Das Buch der Schurken. Martin Thomas Pesl
Es gibt verschiedene Obsessionen: Die einen haben einen Ordnungsfimmel, andere können nicht aufhören zu rauchen. Fürst Manfred von Otranto ist besessen davon, seine Erblinie zu sichern, und das geht nur mit männlichen Nachkommen. Die eigene Ehegattin, die ihn wegen ihrer mangelnden Fruchtbarkeit nervt, hat ihm eine Tochter und immerhin einen Sohn geboren. Als der jedoch die vertraglich vereinbarte Eheschließung mit der lieblichen Isabella eingehen soll, erschlägt ihn ein alter Helm. Aus Panik vor dem Abbruch der Erblinie, vielleicht aber auch einfach aus geifernder Lustgreisigkeit jagt Manfred fortan also selbst der Fast-Schwiegertochter nach.
Der Tod seines eigenen Sohnes entlarvt Manfred als herzlos selbst der eigenen Familie gegenüber. Der Verlust ruft nicht wirklich Trauer hervor, eher eine gereizte Ungeduld, die ihn übereilte Todesurteile aussprechen, die Ehefrau verstoßen und die Tochter zuerst irritiert ignorieren und dann – wenn auch aus einem Missverständnis heraus – erstechen lässt. Lange Zeit ist ein überdimensionaler Helm der einzig ernst zu nehmende Gegenspieler des berserkerischen Amokregenten.
Im zu dieser Zeit gerade erst entstehenden Genre des Schauerromans ist dieser Diktator ein zu besonderer Gefährlichkeit aufgeblasener Bösewicht, den aber in erster Linie Schwächen wie Angst und Neid umtreiben. »Hitzig«, »in Zorn geratend« und »sich die Stirne streichend« finden wir ihn in Horace Walpoles Beschreibung die meiste Zeit vor. Am Ende bereut Manfred von Otranto alles ganz schrecklich, ist sein Fürstentum aufgrund abenteuerlicher Deus-exmachina-Gegebenheiten aber natürlich trotzdem los. Der wahre Herrscher Otrantos heiratet die verzagte Schließlich-doch-noch-Braut.
Ein liebenswerter Schurke der ganz eigenen Art ist hier übrigens Autor Horace Walpole selbst. Der Sohn des damaligen Premierministers erlaubte sich anno 1764 einen kleinen Scherz. Eine »ganz und gar italiänische« Geschichte behauptete er entdeckt zu haben, die ein Mönch namens Onuphrio Muralto verfasst und ein gewisser William Marshal ins Englische übertragen habe. Als seine Schlossgespenststory sich dann eines riesigen Erfolgs erfreute, ging die Eitelkeit mir Signore Walpole durch: Er bekannte sich zu dem Schwindel und brüstete sich damit, die gothic novel erfunden zu haben. Der nicht sonderlich italienisch klingende Name Manfred hätte manchen Leser dabei stutzig machen können. Oder doch nicht? Von 1258 bis 1266 gab es tatsächlich einen König von Sizilien namens Manfredi di Hohenstaufen. ■
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