CHAOS. Alec Xander
verstehe nicht, warum ich nicht einfach hier bleiben kann.“
„Das habe ich dir doch schon zig Mal erklärt.“
„Ja, ich weiß, trotzdem. Ist doch voll der verfickte Scheiß.“
„Na! Nicht immer solche Ausdrücke!“
„Was’n? Ist doch so.“
„Vermassele es nicht“, warnte sie ihn vor. „Es sind nur wenige Monate, bis du deinen Abschluss hast und wir weitersehen können.“
„Ich werde mir sowas von eine eigene Wohnung suchen.“
„Nach der Schule kommt erst einmal die Ausbildung.“
„Die ich ja auch machen werde, aber nicht, während ich dort bin.“
„Jetzt lass uns doch erst einmal …“, erschrocken hielt sie inne, als sie beinahe einem anderem Fahrer hinten draufgefahren wäre.
„Aber so wie du fährst“, sagte Lucas, dem das Herz wahrhaftig in die Hose gerutscht war, „brauche ich mir eigentlich gar keine Gedanken machen, dass ich überhaupt eine Zukunft haben werde.“
Elke warf ihm einen grimmigen Blick zu.
4.3
Vor dem Schulgebäude hielt Bastian Ausschau nach dem Mann seiner Träume.
„Guck dir den mal an“, hörte er ein türkisches Mädchen, das ein Kopftuch trug und eine große Warze auf der Wange hatte, zu ihrer Freundin sagen. „Voll schwul.“ Sie kicherten.
Du mich auch, dachte Bastian genervt. Und er dachte es abermals, als ihm der nächste dumme Spruch von einem Typen in tiefsitzender Hose um die Ohren gekloppt wurde.
„Ey, biste schwul oder was?“
Bastian schaute auf sein Handy, dabei hatte er es erst vor wenigen Sekunden getan. 07:58 Uhr. Wo blieb Lucas? Hatte Bastian sich ihn etwa nur ausgedacht? Existierte Lucas überhaupt? Natürlich, dachte Bastian. Es ging ja gar nicht anders. Schließlich hatte Frau Pan mit ihm geredet. Oder war sie auch nur eine Einbildung gewesen? Für einen Moment hatte Bastian das Gefühl, verrückt zu werden. Hatte die Einsamkeit ihn etwa wahnsinnig gemacht? Schmollend blickte er zur Gemeindestraße. Wenige Autos sah er, aber keines, in dem sich Lucas befand. Plötzlich sah er einen Wagen mit quietschenden Reifen um die Ecke sausen. Als er genauer hinsah, erkannte er den Angebeteten auf dem Beifahrersitz. Er schien ein wenig verängstigt.
Elke stoppte den Wagen genau in dem Moment, als die Schulklingel ertönte. „Ich hole dich um zehn nach Eins ab“, sagte sie.
„Ist gut.“ Lucas nahm seinen Rucksack und stieg aus. Er erblickte Bastian und biss sich grinsend auf die Unterlippe.
„Halb zwei!“, rief Elke ihm nach, wartete jedoch vergebens auf eine Antwort.
Auf der Stelle bekam Bastian ein freudiges Lächeln ins Gesicht. Er wusste gar nicht, wo er zuerst hinsehen sollte. Auf Lucas‘ Schuhe? Die Hose? Das Hemd, das leicht im Wind flatterte und somit Haut offenbarte? Oder vielleicht in dieses Gesicht mit diesem spitzbübischen Lächeln?
„Na“, grüßte Lucas, der ganz locker auf ihn zulief. „Alles fresh?“
„Ja, klar“, erwiderte Bastian, der prompt mit einem Handschlag und einer anschließenden Umarmung begrüßt wurde. „Es hat schon geklingelt.“
Lucas betrachtete den Süßen und war ausnahmslos fasziniert. „Genau so musst du herumlaufen.“
„Ach, ist nichts Besonderes“, behauptete Bastian verlegen und sah an sich herab.
