Der Moment, der alles änderte. Julia Thurm
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Der Moment, der alles änderte
Ein New Yorker Jugendkrimi
Julia Thurm
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Impressum:
Alle weiteren Personen und Handlungen des Buches sind frei erfunden.
Ähnlichkeiten mit lebenden oder verstorbenen Personen sind
zufällig und nicht beabsichtigt.
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© 2016 – Papierfresserchens MTM-Verlag GbR
Oberer Schrannenplatz 2, 88131 Lindau
Telefon: 08382/7159086
Alle Rechte vorbehalten.
Erstauflage 2016
Lektorat: Melanie Wittmann
Illustration: © ryanking999 fotolia.de lizenziert
Herstellung: Redaktions- und Literaturbüro MTM: www.literaturredaktion.de
ISBN 978-3-86196-594-7 – Taschenbuch
ISBN: 978-3-96074-191-6 – E-Book
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Widmung
Dieses Buch widme ich meiner Familie und all denen, die genau wissen, was es heißt, mit Momenten fertigzuwerden, die alles ändern.
Ich hoffe diese Geschichte gibt dir die Kraft und die Hoffnung, nicht aufzugeben, auch wenn es aussichtslos scheint. Und vergiss nie, dass du nicht alleine bist.
*
1
Eine Horde von Journalisten, Fernsehteams und Fotografen wartet darauf, dass wir den Internationalen Gerichtshof von New York verlassen. Doch nur mir stellen sie Fragen wie „Glauben Sie, die Strafe ist gerecht?“ oder „Wie verkraften Sie das alles?“. Sogar den Kommentar „Wie können Sie mit dem Gedanken leben, jemanden umgebracht zu haben?“ konnte sich jemand nicht verkneifen.
Christin bemerkt, dass mir diese Aufmerksamkeit unangenehm ist, und geht dazwischen: „Keine Fragen!“
Blitzlichtgewitter erschwert mir den Gang zum Wagen. Journalisten drängeln. Meine Freunde versuchen, den Weg frei zu machen. Erst als ich im Auto sitze, begreife ich, dass wir das Schlimmste überstanden haben ...
Mein Name ist Katie Smith.
Ich war damals 14 und lebte zusammen mit meiner 25-jährigen Schwester Christin in New York. Allerdings nicht in Manhattan. Dort gab es nämlich keine preiswerten Wohnungen oder Häuser, die wir uns hätten leisten können. Wir lebten in der Bronx, in der 458 East 146th Street. Ganz in der Nähe des Saint Mary’s Recreation Centers, das vom sogenannten Saint Mary’s Park umgeben wird. Wir hatten ein echt großes und ziemlich cooles Haus. Ach ja, und einen Hund hatten wir auch. Er hieß Spike und war ein kleiner braun-weißer Jack Russell Terrier, der mir aufs Wort gehorchte.
Wieso ich bei meiner Schwester lebte? Na ja, das hatte einen bestimmten Grund: Unsere Eltern waren bei einem Autounfall gestorben. Meine Schwester war damals fünfzehn und ich vier Jahre alt gewesen. Doch das Schlimmste war, dass wir bei diesem Unfall dabei waren. Der Arzt hatte gesagt, es sei ein Wunder, dass meine Schwester und ich überlebt hätten.
Danach hatten wir bei unserer Tante Grace in Boston gewohnt, die sehr viel Verständnis für unsere Situation aufbrachte. Als meine Schwester 21 geworden war, zog sie wieder nach New York, und von da an war sie für mich verantwortlich.
Ich habe gezwungenermaßen an eine andere Schule gewechselt und wurde dort zu einer der schlimmsten Schülerinnen. Nein, wenn man es genau nimmt, wurde ich DAS schlimmste Mädchen der Schule. Freunde hatte ich eigentlich keine, denn ich machte mir jeden zum Feind. Aber einen festen Freund hatte ich trotzdem. Er hieß Drake, war sechzehn und ich war ein halbes Jahr mit ihm zusammen. Ich weiß allerdings nicht, ob man das die erste große Liebe nennen kann. Es war alles etwas seltsam zwischen uns.
*
2
Piep ... piep ... piep ... Der Wecker klingelte.
„Nein, nicht schon wieder Montag“, war mein erster Gedanke.
Als ich nach einer halben Stunde noch immer nicht aufgestanden war, kam meine Schwester ins Zimmer. Sie versuchte mich aus dem Bett zu bekommen, und das sage und schreibe eine Viertelstunde lang, bis ich endlich gequält aufstand. Emos sind nun mal keine Freunde des frühen Aufstehens und wir meiden gerne das Tageslicht. Das ist eben so, aber zur Schule musste ich, ob ich wollte oder nicht. Ich drehte die Stereoanlage auf, zog mich an und schminkte mich, packte meine Sachen ein und trödelte langsam die Treppen hinunter. Ich hörte meine Schwester rufen, dass ich mich beeilen solle, aber das war mir egal.
Ich schrie bloß zurück: „Ja, ich komme ja schon! Außerdem ist es mir sowieso egal, ob ich zu spät bin!“
„Mir aber nicht!“, gab meine Schwester zurück, und zwar in einem Ton, der auf mich doch etwas beängstigend wirkte.
Während ich noch im Bett gelegen hatte, hatte sich Christin um alles gekümmert. Sie war sogar schon mit Spike Gassi gewesen und hatte ihn gefüttert. Normalerweise war das meine Aufgabe. Aber wie so oft erfüllte ich meine Pflichten nicht. Wir setzten uns ins Auto und Christin fuhr mich zur Schule. Zur North High School. Als wir ankamen, waren alle Schüler schon in ihren Klassen.
Kurz bevor ich ausstieg, sagte meine Schwester noch zu mir: „Pass auf dich auf und stell bitte nichts mehr an. Ich will nicht noch mal zum Rektor müssen.“
„Ja, ja“, antwortete ich mit genervtem Blick und stieg aus.
In meiner Schule sah es aus, als wäre der dritte Weltkrieg ausgebrochen: Graffitis zierten die Wände, die teilweise wüste Beleidigungen den Lehrern gegenüber enthielten, zerstörte Spinde und eine bröckelnde Fassade machten das Bild komplett. Na ja, aber so sah es hier jeden Tag aus, eine Mischung aus Harlem und Gefängnis. Dementsprechend war die Stimmung.
Als ich ins Klassenzimmer kam, erwartete mich der Lehrer bereits. „Da bist du ja endlich“, begrüßte er mich. Ach ja, er hieß Mr White, meiner Meinung nach ein ziemlich unpassender Name für einen Afroamerikaner. Er hatte einmal erzählt, dass seine Großeltern aus Afrika stammten.
Ich setzte mich auf meinen Platz, ohne ein Wort zu sagen. Mr White schrieb unser nächstes Geschichtsthema an die Tafel:
Die Präsidenten der Vereinigten Staaten von Amerika.
„Wow, wie spannend!“, entfuhr es mir genervt.
Während alle anderen darüber lachten, sah Mr White mich streng an und drohte: „Wenn du willst, Ms Smith, kannst du gleich dem Rektor einen Besuch abstatten.“
„Ist ja gut, ich bin schon still“, raunte ich überrascht. Normalerweise ignorierte der Geschichtslehrer meine Kommentare.
Nach einer absolut langweiligen Stunde (man möchte gar nicht glauben, wie langsam die Zeit vergehen kann) ging ich, in Gedanken schlummernd im Bett liegend, zu meinem Spind mit der Nummer 210.
Als ich meine Geschichtsbücher hineinräumte,