Joe 9/11. Thomas Antonic

Joe 9/11 - Thomas Antonic


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Er startet den Motor und entfernt sich von den Klippen. Nach einer Weile, die ihm wie eine Ewigkeit vorkommt, erreicht er den Hafen, wo er jetzt das Boot wie der tollkühnste Matrose aller Zeiten parkt. Er schnappt sich den nassen Fetzen, in den er die Hand gewickelt hat, und betritt das Festland.

      Er sieht sich um. Weit und breit niemand zu sehen. Er wickelt die Hand aus, legt sie auf den Boden und macht schnell ein paar Fotos mit seiner Kamera. Er sieht genauer hin und entdeckt einen Ring auf einem Finger, der mit Schleim und Hautgewebe bedeckt ist. Er ist abermals nahe daran, sich zu übergeben, aber er nimmt sich zusammen und zieht den Ring vom Finger. Es handelt sich um einen ziemlich gewöhnlichen Goldring. Auf der Innenseite ist ein Wort eingraviert, doch Martty kann das Wort nicht lesen, da es eine arabische Schrift ist. Er steckt den Ring in eine Tasche seiner Shorts und wickelt die Hand wieder in den Fetzen. Er steigt die steilen Gassen vom Hafen aufwärts, ins Dorf zurück, geht ins Hotel, sagt kein Wort zum Mann an der Rezeption.

      »Aaaaaaah. Endlich. Was für ein Abenteuer. Wuuuuuuaa.«

      Er legt den Fetzen mit der Hand in die Minibar und fällt ins Bett, Gesicht nach unten. Wilde Gedanken bemächtigen sich seiner. Aber nach wenigen Augenblicken schläft er erschöpft ein.

      Klopf, klopf, klopf ……………

      Martty schläft tief und fest, aber er hört das Klopfen.

      Klopf, klopf, klopf ……………

      Der Schlaf wird leichter, aber er ist zu müde, um aufzuwachen und sich zu erheben. Er fällt zurück in den Schlaf, in ein Traumland, das von Bier und Ladys bevölkert ist.

      Zwei Stunden später.

      »Llllllllllliiiiiiikkkkkaaa akka ooooooooo. Zeee!«

      Martty springt aus dem Bett und beginnt mit einer Art Schattenboxen.

      »Heeeeiiiilige Scheiße, was für ein Alptraum!«

      Martty sitzt an der Bettkante und reibt sich die Augen. Er entdeckt einen Zettel, der unter der Tür hindurchgeschoben wurde. Er erhebt sich und hebt den Zettel auf:

      DU FINDEST MICH IN DEM CAFÉ NEBEN DEM HOTEL, SOLLTE DIR LANGWEILIG SEIN, AMIGO. ICH BIN ES. GRUSS, J.

      12

      Martty: »Woher wusstest du, dass ich auf Zimmer 207 bin?«

      J: »Die Leute an der Rezeption können oft ein kleines Zusatzeinkommen brauchen.«

      Martty: »Wer bist du?«

      J: »Ich? Ein Tourist.«

      Martty: »Und wie heißt du?«

      J: »Ich heiße John.« … »Ich bin Jack.« … »Mein Name ist Janne.« … »J …«

      Martty führt diese imaginäre Konversation, während er nach unten geht, um das Hotel zu verlassen. Beim Verfasser der Nachricht handelt es sich mit hoher Wahrscheinlichkeit um den Mann, der wie Burroughs aussieht. Vor zwei Tagen noch wollte Martty mit diesem Fremden ein Glas Rotwein trinken. Aber die Nachricht war etwas seltsam. Ist er schwul? Er betritt das Café neben dem Hotel, und da sitzt er auch schon, in seinem grauen Anzug. Er sieht aus wie ein alter schwuler Junkie und betrachtet Martty beim Hereinkommen.

      J: »Wollen wir gemeinsam ein Gläschen trinken?«

      Martty: »Klar.«

      J: »Schön! Nimm Platz, mein Freund.«

      Martty setzt sich.

