Der Moment, der alles änderte. Julia Thurm

Der Moment, der alles änderte - Julia Thurm


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      „Ja, Mr Conner“, murmelte ich enttäuscht. Ich verließ gemeinsam mit Mr White den Raum, der sich anschließend höflich von mir verabschiedete und davonging. Wieder setzte ich mich auf den Stuhl. Wieso war ich immer so unglaublich wütend? Eine Frage, die ich oft gestellt bekam und auf die ich keine Antwort wusste.

      Nun hatte ich es also geschafft, von der Schule zu fliegen, und während ich dasaß und mir vorstellte, was zu Hause los sein würde, schoss mir durch den Kopf, dass ich nicht das Mädchen, sondern Drake auf die Sache hätte ansprechen sollen. Aber er hätte mir sowieso nicht zugehört, genauso wie vorhin.

      Ich war immer noch in diese Gedanken versunken, als sich die Tür öffnete und meine Schwester herauskam. Ohne ein Wort zu sagen, folgte ich ihr zum Auto. Während der ganzen Fahrt sprachen wir kein Wort miteinander. Als wir zu Hause ankamen, stieg Christin aus, ohne mich anzusehen oder Notiz von mir zu nehmen. Ich wusste, sie war enttäuscht von mir. Seit unsere Eltern gestorben waren, hatte sich unser Verhältnis ohnehin komplett verändert.

      Als sie die Haustür öffnete, sprang mir Spike entgegen. Sobald ich ihn ausgiebig begrüßt hatte, fing ich an, mich zu entschuldigen. „Ich weiß, dass du enttäuscht von mir bist. Ich weiß auch, dass ich jetzt Hausarrest bekommen werde und dass ich es nicht gutmachen kann. Trotzdem tut es mir leid.“

      „Was hast du dir dabei nur gedacht, Katie? Ich meine, obwohl man weiß, dass man mit einem Fuß schon vor der Schultür steht, baut man so einen Mist? Aber ich weiß auch, dass du das Mädchen nicht ohne Grund geschlagen hast. Denn das tust du nicht. Meistens jedenfalls. Also, lass mich raten, es hatte was mit Drake zu tun, stimmt’s?“

      Ich senkte den Kopf, weil sie mich ertappt hatte. „Nun ja ... ich ... ja, es hatte was mit Drake zu tun.“

      „Mach Schluss mit ihm. Er nutzt dich bloß aus. Das hab ich dir schon so oft gesagt und irgendwann wirst du merken, dass ich recht hatte.“ Sie wandte sich niedergeschlagen von mir ab, steuerte auf die Treppe zu, drehte sich noch einmal zu mir um und sagte: „Ach ja, das mit der neuen Schule ... diesmal suche ich sie aus.“ Ich blickte auf, gerade als ich etwas erwidern wollte, fügte meine Schwester hinzu: „Und nein, du hast keinen Hausarrest.“

      Ich grinste.

      Am Abend holte mich Drake mit ein paar Freunden ab, die ich eigentlich gar nicht kannte. Als wir in den verlassenen Mullaly Skate Park an der 40 East 164th Street gingen, der sich in der Nähe des Yankee Stadiums befand, und uns unter eine Straßenlaterne setzten, holten Drake und seine Freunde Flaschen aus einer Tonne hervor. Etwas anderes gab es im Moment auch nicht zu sehen. Alle Skate-rampen waren abmontiert worden und sollten bald durch neue ersetzt werden. So hatte es als Kurznotiz vor einer Woche im New York Magazine gestanden. Dies hatte unter den Skatern für ein wenig Unruhe gesorgt, da sie den Park so lange nicht benutzen konnten.

      „Ist das Alkohol?“, fragte ich Drake und deutete auf die Flaschen.

      „Ja. Ziemlich cool, was? Den haben wir nach der Schule besorgt.“

      Ich war normalerweise stets für das Brechen von Regeln, aber irgendwie fand ich es sehr gefährlich, in der Öffentlichkeit Alkohol zu trinken. Es konnten schließlich Polizisten vorbeikommen. Hätte ich mich darum gekümmert, wäre das Ganze besser organisiert gewesen. Zudem war Montag, deswegen gab ich zu bedenken: „Ist es wirklich sinnvoll, sich abends zu betrinken, wenn man am nächsten Morgen Schule hat? Und was ist, wenn uns jemand erwischt?“

      „Wieso interessiert dich das? Du gehst doch sowieso nicht mehr zur Schule und uns erwischt garantiert keiner“, wiegelte Drake meinen Einwand ab.

      „Woher weißt du, dass ich nicht mehr zur Schule gehe?“, fragte ich ihn spitz, denn ich hatte den Zwischenfall in der Schule und meine anschließende Unterhaltung mit dem Rektor mit keinem Wort erwähnt.

