Neuroanatomie. Markus Kipp
Tonsilla
26Medulla oblongata
27Medulla spinalis, Anschnitt
* Aquaeductus mesencephali
Als Sagittalebene (lat. sagitta – „Pfeil“) wird in der Anatomie eine sich vom Kopf zum Becken und vom Rücken zum Bauch erstreckende Ebene bezeichnet. Beim senkrechten Blick auf eine Sagittalebene sieht man demnach eine seitliche Ansicht des Körpers. Das dazugehörige Adjektiv heißt sagittal und entspricht der Bedeutung „von vorne nach hinten verlaufend“. In der Radiologie und besonders der tomographischen Bildgebung spielen Sagittalschnitte eine äußerst wichtige Rolle. In Abb. 2.6 wurde das Messer exakt mittig geführt, man spricht deswegen von einer medio-sagittalen Ansicht auf das Gehirn. In eben dieser medio-sagittalen Ansicht kann man die verschiedenen Anteile des Gehirns recht gut gegeneinander abgrenzen. Folgende Etagen können unterschieden werden (vergleiche auch mit Abb. 2.3): Medulla oblongata, Pons, Mesencephalon, Diencephalon und Telencephalon. Dorsal, unter dem Telencephalon liegt das Cerebellum. Auf die einzelnen Abschnitte wollen wir hier kurz eingehen, und so eine Grundlage für weitere neuroanatomische Betrachtungen legen.
Medulla oblongata – das verlängerte Mark
Dem Rückenmark (Medulla spinalis) schließt sich nach oben das verlängerte Mark (Medulla oblongata) an. Die Medulla oblongata ist somit der am weitesten kaudal gelegene Teil des Gehirns, der Übergang zum Rückenmark ist fließend. Gemeinhin wird zur Abgrenzung die Austrittsstelle des obersten Spinalnervenpaars herangezogen. Die kraniale (obere) Begrenzung der Medulla oblongata bildet die Brücke (lat. der Pons). In der Medulla oblongata befinden sich wichtige neuronale Zentren für die Kontrolle des Blutkreislaufs und der Atmung sowie Reflexzentren für den Nies-, Husten-, Schluck- und Saugreflex. Auch das Brechzentrum, die sogenannte Area postrema, ist hier angesiedelt. Darüber hinaus liegen in der Medulla oblongata Kerngebiete von Hirnnerven. Schließlich beherbergt die Medulla oblongata noch Nervenzellen, die für die Regulation des Säure-Basen-Haushalts wichtig sind. Ein vollständiger Ausfall der Medulla oblongata, z. B. durch ein Trauma oder einen Schlaganfall, führt in der Regel rasch zum Tod.*
Eine Etage über dem verlängerten Mark liegt die Brücke (Pons). Auch wenn im Deutschen die Brücke weiblich ist, ist das Geschlecht des lateinischen Begriffes „Pons“ maskulin. Man spricht also von „der Brücke“ aber „dem Pons“. Das Kleinhirn (Cerebellum) liegt dem Pons dorsal an. Kranial befindet sich das Mittelhirn (Mesencephalon). Die Brücke erscheint von vorne und seitlich wie ein Wulst (siehe Abb. 2.13). Dieser Wulst besteht aus einem breiten Band an Fasern, die – so schien es den alten Anatomen – die beiden Kleinhirnhemisphären direkt miteinander verbinden. Heute weiß man, dass dem nicht so ist – eine direkte Verbindung beider Kleinhirnanteile gibt es nicht. Vielmehr werden in der Brücke Fasern verschaltet, die aus dem motorischen Kortex stammen, sogenannte kortiko-pontine Fasern. Diese Fasern werden dann den beiden Kleinhirnhemisphären zugeleitet. Die Kerngebiete der Brücke bilden so eine wichtige Umschaltstelle zwischen Kleinhirn und Kortex. Die Brücke ist eine Fortsetzung der Medulla oblongata und ihr daher in Aufbau und Funktion sehr verwandt. Auch im Pons befinden sich Kerngebiete von Hirnnerven.