      Martty: »Wie hast du die Nummer meines Zimmers herausgefunden?«

      J: »Das ist recht unkompliziert in einem Hotel mit zehn Zimmern, von denen nur eines belegt ist.«

      Martty: »Ich verstehe. Ich heiße übrigens Martty.«

      J: »Martty. Schön, dich kennenzulernen. Ich bin Joseph. Du bist aus San Francisco, richtig?«

      Martty: »Das ist richtig, ja.«

      Joseph: »Tut mir leid, ich habe ein schlechtes Gedächtnis. Ich kann mich nicht an jedes Detail unseres kurzen Gesprächs erinnern, das wir letztens führten … Wann war das? Vorgestern? Es liegt wohl an der Hitze. Vielleicht werde ich auch langsam alt …«

      Martty: »Schon in Ordnung, das macht nichts.«

      Der Mann, »Joseph«, hat eine dunkle, verrauchte Stimme und lächelt andauernd etwas seltsam. So kommt es zumindest Martty vor, der skeptisch ist. Die beiden führen ein wenig Small Talk. »Joseph« scheint ein kultivierter Zeitgenosse zu sein und hat zu allem etwas Kluges zu sagen. Sie unterhalten sich über Portugal, die politische Situation in den Vereinigten Staaten, Bücher, Wirtschaft … Er erzählt Martty von seiner Zeit in Marokko, wo er fünf Jahre lebte. Während er spricht, fragt Martty sich, wovon Joseph lebt. Vielleicht entstammt er einer wohlhabenden Familie und muss keinem Broterwerb nachgehen? Vielleicht ist er deshalb so gebildet? Jedenfalls vergeht die Zeit in Anwesenheit dieses angenehmen Gesprächspartners wie im Flug, und ehe er es bemerkt, ist es spätabends, und die beiden haben beinahe zwei Flaschen vorzüglichen Rotweins miteinander getrunken. Es ist bereits dunkel, ein wundervoll lauschiger Sommerabend, und Martty ist schon etwas betrunken, wie er eben bemerkt. Er wird zusehends entspannter und offenherziger, was auch Joseph auffällt.

      »Sollten wir noch ein letztes Fläschchen bestellen?«

      »Absolut!«

      »Also, Martty, du bist hier nicht auf Urlaub, habe ich recht?«

      »Wie hast du das herausgefunden?«

      »Nun ja, ich habe dich noch nie am Strand liegen gesehen.«

      »Das ist wahr. Ich bin auf Geschäftsreise hier … Naja, mehr oder weniger.«

      »Geschäftsreise? Und welches Geschäft bringt dich nach Sagres?«

      »Ermittlungen.«

      Der Kellner kommt an ihren Tisch.

      »Mais uma garrafa, por favor … Ermittlungen? Du bist aber kein Polizist, nicht wahr? Haben diese Ermittlungen etwas mit einem Versicherungsfall zu tun?«

      »Hahaha! Nein, nein … Also, genau genommen ist das nicht mein Job. Ich stelle hier Ermittlungen für einen meiner Freunde an. Er ist Fotograf.«

      »Okay? Und?«

      Martty denkt, dass er vor Joseph keine Geheimnisse zu haben braucht. Er vertraut ihm, und wer weiß, vielleicht kann Joseph ihm nützliche Tipps geben.

      »Also die Sache ist die: Mein Freund war vor ein paar Wochen hier und besuchte dieses Café, dessen Besitzerin ermordet wurde. Du hast bestimmt davon gehört.«

      »Natürlich. Schlimme Sache.«

      »Wie lange bist du schon in Sagres?«

      »Zwei Monate.«

      »Wow. Wird dir hier nicht langweilig?«

      »Nun ja, ich glaube, dass ich in naher Zukunft weiterziehen werde. Ich werde möglicherweise wieder einmal für einige Zeit in die Staaten reisen.«

      »Verstehe. Aber, lass mich weitererzählen …«

      »Selbstverständlich.«

      »Peter, mein Freund, hat von dieser Frau ein Foto geschenkt bekommen. Es hat dort an der Wand gehangen. Es ist eine Abbildung der Klippen. Ein Polaroidfoto in Schwarz-Weiß, das mit einer raren Kamera gemacht wurde …«

      Josephs Lächeln verschwindet für einen Augenblick aus seinem Gesicht, aber sogleich ist es wieder da.

      »Ja?«

      »Wieder zu Hause geht Peter in sein Studio, vergrößert das Bild und erkennt plötzlich ……………..«

      Martty erzählt die ganze Story. Er hat bloß noch nichts von seiner heutigen Bootsfahrt erwähnt.


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