CHAOS. Alec Xander
Regungslos sah Bastian nach vorn. Er wusste nicht, was ihn mehr schockieren sollte: Mit einem Messer bedroht zu werden oder die dumme Frage von Susi.
Nach kurzer Überlegung ließ Kai wütend von Bastian ab und stieß ihn voller Wucht beim Davongehen gegen ein Regal. „Blöde Schwuchtel!“
Bastian knallte mit der Ware zusammen und riss, als er stürzte, ungewollt einige Artikel mit zu Boden.
Susi schreckte von dem Geräusch verängstigt auf und verzog das Gesicht zu einer mitfühlenden, schmerzerfüllten Miene. Fassungslos sah Susi zu Kai. „Das finde ich jetzt nicht in Ordnung!“
„Was denn?“, fragte er gelassen.
„Ich habe den Kaffee noch nicht gefunden!“, klärte sie ihn erbost auf. In ihrem bösen Blick zeigte sich eine Spur von Belustigung.
Bastian wurde schmerzhaft bewusst, dass Susanne keine Freundin war. Sie war es nie und würde es auch niemals werden. Sie nutzte ihn aus, um in Momenten der Einsamkeit nicht allein sein zu müssen.
„Irgendwann!“, schwor Kai dem Ängstlichen und deutete mit dem Messer auf dessen Hals, ehe er verschwand.
Blickte Susi ihn an? Bastian sah es unter den mit Tränen verhangenen Augen nicht. Es hatte den Anschein, als ob sie ihm die Hand reichen wollte. Gerade als er den Arm anheben und nach Susis Hand fassen wollte, erkannte er, dass sie ihm gar nicht aufhelfen wollte. Susanne hatte lediglich nach dem Kaffee neben ihm greifen wollen.
„Endlich hab ich den blöden Kaffee gefunden.“ Sie schaute auf den Knienden, der starr auf den Boden guckte. „Willste da jetzt sitzen bleiben, oder was?“
Bastian riss sich zusammen, um nicht als Heulsuse abgestempelt zu werden. „Nein, natürlich nicht.“
„Na denn. Wir sehen uns ja dann.“ Susi wandte sich zum Gehen.
„Viel Spaß beim Aufräumen“, hörte Bastian sie noch spotten, ehe sie außerhalb seiner Sicht war. Langsam erhob der Gekränkte sich und blickte auf die Waren, die er vom Regal gerissen hatte.
1.4
Bastian öffnete die Wohnungstür und schleppte das Eingekaufte in die Küche, die sich zwischen dem Bad und seinem Zimmer befand. Erschöpft stellte er die Getränke auf dem alten Herd ab. Mühsam öffnete er den wackeligen Kühlschrank und achtete darauf, dass die große Mikrowelle, die auf dem Kühler stand, ihm nicht entgegenkommen würde. „Blöder Wichser!“, regte er sich leise über Kai auf. Zu seinem Glück war er auf dem Heimweg weder ihm noch sonst jemandem über den Weg gelaufen, der ihn herkömmlich wie ein Opfer behandelte.
„Bastian?“, rief Karin vom Balkon aus. „Bist du das?“
„Nein, ein Einbrecher“, murrte er. „Was ist denn jetzt schon wieder?“ Es nervte ihn gewaltig, dass seine Mutter ständig etwas von ihm wollte. „Was denn?“, fragte er nörglerisch, als er den Balkon betrat.
Karin, die es sich auf einem der vier Stühle gemütlich gemacht und die Beine auf dem Tisch überschlagen hatte, sah ihn konsterniert an. „Was ist das denn schon wieder für ein Ton, Kleiner?“
Bastian war so wütend wegen Kai und Susi, dass er sich total zusammenreißen musste, seiner Mom gegenüber nicht beleidigend zu werden. „Was ist?“
„Was stimmt nur mit dir nicht?“, fragte sie kopfschüttelnd. Dass ihr Sohn ihr darauf keine Antwort gab, hatte sie von Beginn an gewusst. „Du verhältst dich immer merkwürdiger. Ich verstehe dich nicht. Echt nicht.“
„Was willst du denn?“, wich er aus.
„Ich habe etwas vergessen.“
„Wie vergessen?“
„Du musst noch einmal etwas holen.“
„Was? Ich war doch gerade erst!“ Den Impuls, seiner Mama ordentlich die Meinung zu geigen, unterdrückte er wie immer. Den Mut, ihr die Stirn zu bieten, besaß er einfach nicht. Was bei dieser finsteren Miene von Karin aber verständlich war.
