Die Sennerin aus der Großstadt. Vroni Müller

Die Sennerin aus der Großstadt - Vroni Müller


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in der Skihütte stand in großen Buchstaben auf den Plakaten, die das Lifthäuschen zierten. Sepp hatte das bunte Treiben zuerst mit Skepsis laufen lassen, als ihm sein Sohn das neue Konzept vorgestellt hatte. Sein persönlicher Geschmack war das sicher nicht. Aber es schien anzukommen und sich in klingender Münze auszuzahlen, und so ließ er dem strebsamen und ideenreichen Filius gern freie Hand. Er hätte sich gewünscht, sein Vater hätte damals so viel Vertrauen in ihn gehabt. Aber der alte Vitus Kerner hatte bis zu seinem letzten Atemzug die Zügel fest in der Hand gehalten. Nach Vitus' Sekundentod infolge eines Herzinfarkts mit 54 Jahren stand Sepp mit der Verantwortung für die Familie, viele Mitarbeiter und ein jahrhundertealtes Familiengut allein und unvorbereitet da. Er hatte zwar drei Schwestern, doch keine zeigte auch nur den Funken von Interesse an der harten Arbeit in der Landwirtschaft. Ganz im Gegenteil, alle drei hatten sich, so schnell es irgendwie ging, von Sepp ihren Erbanteil auszahlen lassen. Sepp hatte sich damals fest vorgenommen, seine Kinder besser an die große Last heran zu führen, die ein großer Besitz mit sich brachte. Paul interessierte sich zwar weniger für Tiere, aber Lilly, die jüngere Schwester, träumte von einem Tiermedizinstudium, für das sie im Frühjahr die Zusage erwartete. Das dritte Geschwisterkind, Marie, war erst fünfzehn und sah sich wie ihr Vater Sepp alles mit ruhiger Miene und aufmerksamen Augen an. Sepp war jedenfalls zuversichtlich, dass einer der drei oder am besten alle zusammen den Kernerhof in die Zukunft führen würden.

      Nach dem Almabtrieb kam die turbulente Skisaison, und im neuen Jahr fand Sepp, das sei nun genug Zeit für den leicht erregbaren Senner gewesen, um sich abzureagieren. Doch der war unversöhnlich in seinem Ärger und schüttelte immer nur den Kopf, wenn Sepp ihn fragte, ob er seinen bewährten Job im Frühjahr wieder antreten wolle. Irgendwann verlor auch der gutmütige Bauer die Geduld. Er wollte sich ganz sicher nicht länger von dem griesgrämigen Senner Peter auf der Nase herumtanzen lassen. Da würde sich doch jemand anderes finden lassen für die Brennbachalm. Am besten jemand, der ein neues, frisches Aushängeschild der Alm sein würde. Denn Wandern war wieder in, wie man anhand der Zeitungsberichte und Fernsehbeiträge erkennen konnte. Die Outdoorbranche verzeichnete sensationelle Zuwächse. So kam es, dass nun der Aushang im Schaukasten der Gemeinde hing.

Vom Aushang zum Job

      Rosi las sich die kargen Worte ohne viele Schnörkel noch einmal durch.

      „Soso, dann will der Peter wirklich nicht mehr auf die Alm“, murmelte sie vor sich hin, ganz in Gedanken versunken.

      Den alten Griesgram tolerierte das gesamte Dorf manchmal nur mit äußerster Willensanstrengung. Er hatte, so lange man denken konnte, ein Haus an der Hauptstraße, das ihm eine verhuschte, farblose Ehegattin auf Vordermann brachte. Zwei Kinder hatte man auch miteinander, wobei man sich anhand der offensichtlichen Lieblosigkeit zwischen den Eheleuten durchaus fragen konnte, in welcher Nacht des Rausches diese wohl entstanden sein mögen. Sobald die Kinder das Schulalter verlassen hatten, machten sie sich auch gleich auf in die nächstgrößere Stadt und wurden nur an wenigen Tagen wieder im Dorf gesehen, wo sie eher die Mutter als den Vater zu besuchen schienen.

      Mit großen Reichtümern war diese Familie nie gesegnet gewesen, aber wenn einem das Eigenheim gehörte, dann reichte der saisonale Job auf der Alm durchaus. Die Frau des Teilzeitsenners ging zudem in mehreren Geschäften putzen und sorgte damit sicher ebenfalls für das Auskommen der kleinen Familie.

      Kaum hatte Rosi ihre eigentlich mehr für sich als für Außenstehende gesprochenen Worte ausgestoßen, da dröhnte es fröhlich in ihrem Rücken: „Richtig, der Peter will nicht mehr, und ich bettle jetzt nicht mehr weiter. Ich suche jemand Neuen. Du willst nicht zufällig auf die Alm?“

      Erschrocken drehte Rosi sich um und sah in das freundliche Gesicht des Großbauern Sepp Kerner, der sich unbemerkt zu ihr gesellt hatte.

      „Ach, Sepp, wenn die Knochen noch wollen würden, warum nicht?“, kicherte Rosi schelmisch.

