Die letzte Nacht. Furio Jesi

Die letzte Nacht - Furio Jesi


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zum nächsten zu hüpfen, ohne auf die Trennlinie zu treten. Da tauchte aus dem Hintergrund des Raumes, wohin das Kerzenlicht nicht drang, ein kleiner, dicker, schwarz gekleideter Herr auf. Sein Aussehen hatte nichts Furchterregendes, aber sein plötzliches Erscheinen entsetzte die Kinder dermaßen, dass sie die Treppe hinaufstürzten, dann über die dunklen Felder, auf das Licht ihrer Wohnungen zu.

      *

      Als sie erschienen, hatten sie keine deutlich erkennbaren Umrisse; Wolfszähne tauchten auf und am Körper behaarte Stellen wie bei Kaninchen. Aber da sie die Dunkelheit liebten, sich in Kellerwinkeln verkrochen, im Dunkel der Speicher und unter dem Staub und den Spinnweben der Schuppen, konnte das auch nur eine Täuschung sein, und vielleicht waren Gestalt und Gesicht wie beim Menschen. Es waren keine Toten, die des Nachts an die Türen klopften. Wie die blinden Geschöpfe der Höhlen scheuten sie jeden Lichtstrahl, und sei es auch nur den einer schwachen, rußigen Lampe, und sie scheuten die Menschen. Hunde und Katzen bemerkten ihr Näherkommen nicht, und sie setzten alle Sorgfalt daran, leise zu gehen, machten enorme Umwege, um die Nähe bewohnter Räume zu meiden.

      Man erzählte sich von ihnen, sie seien Tote, die den Tod überlebt hatten und sich von menschlichem Blut ernährten, um ihr bleiches, nächtliches Dasein als leibhaftige Gespenster zu fristen. Aber das stimmte nicht. Vielleicht hatten sie Gesicht und Gestalt des Menschen, aber sie waren nie Menschen gewesen. Von menschlichem Blut hatten sie sich immer ernährt, um zu leben, da Leben und nicht Tod ihr Dasein genannt werden musste, und der Mensch galt ihnen gleich viel wie Schlachtvieh. Seit Jahrtausenden jedoch wagten sie nicht mehr, die Nähe der Menschen zu suchen, und mussten sich allein vom gestockten Blut der Toten ernähren.

      Früher einmal hatten sie über die Erde geherrscht. Nun aber, zu Aasfressern heruntergekommen, bevölkerten sie furchtsam und scheu verlassene Räume, Gebirgshöhlen, Keller und Ruinen; nur in einem abgelegenen Tal der Karpaten lebte einer von ihnen, der größte von ihnen, einsam und ungestört in einer großen, befestigten Burg. Die Vorsehung Unseres Herrn hatte es so eingerichtet, dass sich durch die Jahrhunderte hindurch einige wenige Menschen darin ablösten, diese Gebirgsresidenz gegen jede Zudringlichkeit und gegen jegliche profane Neugier zu schützen. Auf der äußeren ihrer Befestigungsmauern waren die Banner der Bogomilen, der Ritter des Deutschen Ordens, der Livländischen Ritter vom Schwert aufgezogen worden, bis hin zu den Tagen, in denen der Schutz der Burg in die Hände von anderen Menschen übergegangen war, die, obgleich sie keine Fahnen im Wind flattern ließen, dennoch dem, der dort weilte, Stille und Geheimhaltung zu garantieren wussten.

      Seitdem sie in nunmehr weit zurückliegenden Jahrtausenden von den Menschen besiegt und unterworfen worden waren, hatten die Vampire in ihrem leidvollen Exil stets auf diese einsame Burg geschaut, wie auf das unzerstörbare Siegel ihres Herrschaftsvertrags, der sie der Erde verbunden hatte, wie auf das Unterpfand, das selbst ihren blindesten Glauben an Wiederauferstehung nicht sinnlos werden ließ. Stumm wie nächtliche Schatten, blind und taub in ihrem Exil, das sie vom unausgesetzten Wandel der Jahreszeiten fernhielt, hatten sie durch die Jahrhunderte hindurch ihre Gewissheit nicht verloren. Eines Tages würden wieder sie über die Erde herrschen. Da sie nur noch wenige und über den ganzen Erdball verstreut waren, kannten sie einander nicht mehr. Aber ein jeder von ihnen setzte sein Dasein fort, als ob jedes Erwachen der Moment der Zusammenkunft und der wiedergewonnenen Herrschaft sein könnte. In unerschütterlichem Glanz strahlte die Glorie Unseres Herrn. Jede Nacht erforschten die Vampire den Himmel, um daran das Zeichen zu entdecken, jede Nacht zogen die Sterne schweigend ihre Bahn. Und dann, nach Jahrtausenden des Exils erschien am Horizont ein flammendes Schwert, das die himmlischen Gefilde rot färbte. Da kamen sämtliche Vampire aus allen Teilen der Welt an einem einzigen Ort zusammen. Doch die Andachtburg, die ferne und unbezwungene Residenz des größten der Vampire, konnte das nicht sein. Die Stunde war verkündet, aber noch nicht da. Aus allen Teilen der Welt kamen die Vampire zum Turm der Gattelusi geflogen, der hoch oben auf einem Steilfelsen der einsamen Insel Samothrake gelegen war.