„Ja, aber wir haben kein Bier mehr und Herta will gleich mit Dieter kommen.“
„Die haben ja wohl genug Alkohol in ihrer Wohnung.“
„Mag ja sein, aber dieses billige Gesöff trinke ich ganz bestimmt nicht“, stellte sie nachdrücklich klar.
Bastian hätte sich jetzt bis zum Gehtnichtmehr aufregen können, gebracht hätte es hingegen wenig. Leise brummte er.
„Stell dich nicht so an. Du kannst schließlich nicht den ganzen Tag nur in der Bude hocken.“
„Tu ich gar nicht“, beteuerte er schnippisch. „Morgens gehe ich zur Schule, in den Pausen bin ich draußen, auf dem Rückweg …“ In der Hoffnung, dass seine Mom es endlich einsehen würde, dass er zu viel machen musste, bekräftigte er die nächsten Worte. „Die tausend Male, bei denen ich etwas besorgen muss.“ Die Betonung auf „besorgen“.
„Darf ich dich vielleicht an die Ferien erinnern?“
„Was war denn in den Ferien?“ Bastian bemerkte, wie seine Stimme zu zittern begann. Dass sie nicht auf das eingegangen war, was ihm wichtig war, störte ihn eminent. Als Mutter hätte sie längst bemerken müssen, dass er sich überfordert fühlte.
„Ach, Bastian! Mach hier jetzt keinen auf begriffsstutzig. Du hast die meiste Zeit nur in der Bude gehockt!“
„Ach, und woher willst du das wissen? Du bist doch ständig am Arbeiten.“ Da war er wieder: der Blick, der Bastian einschüchterte.
„Bastian!“, sagte sie, jeden Buchstaben zwischen den Zähnen hervorpressend.
Auf eine Diskussion hatte er absolut keine Lust. „Wie viele?“
„So sechs oder sieben Bier.“ Es klang wie eine Frage.
Bastian machte auf dem Absatz kehrt. Wie so ein beschissener Sklave! Er öffnete die Wohnungstür und zuckte erschrocken zusammen, denn die Nachbarin Herta stand unverhofft mit einem unheimlichen Grinsen vor ihm. „Könnt ihr bitte“, regte er sich dezent auf, „mal alle damit aufhören, mich andauernd zu erschrecken?“
„Ja, entschuldige mal!“, erwiderte Herta mit lauter Stimme. „Woher sollte ich denn bitte schön wissen, dass du auf einmal aus der Wohnung kommst?“
Beim Anblick dieser ulkigen Miene flog dem Teenager ein leichtes Lächeln über die Lippen.
„Ist deine Mutter da?“
„Balkon“, antwortete er und ließ sie hinein. An der mageren Herta, die beim Laufen meistens leicht taumelte und sich nie großartig Gedanken über ihr Outfit machte, hatte er nichts auszusetzen. Sicherlich fand er es keineswegs cool, dass die Frau, die ihr krauses Haar ständig streng nach hinten kämmte und zu einem Zopf band, zum Frühstück, anstatt etwas zu essen, ein Bier trank – was auch für das Mittag- und Abendessen galt –, dafür war sie stets fröhlich gestimmt. Dass sie allerdings noch lebte, fand er recht merkwürdig, da sie anscheinend nie Nahrung zu sich nahm. Zumindest hatte er sie in all den Jahren, in denen er sie kannte, nicht einmal etwas essen sehen.
Als Bastian den Ehemann von Herta, den Dieter, die Treppe hinunterkommen sah, suchte er schnellstmöglich das Weite. Er hasste den zerlumpten Kerl nämlich, aber dies beruhte auf Gegenseitigkeit.
1.5
Herta betrat den Balkon. „Na, du!“, grüßte sie.
Karin sah über die Schulter. „Ach, sieh an, wen wir da haben. Die Herta!“ Sie erhob sich, um ihre Nachbarin zu herzen. „Na, altes Haus!“
„Isch gib dir gleisch altes Haus!“ Herta setzte sich und stellte die vollgepackte und befleckte Tasche ab, die sie immer dabei hatte, sobald sie die Wohnung verließ.
„Wo ist denn