Die Sennerin aus der Großstadt. Vroni Müller

Die Sennerin aus der Großstadt - Vroni Müller


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      Inhalt

       Weißdorn

       Kummer in der Großstadt

       Himmelreich

       Ärger auf der Alm

       Vom Aushang zum Job

       Bewerbung auf Bayrisch

       Brücken abbrechen

       Servus München

       Hallo, Himmelreich

       Almbetrieb

       Rendezvous

       Gewitter über Himmelreich

       Weiße Kittel

– 1 –
Weißdorn

      Zart flatterten die bunten Stofffetzen im Wind.

      Besorgt umklammerte das kleine Mädchen mit den blonden Zöpfen die knochige Hand seiner Großmutter.

      „Oma, sind das Kleider, die da in der Hecke hängen?“, fragte der Dreikäsehoch mit großen Augen, ohne die vom Luftstrom bewegten Fetzen aus dem Blick zu verlieren.

      Zärtlich tätschelte die Großmutter das widerspenstige Haar ihrer Enkelin.

      „Nein, liebe Selma. Das sind Stücke aus deiner Babykleidung. Ich habe sie in den Weißdorn gehängt, damit die bösen Feen dich nicht auch noch mit sich nehmen. Deine Eltern haben sie mir schon geraubt.“

      Die Kleine versuchte, im Wirrwarr der Hecke Feen zu entdecken, doch sie konnte keines der geheimnisvollen Wesen dort erspähen. In ihrer Phantasie waren die Geisterwesen jedoch nicht böse, sondern hübsche Frauengestalten mit Flügeln.

Kummer in der Großstadt

      „Mädel, du brauchst mal mehr Abwechslung.“

      Der fröhliche Spruch von Oma Rosi schwebte Selma immer noch im Hinterkopf. Sie hatte ein hartes Jahr hinter sich. In München zu arbeiten, das war stets ihr Traum gewesen, doch niemand hatte ihr im Vorfeld erzählt, wie schwer es in der Großstadt war, Kontakt zu finden. Zudem ging fast ihr gesamtes Gehalt für die Miete ihres winzigen Zimmerchens drauf, das sie nicht als Wohnung bezeichnen wollte. Ein Wohnklo traf es eher.

      Außer dem kleinen Balkon hatte ihre Unterkunft nichts Schönes. Wenn Oma Rosi bei den Wochenendbesuchen ihrer geliebten Enkelin versuchte, etwas über die neue Heimat herauszufinden, wich Selma mit einem Themenwechsel aus. Was hätte sie auch berichten sollen über ihre eintönigen Abende, die aus etwas TV und Aufräumen bestanden? Die Kollegen in der renommierten Kanzlei waren alle nett, natürlich. Doch mehr als oberflächliche Worte hatte sie nicht bekommen im letzten halben Jahr. Sie freute sich immer noch wie ein kleines Kind auf den Freitagmittag, wenn sie mit ihrer abgenutzten Reisetasche, die noch ein Geschenk ihrer Eltern gewesen war, gleich direkt von der Arbeitsstelle zum Ostbahnhof aufbrechen konnte, um bis zum Sonntagabend in die schöne Voralpenwelt fahren zu können. Als ob ein schwerer Eisenring von ihrer Brust genommen würde. Ihre Oma stand stets zuverlässig zur vereinbarten Ankunftszeit des Zuges am Bahnsteig und sah sie fröhlich aus ihren mittlerweile trüben Augen an. Zu Fuß ging das ungleiche Paar dann zum kleinen, aber peinlich sauberen Haus mit den blauen Fensterläden, das Selma immer noch ein warmes Zuhause war.

      „Du bist mir Abwechslung genug“, sagte sie dann stets und tätschelte ihrer Großmutter, die sie die letzten Jahre so liebevoll großgezogen hatte, die faltigen Hände.

      Mit zwölf Jahren hatte Selma der schwerste Schlag getroffen, den ein Kind ereilen kann. Ihre geliebten Eltern waren bei einer fürchterlichen Naturkatastrophe ums Leben gekommen. Es war dies der erste Urlaub gewesen, den sich die fleißigen Leute geleistet hatten, und dieser endete so tragisch, wie es nur in schlechten Romanen oder im echten Leben passieren kann. Über die Weihnachtstage war es zu einer enormen Springflut des Meeres gekommen, die das gesamte Leben in der kleinen Küstenstadt ausgelöscht hatte. Aus der Ferne zurück kamen nur zwei Särge, die von einer minderjährigen Waise und ihrer Oma Rosi entgegen genommen und auf dem heimatlichen Friedhof bestattet wurden.