Mesencephalon – das Mittelhirn
Das Mittelhirn (Mesencephalon) liegt zwischen Pons und Zwischenhirn (Diencephalon). Es lässt sich von vorne nach hinten in drei Anteile gliedern. Von vorne sichtbar sind die Hirnschenkel (Crura cerebri). Sie beinhalten vor allem die zu Pons, Medulla oblongata und Rückenmark absteigenden Bahnen der Großhirnrinde. Weiter nach hinten schließt sich den Hirnschenkeln das Tegmentum (Haube) an. Im Tegmentum mesencephali liegen viele Kerne, die im Dienste der Motorik stehen. Beispiele sind der Nucleus ruber (roter Kern) und die Substantia nigra (schwarze Substanz). Letztere ist bekannt geworden durch ihre zentrale Relevanz bei der Entstehung des M. Parkinson. Darüber hinaus ziehen wichtige aufsteigende Fasersysteme durch diesen Teil des Mittelhirns, so zum Beispiel der Lemniscus medialis, der sensible Informationen aus dem Rückenmark in Richtung Thalamus und von dort weiter zum sensiblen Kortex (Gyrus postcentralis) leitet. Dorsal, also nach hinten, lagert sich dem Tegmentum des Mittelhirns eine „Wasserleitung“ an, der Aquaeductus mesencephali (Stern in Abb. 2.6). Diese Wasserleitung verbindet den dritten mit dem vierten Ventrikel des inneren Liquorsystems, einem mit Nervenwasser gefüllten Hohlraumsystems des Zentralnervensystems. Mit dem Aufbau dieses Liquorsystems befassen wir uns in Kapitel 4 dieses Lehrbuches. Noch vor dem Aquaeductus mesencephali liegen im Tegmentum des Mittelhirns die Kerngebiete des dritten Hirnnerven sowie ein Teil des Kernes des fünften Hirnnerven.
Blickt man von hinten auf das Mittelhirn, zeigen sich zwei mal zwei Hügel, zusammengefasst als Vierhügelplatte (Synonym: Lamina tecti oder auch Lamina quadrigemina). Sie bilden das Dach, das Tectum des Mittelhirns. Die oberen Hügel, die Colliculi superiores, erhalten über Sehnerv und Sehtrakt wichtige visuelle Informationen. Dabei geht es primär um Informationen über sich rasch ändernde Reize – also um Bewegung. Das könnte ein fahrendes Auto sein, dem wir mit den Augen folgen oder ein Ball, der auf unser Gesicht zufliegt, woraufhin wir reflexartig die Augen schließen. Entsprechend äußern sich auch die Ausfälle bei Schädigungen des oberen Hügels: Reflektorische Augenbewegungen sind dann erschwert, wobei weiterhin sämtliche optische Reize wahrgenommen und verarbeitet werden können. Die Colliculi inferiores, die unteren Hügel, dienen als Umschaltstelle für die meisten Fasern der Hörbahn. Da die unteren Hügel auch direkt Informationen an die oberen senden, wird hier eine reflexhafte Integration beider Sinnesmodalitäten möglich – wir blicken automatisch in die Richtung eines lauten Geräusches.
Oft haben Studenten Probleme sich zu merken, welche der Hügel im visuellen und welche im akustischen System eingebettet sind. Schauen Sie doch einfach ihren Sitznachbarn an. Die Augen stehen höher als die Ohren, demnach obere Hügel = visuelles System, untere Hügel = auditorisches System.
Truncus cerebri – der Hirnstamm
Mit der Medulla oblongata, dem Pons und dem Mesencephalon haben wir bereits drei wichtige Strukturen des Gehirns kennengelernt. Vergleicht man das Gehirn mit einem Baum, so würden diese drei Strukturen am ehesten dem Stamm des Baumes entsprechen, weiter oben gelegene Abschnitte, vor allem das Großhirn, entsprächen sodann den Ästen und den Blättern. Medulla oblongata, Pons und Mesencephalon werden deswegen in ihrer Gesamtheit auch als Hirnstamm (Truncus cerebri; Truncus encephali) bezeichnet. Entwicklungsgeschichtlich ist der Hirnstamm ein recht alter Teil des Gehirns, und so fallen die Unterschiede zwischen Mensch und Tier vergleichsweise gering aus. Oben schließen sich Zwischen- und Großhirn, nach hinten das Kleinhirn an.*
Hinten im Schädel, direkt unterhalb des Telencephalons und hinter dem Hirnstamm liegt das Kleinhirn (Cerebellum). Von außen sind seine beiden Hälften gut zu erkennen, die – wie die Hälften des Großhirns – als Hemisphären bezeichnet werden. Das Kleinhirn ist mit dem Hirnstamm auf jeder Seite mit je drei Kleinhirnstielen (Pedunculus cerebellaris inferior, medius und superior) verbunden, durch welche wichtige Faserverbindungen verlaufen