      „Amy hat es mir erzählt.“

      „Amy?“ Verwirrt sah ich ihn an. Dann machte es plötzlich klick. „Warte mal ... ist Amy dieses rothaarige Miststück?“, stieß ich wütend und enttäuscht hervor.

      „Rote Haare hat sie, aber sie ist kein Miststück.“ Drake bemerkte meinen entsetzten Blick und fügte beschwichtigend hinzu: „Keine Angst, wir sind nur Freunde, mehr ist da nicht.“

      „Wirklich?“, entgegnete ich misstrauisch. „Hast du sie heute nach der Schule noch mal gesehen?“

      „Ja, aber nur ganz kurz. Sie fühlte sich nicht gut, weil sie einen Fahrradunfall hatte.“

      „Einen Fahrradunfall?“, wiederholte ich überrascht.

      „Ja, sie hat eine Platzwunde und eine gebrochene Nase. Als ich sie danach gefragt habe, sagte sie, die Verletzungen stammten von einem Fahrradunfall.“

      Nach einem kurzen unangenehmen Schweigen meinte ich schließlich: „Ich geh jetzt besser. Muss noch was erledigen.“

      Es hatte Drake noch nicht mal interessiert, wieso ich von der Schule geflogen war. Er war viel zu sehr damit beschäftigt, sich mit seinen Kumpels volllaufen zu lassen. Doch den Gedanken, mit ihm Schluss zu machen, verdrängte ich sofort.

      *

      3

      Eine Woche war nun seit meinem Rauswurf vergangen, und wie ich feststellen musste, hatte nicht zur Schule gehen zu müssen erstaunlich wenige Vorteile. Die Tage vergingen extrem langsam und Langeweile war vorprogrammiert.

      Ich saß gerade auf meinem Bett am Fenster und spielte mit Spike, die Sonne schien und warme Luft drang von draußen herein, als meine Schwester klopfte und mein Zimmer betrat. Sie sah völlig erschöpft aus. Ich nahm an, dass sie gerade kochte, denn es war unheimlich laut in der Küche gewesen. Christin war keine besonders gute Köchin, sie war jedes Mal überfordert mit der Situation und wirkte nach jedem Essen, das sie gekocht hatte, als wäre sie einen Marathon mitgelaufen.

      „Könntest du mir einen Gefallen tun?“, fragte sie mich schwer atmend.

      „Was denn?“, gab ich neugierig zurück.

      „Könntest du auf den Dachboden gehen und mir den alten Mixer holen? Mit dem neuen komm ich nicht zurecht ...“

      „Muss das sein? Du kommst doch sowieso mit keinem Küchengerät klar“, erwiderte ich schadenfroh.

      „Sei so nett, okay?“, bat sie mich noch einmal, beinahe schon zu freundlich.

      Genervt seufzte ich und machte mich auf den Weg zum Dachboden. Dort oben war sehr lange keiner mehr gewesen, sodass es nun so staubig war wie in den alten unheimlichen Schlössern aus irgendwelchen Horrorfilmen. Aber ich überwand mich, ging die Treppe hoch und öffnete die Dachbodentür. Wir hatten ziemlich viel Zeug da oben rumstehen, also musste ich den Mixer erst mal suchen und das dauerte. Plötzlich fiel eine Kiste hinter mir um, die Spike, der mir auf den Dachboden gefolgt war, umgeworfen hatte.

      „Musst du eigentlich immer irgendetwas umwerfen?“, murmelte ich genervt.

      Als ich die Kiste aufhob, entdeckte ich einige Fotos, die ich noch nie zuvor gesehen hatte. Sie zeigten meine Eltern auf diversen Partys und Galas. Diese Feiern hatten wahrscheinlich etwas mit dem Beruf meines Vaters zu tun, von dem ich nicht wusste, was er gearbeitet hatte. Ein Bild war besonders interessant. Es zeigte meine Eltern mit einem mir völlig fremden Mann. Ich kannte die meisten Freunde von Mum und Dad, da sie früher oft zu Besuch gewesen waren, doch diesen Mann hatte ich noch nie gesehen. Er war lediglich auf diesem einen Foto abgebildet. Als ich es umdrehte, klebte auf der Rückseite eine Kette, die mit Tesa befestigt worden war. Ich legte das Bild zur Seite und packte die anderen zurück in die Kiste.

      Nach einer Weile hatte ich den Mixer gefunden, nahm ihn sowie das Foto und ging mit Spike wieder nach unten. Dabei grübelte ich unentwegt. Wer war dieser fremde Mann? Und was war das für eine Kette?

      Als ich geradewegs in die Küche laufen wollte, kam mir meine Schwester auf halber Strecke entgegen. Schnell versteckte ich das Foto hinter meinem Rücken.

      „Na


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