      Oft waren Selmas heiße Tränen auf die schlichte Grabstelle getropft, die von einem schlichten Kreuz aus Schmiedeeisen in traditioneller Form geschmückt wurde. Mit unermüdlicher Sanftmut war sie von ihrer Großmutter aber immer unterstützt und durch die gesamte Schulzeit begleitet worden. Blickte sie zurück auf ihre Kindheit, dann hätte sie diese trotz des schweren Verlustes stets als glücklich bezeichnet. Behütet von guten Feen.

      Nach dem Schulabschluss war es allerdings schwer gewesen, eine Lehrstelle in dem kleinen Ort zu finden. Mittlerweile fuhr auch nur noch zweimal pro Tag ein Zug in die nächstgrößere Stadt, sodass die junge Frau sich in der Großstadt nach einer Zukunft im Beruf umschauen musste. Das würde wohl auch langfristig so bleiben, denn die jungen Leute zogen verstärkt aus der entlegenen Region in die Landeshauptstadt, die so viel mehr Amüsement und Zerstreuung bieten konnte. Und natürliche eine gesicherte Arbeitsstelle.

      Hier im Dorf, das musste Selma sich früh eingestehen, gab es nur Bauernhöfe. Natürlich suchten auch diese stets Arbeitskräfte, doch der Bedarf an fleißigen Händen, die sich dem harten und gar nicht so romantischen Bedingungen in der Landwirtschaft stellen wollten, wurde schon seit Jahren mit Saisonarbeitern aus dem europäischen Ausland gedeckt. Diese kamen dann in großer Zahl in die ihnen fremde Umgebung und reisten nach dem Einbringen der Ernte freundlich grüßend, aber als Fremde wieder ab. Der Kontakt zur einheimischen Bevölkerung beschränkte sich zumeist auf einige freundliche Worte und nette Grüße, wenn man sich denn mal über den Weg lief. Zu den Dorffesten erschienen die fleißigen Hilfskräfte zwar, blieben aber meistens unter sich.

      Selma liebte Tiere. Nichts war beruhigender als der Blick in die treuherzigen Augen einer Kuh. Sie liebte es, durch die Gebirgswelt zu streifen und den Kühen zuzusehen, die unbeirrt von der politischen Weltlage oder der schlechten Laune der Menschen ihre Runden auf den steinigen Almwiesen drehten. Ob es regnete oder die Sonne auf sie herab schien, wichtig war den gemächlichen Tieren mit den charakteristischen Flecken auf dem Fell nur ausreichende Nahrung. Selma beeindruckte immer wieder, wie zartfühlend die großen Nutztiere mit ihrem nassen Maul die winzigsten Pflänzchen entdeckten und mit ihren Zähnen abzupften. Auf den kargen und nicht besonders fruchtbaren Wiesen der Umgebung, die zudem noch durch die starken Höhenunterschiede nicht leicht zugänglich waren, wurden neben den widerstandsfähigen Kühen auch Schafe und Ziegen gehalten. Besonders die Ziegen waren wahre Kletterkünstler. Vielleicht hielten sich manche auch für eine Mutation der heimischen Steinböcke, deren Zahl leider sehr dezimiert worden war. Doch so sehr die junge Frau all die schönen Seiten ihrer Heimat liebte, so sehr stand nach dem Schulabschluss doch für sie fest, dass sie eine Lehre im Büro absolvieren wollte.

      Wie hoch die Anforderungen dort sein würden und wie einsam Selma durch die Betonwüste der Großstadt schlendern würde, das war aber doch überraschend, als sie ihre ersten Tage in der Landeshauptstadt verbrachte. Selbstverständlich war München wunderschön. So erzählten es ihr natürlich immer alle Menschen, von denen sie nach ihren Plänen für die Zukunft gefragt worden war. Schließlich machten Tausende von Gästen dort Urlaub, wo sie zukünftig leben würde. Sie musste sich selbst oft genug eingestehen, dass sie beispielsweise begeistert die Berichte über das gemütliche Biergartenleben oder die prachtvollen Geschäfte Münchens verfolgte.

      In


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