      Eines Abends kurz vor Weihnachten sahen die Schäfer des Dorfes Paleópolis, die mit ihren Herden noch auf den Anhöhen gegenüber von den Türmen der Gattelusi verweilten, wie plötzlich in den Fenstern des größten der Türme Licht anging. Als erste Antwort auf das am Himmel verkündete Ende ihres Exils hatten die Vampire sich dem Licht aussetzen wollen, wenn auch nur einem nächtlichen Licht. Es sah aus, als würde im Turm der Gattelusi ein frohes Fest gefeiert.

      Die Schäfer bekreuzigten sich, flüsterten wiederholte Anrufungen des heiligen Demetrius und des heiligen Georg, kehrten den gefährlichen Ruinen den Rücken und trieben ihre Herden hastig ins Dorf hinab.

      Alles war im Geheimen vorbereitet worden. Aus allen Ländern waren die Vampire gekommen: aus den Schluchten Kurdistans, wo sie in den Kellerverliesen des Heiligtums von Scheich Adi Zuflucht gefunden hatten, unter den kleinen weißen Pyramiden mit der goldenen Kugel darauf, aus den verlassenen, in die Meteoritenfelsen Thessaliens gehauenen Klöstern; aus den einsamen, heiteren Tälern der Herzegowina, wo ihre steinernen Häuser beieinanderstehen, geschmückt mit Darstellungen von Tänzen und Turnieren, von Regen und Sonne gebleicht; aus den Höhlen der Moränenhügel des Piemont und aus Domazan im Süden Frankreichs, wo sie auf den Grabstelen dargestellt sind, mit erhobenen Händen, Pfeil und Bogen neben sich.

      Und von noch weiter her, die Schranken der Zeit durchbrechend, wie es ihnen zu Gebote stand, tauchte eine Schar von Vampiren in die geschlossene, alltägliche Erdatmosphäre ein, eilte zur Zusammenkunft. Es waren die allerältesten Vampire: diejenigen, die in Ägypten gelebt hatten, als die beiden Welten noch nicht unter der weiß-roten Krone vereinigt waren und noch das Blut von Menschenopfern floss, auf dass sie sich davon nährten; die aus Babylonien und Assyrien, die sich noch der schön geschichteten Pyramiden aus Menschenköpfen entsinnen konnten, die phönizischen Vampire, die unter dem Schutz von Melqart und Baal gestanden waren, und diejenigen, für die sich im fernen Arabien die Opfersteine nicht nur rot, sondern auch schwarz gefärbt hatten. Alle kamen sie. Sie hatten ihre engen Schlupfwinkel verlassen, die Verstecke, in denen zu leben sie gezwungen waren, seit die gotteslästerlichen Verbrecher ihre Bleiben geplündert hatten. Und auch die kamen, die weniger in nächtliche Kontemplation versunken waren, die stets tätigen Vampire, diejenigen, von denen ein sagenhafter Faden sich wie eine Blutspur durch die Geschichte zieht.

      Vampire, denen gegenüber Simon Magus, Faust und Ahasver nichts als erbärmliche einsame Schatten waren, zu ewiger Dauer und ewigem Umherirren verurteilt, ohne sich nähren zu können. Vampire, die sich selbst mutig als »die Reinen« bezeichnet und im Kampf gegen Samaèl selbst byzantinische Kaiser und römische Päpste herausgefordert hatten, auf dass eines Tages das verderbliche Sama vernichtet werde und allein das El Unseres Herrn bleibe. Die ritterlichen, strengen Vampire, die eigentlichen Verteidiger der nackten, schwarzen Erde, die Verbündeten von Hasan-i Sabbah, die Verfolgten, aber Unbesiegten, die Ewig-Wiederkehrenden.

      Nur Dracula fehlte auf der Versammlung. Der uralte Fürst der Vampire verließ die Andachtburg nicht mehr.

      Der ehrwürdige Juan de Carvalho y Melho, Marquis de Pombal, Dekan der portugiesischen Vampire, wurde einstimmig berufen, der Versammlung vorzusitzen. Vor Zeiten hatte er einen anderen Namen getragen; aber es war nicht mehr gestattet, diesen Namen auszusprechen, ebenso wenig wie das gemeine armenische Schimpfwort Polik, womit seine Verfolger ihn belegten: Man durfte nicht an alten Wunden rühren und auch nicht an die Zeiten der Schmach erinnern.

      Zunächst forderte der Marquis de Pombal alle Anwesenden auf, in Ehrfurcht des Grafen Dracula zu gedenken, des höchsten Verwahrers und Garanten der vampirischen Würde. Sodann verlas er eine kurze Botschaft des Grafen Dracula an die Versammlung:

      »Brüder! Es ist mir schmerzlich, in einer so ernsten und entscheidenden Stunde für unser Volk nicht unter euch sein zu können. Ich will es jedoch nicht unterlassen, euch zu versichern, dass ich selbst Stunde für Stunde das neue Schicksal der Vampire miterlebe. Jeder eurer bevorstehenden Siege, jede Niederlage werden auch mein Sieg, meine Niederlage sein; denn nicht so sehr zur Befriedigung meines persönlichen Ehrgeizes, als vielmehr, um der Wirklichkeit des Lebens die Ehre zu erweisen sowie dem Schicksal, dem ich mich nicht entziehen will, wage ich zu behaupten: Wo immer ich bin, dort sind die Vampire.

      Für einen Vampir wie mich, dem allzu leidenschaftliche und entschiedene Stellungnahmen von Natur aus fremd sind, da sie stets intime


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