Familie Dr. Norden Classic 46 – Arztroman. Patricia Vandenberg
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Martina betrachtete sich im Spiegel. Sie war ein hübsches Mädchen und fand sich bildschön und unwiderstehlich in dem neuen bunten Sommerkleid, für das sie viel mehr Geld ausgegeben hatte, als sie sich eigentlich leisten konnte, aber Jürgen Lichtenberg dachte ja, daß sie zu der reichen Familie Burgmüller gehörte und sie wollte ihn auch noch in dem Glauben lassen, bis sie seiner Liebe ganz sicher sein konnte.
Eigentlich glaubte sie ganz fest daran, daß er sie liebte, warum sonst hätte er sie dann mit zu sich genommen in seine Wohnung. Es war eine schöne Wohnung, so eine, wie sie auch gern eine hätte, aber sie verriet auch, daß er ein typischer Junggeselle war, der alles herumliegen ließ.
Sie hatte erst einmal Ordnung geschaffen, und das hatte ihm anscheinend gefallen. Er brauchte solche Frau, die sich um alles kümmerte. Sie war diese Frau, und bestimmt würde er ihr bald sagen, wie wichtig sie für ihn sei. Es war gut, daß er keine Eltern mehr hatte, wie sie auch, die konnten ihm wenigstens nicht dreinreden. Immerhin hatten sie ihm genügend Geld hinterlassen, daß er neben seinem Beruf als Testfahrer in einem großen Autokonzern, der ebenfalls sehr hoch dotiert war, noch seinen kostspieligen Hobbys wie Tennis, Reiten und Golfen nachgehen konnte.
Martina fand das alles wunderbar und träumte schon davon, daß sie das bald auch tun würde. Jetzt reichte ihr Verdienst kaum für ein Auto, das sie ratenweise abstotterte und manchmal mit den Raten in Verzug geriet. Natürlich sagte sie das ihrem Traummann nicht, sondern tat so, als lege sie keinen Wert auf Äußerlichkeiten, und als ob ein Auto für sie nur ein Fortbewegungsmittel sei.
Es war schon immer so gewesen, daß sie ungeniert log, wenn es darum ging, sich beliebt zu machen. Das war überhaupt ihr Bestreben, bei allem und überall beliebt zu sein. Sie merkte dabei gar nicht, daß sie sich damit eher lächerlich machte. Sie wollte ja nur anerkannt werden, zu den besseren Kreisen dazugehören. Ihre Eltern hatte sie schon verleugnet, als sie noch lebten, weil sie es zu nichts gebracht hatten, anders als die reichen Burgmüllers, zu denen Martina lieber gehören wollte. Sie hatte sich in eine Märchenwelt hineingesteigert und sich so in Szene gesetzt, als wäre sie da hineingeboren. Manche konnte sie damit sogar überzeugen, aber die Männer, denen ihr Interesse galt, konnten sie richtig einschätzen, denn sie hatten meistens bereits Erfahrungen mit Frauen gesammelt. Sie war schon manches Mal in ihrem erst zweiundzwanzigjährigen Leben enttäuscht worden, lebte aber weiterhin in ihrer Scheinwelt.
Jetzt fuhr sie jedenfalls hoffnungsvoll und zuversichtlich zu Jürgen Lichtenbergs Wohnung. Es war die Gartenwohnung in einem Zweifamilienhaus mit einer großen Terrasse zur Südseite, eine Traumwohnung für ihren Traummann. Es war alles geboten, was sie sich selbst wünschte. Sein Auto, eines jener teuren Cabrios, die sich wirklich nur wenige leisten konnten, war vor der Garage geparkt, die Gartentür stand offen. Martina war überzeugt, daß Jürgen schon auf sie wartete, aber sie vernahm zwei verschiedene Männerstimmen und konnte deutlich hören, was sie sagten, da das Fenster offen war.
»Was soll das eigentlich mit dieser Tussi, Jürgen?« sagte die ihr fremde Stimme. »Die klebt ja an dir wie eine Klette.«
»Eine kostenlose Putzfrau, nichts weiter. Man ist ein bißchen nett, und schon fressen einem diese einfältigen Dinger aus der Hand. Sie würde alles für mich tun, warum soll ich das nicht annehmen?«
Martina wurde es schwarz vor Augen, und ihre Knie begannen zu zittern, aber sie harrte neben dem Fenster aus.