      Man schüttelte sich respektvoll die Hände zur Begrüßung. Sepp riskierte einen kritischen Blick auf die rüstige Dame, die ihn trotz der angeblich so morschen Knochen noch sehr kokett anlächelte.

      „Holst du deine Enkelin vom Bahnhof ab? Müsste gleich kommen, der Bummelzug aus München mit Haltestellen an jeder Milchkanne“, lachte er.

      „Genau, Selma verbringt ihr Wochenende mal wieder mit mir statt mit einem jungen Mann im Bett – oder wo immer junge Menschen sich heutzutage vergnügen“, war Rosis Antwort, nicht ohne einen kleinen Anflug an Selbstmitleid.

      „Sei doch froh, dass sie so eine treue Seele ist. Gefällt es ihr immer noch nicht besser in der großen Stadt?“

      „Nein, sie welkt dahin in der städtischen Umgebung. Ich bin sicher, gäbe es nur die geringste Chance, hier Geld zu verdienen, dann wäre sie sofort wieder in unserem Himmelreich“, antwortete die betagte Dame mit einem Seitenblick auf das Stellenangebot.

      „Vielleicht will sie ja Sennerin werden“, stieg Sepp sofort auf die Steilvorlage ein.

      „Muss man denn dafür eine bestimmte Ausbildung haben? Unsere Selma ist zwar sehr naturverbunden, aber gelernt hat sie nur diesen Bürokram. Büroassistentin oder wie man das offiziell nennt.“

      „Also, die Bewerber haben mich noch nicht überrannt bisher.“ Er überlegte kurz. „Nein, ich denke, eine gute Portion gesunder Menschenverstand und ein Händchen für Tiere und Gäste, das müsste genügen. Da oben kann es aber natürlich auch mal sehr einsam sein. Und die Besucher kann man sich nicht aussuchen, was ja letztendlich dazu geführt hat, dass mir der Peter den Dienst und auch gleich die Freundschaft aufgekündigt hat. Ich war gerade noch mal bei ihm, aber seine Frau, das arme Ding, musste mich mit sichtlichem Unbehagen an der Haustür abfertigen. Nicht einmal reingebeten wurde ich. Jetzt mag ich nicht mehr betteln. Vielleicht findet sich jemand, der mehr wert auf den Job legt.“

      So grantig kannte Rosi den ansonsten sehr gutmütigen und nachsichtigen Bauern gar nicht. Senner Peter musste es sich wirklich gründlich verdorben haben mit seiner seltsamen Art.

      „Wirst du Selma fragen?“, drängte Sepp, als er die typischen Ankunftsgeräusche des nahenden Zuges hörte.

      „Ich kann nichts versprechen, aber ich erzähle ihr auf jeden Fall davon“, antwortete sie und strebte in Richtung der winzigen Ankunftshalle.

      „Dann schon einmal danke dafür. Selbst wenn nichts daraus wird“, grüßte Sepp zum Abschied und ging in die entgegengesetzte Richtung zum Parkplatz.

      Rosi hörte fast nicht mehr zu, so sehr freute sie sich schon auf ihren Sonnenschein. Mit enormem Getöse ratterte die alte Zuggarnitur, neuere setzte man auf dieser unbedeutenden Strecke nicht mehr ein, auf dem Gleis heran, um mit einem herz- und ohrenzerreißenden Quietschen zum Stehen zu kommen. Rosi presste ihre große Tasche etwas fester an ihre dicke Jacke. Da erblickte sie ihre Enkelin, und ihre Augen strahlten. Frohsinn und Heiterkeit kehrten für sie zurück. Auch wenn es nur für das Wochenende war.

      Selmas Herz jubilierte. Schon Minuten vor der prognostizierten Ankunft drängte sie sich an die Tür zum Ausstieg, um im Vorübergleiten die heimelige Berglandschaft zu bewundern. Da sah sie ihre geliebte Oma, die einzige Bezugsperson, die ihr das böse Schicksal gelassen hatte, am Bahnsteig stehen. Dick eingemummelt, um sich gegen die immer noch herrschende raue Witterung in den ersten Wochen des Jahres zu schützen, aber den Blick neugierig und erwartungsfroh auf den Zug gerichtet. Kaum waren die schweren Wagen zum Stillstand gekommen, wuchtete die junge Frau mit viel Energie die sperrige Tür auf und setzte ihren Fuß auf den geliebten Heimatboden. Mit ihrem Rucksack auf dem Rücken eilte sie auf Rosi zu und umarmte diese stürmisch.

      „Omi!“

      „Selma!“, schallte es über den Bahnsteig, was die anderen Reisenden, die hier die Bahn verließen, mit aufrichtiger Freude die schöne Szene betrachten ließ.

      „Komm, gehen wir erst mal heim“, sagte Rosi nach der stürmischen Begrüßung und hakte sich bei ihrer Enkelin ein, die sie mit ihrer schlanken Gestalt um zwei Köpfe überragte.

      „Gern doch, liebe Omi. Und dann kaufen wir uns ein paar feine Sachen für das Wochenende.“

      Plaudernd


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