell nicht mich meinte, sondern meine Richtung und in Wirklichkeit hinter mich zeigte, und dann, ich verstand nur Ratte, also, was soll man denn denken, wenn eine Frau einem gegenübersteht, mit den Armen fuchtelt und immer wieder Ratte, Ratte brüllt, also drehte ich mich um, und dann: Attacke. Ich wollte das nicht. Wirklich. Das musst du mir glauben. Hilfst du mir?

      –

      Iphigenia, es tut mir leid. Wirklich. Bitte. Hilf mir.

      –

      Okay. Ich habe gelogen. Indem ich schrie. Wie willst du meine Mutter sein, wenn du Papa vergessen kannst, schlug ich auf die Gardine ein und riss sie runter, als ich sah, wie sich dahinter Schatten bewegten, die wohl von Aigisthos waren, wie er zitternd sich vor mir versteckte, als einziger, der in diesem Zirkus ehrlich blieb: entsetzt. Denn auch durch Mama wurde er kein König, sondern war immer noch derselbe Krämer, der nur durch Falschheit zu Macht kam. Ich hörte Mama schreien, als ich sie fragte, ob es ihr endlich leid tue: Hör auf, rief sie, ich kann immer noch ihre Angstschreie hören, aber ich habe kein Bild mehr vor Augen. Bitte. Antworte mir.

      –

      Also gut. Es war geplant. Von Anfang an. Ich musste das tun. Weil Apollon es schließlich wollte. Deshalb bin ich unschuldig. Das musst du mir jetzt aber tatsächlich glauben. Und wenn du mich hier nicht rausholst, dann bring ich mich wirklich um. Aber vorher knattere ich hier alles kurz und klein. Was soll das denn. Alles. Noch. Warum antwortest du nicht?

      –

      Wenn du wüsstest. Was man so Anfang nennt. Huhn oder Ei. So, wie Subjekt eigentlich Objekt bedeutet, weil es das Unterworfene ist: Subiectum in Latein. Ύποκείμενον in unserer Sprache: das Zugrundeliegende. Wir sind alle am Boden. Du bist gefragt. The readiness is all. Du kannst es auch sein lassen. Sicherlich. Aber weil es dir egal sein kann, kannst du es auch tun. Egal wie. Hauptsache schnell. Wie der Stoß eines Fechters beispielsweise. Meinetwegen. Ein kreuzendes Hin und Her. Und dann der entscheidende Hieb. Ein Reflex. Kein Modell. Reines Fühlen. Nur Gegenwart. Übereinstimmung mit dir selbst und dem Moment. Lass uns einfach abhauen. Ab nach Athen. Wie eine Wolke. Wir müssen nur bereit sein. Der Abend legt sich wie eine Membran auf uns. Die durchlässige Nacht bleibt an uns hängen, ein Luftzug drückt sie gegen die Haut, in dem die Bäume kaum vernehmbar knistern wie verborgene Tiere in ihrem Versteck. Etwas gibt sie preis. Was? Was?

      Briseïs-Protokolle

      Jetzt komme ich also endlich dazu, mich für eure zahlreichen und absolut süßen Kommentare zu bedanken. Ich weiß, ich habe euch wirklich lange warten lassen. Aber, Kinder, der ganze Stress. Ihr könnt es euch nicht vorstellen. Allerdings hat es sich diesmal wirklich gelohnt. Ich kann euch versichern, es sieht auf den Bildern, die ich schon transikoniert habe, nicht nur so aus – dieses Schiff ist wirklich exorbitant [Darstellung eines lachenden Pygmaíos]. Tatsächlich ist alles total brillo. Gerade habe ich mich an Deck ausgestreckt. Blick nach oben: Ein Himmel wie ein frisches, unberührtes Laken, monochrom. Wir treiben ruhig vor uns hin, das Meer federt unter unserem Schiff, als wäre die See nur eine wattige Lage und unter ihr eine weitere Schicht. Blick nach links: glattes, glänzendes Wasser. Blick nach rechts: glattes, glänzendes Wasser. Davor ein kleines Tischchen mit einem erfrischenden Lollo Paluz. Nach vorne zu schauen ist nahezu unmöglich, so flach habe ich meine Liege eingestellt. Das Artemis-Gerät halte ich halb hoch, mein rechter Zeigefinger berührt die Buchstabenfelder mühelos, und so kann ich euch ohne große Anstrengung auf dem Laufenden halten. Auch wenn es gerade wieder etwas stressig ist, eure Bedenken wegen des neuen Schiffs sind absolut unbegründet gewesen. Ich arbeite zwar viel, aber solange ich nebenher an einem Lollo Paluz nippen kann … Das hier ist alles eine einzige Schnittstelle. Was will man schließlich mehr. Voll brillo!

      Das hier ist doch mal was anderes als die übliche Kulisse, auch wenn es wie gesagt Myriaden Dinge zu tun gibt. Ihr habt es ja mitbekommen. Wie wenig Protokolle ich während der letzten Tage transitieren konnte. Weil ein paar von euch absolut unverbesserlich klatschsüchtig sind [Darstellung eines lachenden Pygmaíos], hier mal schnell eine Aufdatung.

      Ich lag an Deck. Achilleus hatte das Schiff wie eigentlich jeden Morgen verlassen, um sich mit Agamemnon zu besprechen. Als er wieder kam, hatte ich bereits an einigen Lollo Paluz’ genippt. Es war nicht ungewöhnlich, dass Achilleus lange wegblieb. In der Regel vermisste ich ihn auch nicht, weil es immer genug zu tun gab, von Anfang an, seit ich zu Achilleus gekommen war. Selbst vorher, als ich noch Bewohnerin bei Mynes war, gab es viele Protokolle zu schreiben, auch wenn zugegebenermaßen in Lyrnessos für mich vergleichsweise noch wenig zu tun war. Bis Achilleus kam, blieb das so. Als er in Uniform und mit einem offiziellen Beschluss kam und mit seinem Zwangstransmittor Mynes einfach wegknatterte. Und anschließend nahm er mich mit auf sein Schiff. Er hatte es nicht an Versprechungen mangeln lassen. Auch wenn es zu dieser Zeit einige Kommentare von anderen Bewohnern zu meinen Protokollen gab, die es nicht gerade goutierten, dass ich nun bei Achilleus auf dem Schiff mitfuhr. Mangelnde Solidarität wurde mir vorgeworfen. Gerade von Bewohnern aus Troja. Bei griechischen Bewohnern schwang eher Neid mit. Das sag ich ganz offen so. Und ich möchte mal wissen, was jemand anderes an meiner Stelle gemacht hätte. Juristisch war es einwandfrei legitimiert, Mynes zu zwangstransmittieren. Dann hätte man sich an anderer Stelle drüber beschweren müssen, wenn man gegenüber Zwangstransmittierungen generell kritisch eingestellt ist, aber an dem Sachverhalt, dass ein offizieller Beschluss vorlag, konnte ich doch nichts ändern. Ich konnte nichts dafür, dass Mynes zwangsstransmittiert wurde, weil er es nicht geschafft hatte. Niemals und nirgends. In der ganzen Zeit nicht. Ich meine, was war das für ein Typ? Versucht mal, etwas über Mynes herauszufinden. Nichts. Nada. Nothing. Von wegen, der Apollon-Katalog vergisst nichts. Es gab ja von Vornherein überhaupt gar kein Wissen über Mynes. Mynes war ein absoluter Niemand. Wenn man ihn im Hermes-Verzeichnis sucht, finden sich lediglich folgende Einträge:

      Mynes


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