»Sie macht das doch nicht ohne Erwartung, Jürgen. Sei vernünftig. Wenn Katja das erfährt, kannst du dir deine tolle Partie in den Wind schreiben. Das wirst du doch hoffentlich nicht riskieren?«
»Katja kommt erst nächsten Monat wieder, und bis dahin ist Martina abserviert. Ich kann nichts dafür, daß sie so anhänglich ist. Manche Frauen kannst du vorn rauswerfen, und sie kommen durch den Garten wieder rein. Das hast du doch auch schon mitgemacht. Aber jetzt kannst du verschwinden, sie wird nämlich bald kommen.«
Nun hatte Martina doch genug. Es war einfach zuviel gewesen, und sie meinte, der Erdboden müsse sich auftun und sie verschlingen. Aber sie brachte doch noch die Kraft auf, zu ihrem Wagen zu wanken, sich hinters Steuer zu setzen und Gas zu geben. Blindlings fuhr sie los, ohne ein Ziel zu haben. Sie konnte nichts denken, eine erdrückende Leere war in ihr und es war, als wäre sie schlagartig aus allen Träumen gerissen, aller Illusionen beraubt.
Ein schwerer Wagen wollte sie überholen, sie merkte es nicht, aber ihm kam ein anderer Wagen auf der Gegenfahrbahn entgegen, er wollte ausweichen, streifte Martinas Auto, drückte sie von der Fahrbahn und landete an einem Baum. Der schwere Wagen fuhr auf einen Begrenzungsstein auf und kam zum Stehen. Was dann geschah, erfuhr Martina erst Tage später, als sie aus tiefer Bewußtlosigkeit erwachte.
*
»Sie wacht auf«, sagte eine Frauenstimme, die wie aus weiter Ferne an Martinas Ohr drang. »Sag’ Dr. Graef Bescheid, Anni.«
Ich bin nicht tot, dachte Martina, aber wo bin ich? Kühle Finger hatten nach ihrem Handgelenk gegriffen, und gleich darauf hörte sie eine tiefe Männerstimme. »Ich kümmere mich jetzt selbst um die Patientin.«
Eine Männerstimme, und obgleich sie sympathisch war, regte sich Abwehr in Martina, ohne daß sie hätte sagen können, warum sie so voller Abwehr reagierte.
»Was ist passiert?« fragte sie, ohne die Augen zu öffnen.
»Sie hatten einen Unfall und befinden sich jetzt in der Behnisch-Klinik. Ich bin Dr. Graef, können Sie mir Ihren Namen sagen?«
»Martina Burgmüller«, erwiderte sie schleppend. »Meine Papiere befinden sich in meiner Handtasche.«
»Ich wollte nur prüfen, ob Sie sich erinnern können«, sagte Michael Graef.
»Warum sollte ich es nicht, ich lebe doch.«
Nun schlug sie doch die Augen auf und sah das Lächeln in dem schmalen Männergesicht.
»Gott sei Dank, daß Sie leben. Herr Mettin wird aufatmen.«
»Wer ist Herr Mettin?«
»Der Unfallverursacher. Er bedauert zutiefst, daß er Sie da hineingerissen hat.«
»Ich kenne keinen Mann dieses Namens, und ich weiß gar nicht, was passiert ist. Was ist mit meinem Auto? Es ist noch nicht mal bezahlt.«
»Darüber brauchen Sie sich keine Gedanken zu machen, das alles übernimmt Herr Mettin.«
Ich werde doch nicht einmal Glück haben in diesem Leben? Und dazu Glück im Unglück, ging es Martina durch den Sinn.
»Wieso tut dieser Herr Mettin das?« fragte sie.
»Weil er den Unfall verursacht hat und glimpflich davongekommen ist. Er war mit seinen Gedanken nicht richtig bei der Sache. So geschah es, daß er den Gegenverkehr übersah.«
»Ich war anscheinend auch ziemlich abwesend, denn ich habe gar nichts gemerkt. Was habe ich für Verletzungen?«
»Da war zuerst eine schwere Gehirnerschütterung, mehrere Rippenbrüche, eine Lungenprellung, Unterarmfraktur und innere Blutungen, die wir zum Glück schnell in den Griff bekamen.«
»Sind die Beine okay? In Zukunft werde ich ja wohl laufen müssen.«
Von Galgenhumor konnte man bei ihr nicht sprechen, sie sagte es fast gleichmütig.
»Herr Mettin wird Sie für alles entschädigen, Sie bekommen auch ein neues Auto.«
»Gibt es soviel Großzügigkeit?«
»Na, hören Sie mal, Sie hätten tot sein können! Was meinen Sie, was das für ihn bedeutet hätte! Er hat einen Fehler gemacht und will dafür bezahlen, vor allem, daß Sie wieder ganz gesund werden. Wenn Sie es gestatten, wird er Sie auch besuchen.«
»Ich muß mich erst wieder zurechtfinden und meine Gedanken ordnen. Ich kann mich nämlich noch nicht wieder erinnern, was vor dem Unfall gewesen ist.«
»Es war ein Samstag, der Unfall geschah drei Uhr nachmittags, im Mühltal. Hilft Ihnen das weiter?«
»Ich muß nachdenken, mein Kopf tut weh.«
»Sie bekommen gleich eine Infusion. Sie sollen sich noch nicht