„Die Hose könnte noch einen Tacken enger sitzen, aber schon ganz gut.“ Er griff nach den Zigaretten aus seinem Rucksack.
„Ähm, es hat geklingelt“, erinnerte Bastian ihn.
Gleichgültig zuckte Lucas die Achseln. „Wartest, bis ich aufgeraucht hab?“
Ohne Bedenken nickte Bastian. Was würde er auch schon großartig verpassen, wenn er fünf Minuten später in die Klasse käme?
„Sieh an, der Kleine wird zum Draufgänger“, witzelte Lucas. „Du, sag mal.“
„Hm?“
„Was hast du in den letzten beiden Stunden?“
„Ähm, Ethik.“
„Ethik?“
„Jupp.“
„Was macht man da?“
„In der Regel labert die Lehrerin uns voll. Meistens dürfen wir auch Mandalas ausmalen.“
„Wow!“, meinte Lucas belustigt. „Da lernste fürs Leben, wa?“
„Es ist so langweilig“, gestand Bastian nörglerisch.
„Kann ich mir vorstellen. Hab Deutsch. Überleg, ob ich schwänzen soll.“
„Magste kein Deutsch?“
„Isch spresche“, sagte er mit verstelltem Akzent und lustiger Mimik, „kaum Deutsch, aber die da schprechen noch wenischer Deutschisch als isch und isch will rischtiges Deutschis lernen.“
Bastian kicherte vor sich hin.
„Und deshalb“, fuhr Lucas weiterhin mit dieser sehr gewöhnungsbedürftigen Aussprache fort, „isch am überlegen, ob isch machen blau und verbringen etwas Zeit mit disch, damit wir uns bessa kennenlernen gönnen und es mich ablenkt vor der Katastrophe, die misch nachher erwarten tut.“
„Tut“, wiederholte Bastian erheitert. „Gut jetzt!“ Sanft schlug er gegen Lucas‘ Oberarm. Endlich konnte er ihn wieder berühren.
Lucas streckte ihm scherzend die Zunge raus. „Also, was du sagen?“
Bastian musste nicht mal überlegen. „Klar, warum nicht?“
„Müssen nur sehen, dass ich nach Schulschluss genau hier stehe“, sagte er wieder normal redend.
„Wirst du wieder abgeholt?“
„Yep.“
„War das deine Mutter?“
„Scheiße, nein.“
„Okay, und wer war das dann?“
„Ach, nur eine Bekannte. Nicht so wichtig. Erzähl ich dir später mal.“
„Okay.“
„Wir haben noch gar nicht Handynummern ausgetauscht“, fiel es Lucas ein.
„Können wir ja in der Pause machen“, sagte Bastian, als er über die Schulter sah.
„Wirste nervös?“
„Was? N-Nein. Ich hoffe nur, dass die Tür noch nicht abgeschlossen ist.“
„Und falls doch, müssen wir die ersten beiden Stunden auch schwänzen.“
„Was?“ So viel Mut besaß Bastian dann doch nicht.
Lucas kicherte. „Scherz. Dann lass uns mal.“ Er setzte sich mit ihm in Bewegung und hätte ihn am liebsten an sich gedrückt.
Gerade als Bastian die Tür aufziehen wollte, musste er zu seinem Entsetzen feststellen, dass diese bereits abgesperrt war. „Ne, nä?“
„Zu?“ Lucas versuchte ebenfalls, zu öffnen. „Echt jetzt? Wir ham gerade mal sechs Minuten nach acht und die Tür ist zu?“
Den ganzen Tag schwänzen wollte Bastian mitnichten. „Dann lass uns vorne durch“, sagte er angespannt.
„Warte“, hielt Lucas ihn zurück. „Da kommen zwei Mädels.“
Als Bastian sah, um wen es sich handelte, war er sich sicher,