Spiel mir das Lied der Liebe. Henrik Stolz

Spiel mir das Lied der Liebe - Henrik Stolz


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entstand im Herzen zweier junger Verliebter, die nicht den Verstand eine Geschichte schreiben ließen, sondern dem Willen zur Zärtlichkeit, Zweisamkeit und Liebe eine Chance gaben. Diese Geschichte ist nicht wie jede andere nach Struktur und Handlungsablauf aus den Lehrbüchern entstanden. Diese Geschichte enthält keine dramaturgische Struktur, die stur eingehalten wurde. Nicht der Gedanke, eine Liebesgeschichte zu schreiben, ließ diese Zeilen ihren Lauf nehmen. Hier wurde die Liebesgeschichte gelebt, gefühlt und ist so real und pur mit allen Emotionen, die darin vorkommen, dass dieses Buch auf meinen Erinnerungen und nicht meinen Fantasien beruht.

      Kitsch war ebenfalls nie meins und ist es immer noch nicht. Ich denke zurück an all diese Erinnerungen und ich fühle all diese Emotionen wie damals, doch wie mir all dies geschah, ist mir bis heute ein Rätsel. Jeden Tag verblasst die Wahrhaftigkeit dieser Erlebnisse ein Stück mehr. Jeden Tag entferne ich mich gefühlsmäßig mehr von den Erinnerungen, die mir geblieben sind, und jeden Tag zweifle ich mehr an der Tatsache, dass dies wirklich ich war. Ich sehe Bilder, auf denen wir abgebildet sind. Ich habe die Erinnerung dazu im Kopf, doch ich erkenne mich nicht mehr. Die Glaubwürdigkeit, dieses Erlebnis gehabt zu haben, schwindet immer mehr. All diese Geschehnisse sind so außergewöhnlich und wirken mit der Zeit immer unglaubhafter.

      Ich möchte aber diese Erinnerung für immer behalten. Ich erkannte so vieles über mich selbst und über das Leben durch all diese Erlebnisse, dass ich trotz des vielen Schmerzes, den ich erlitt, diese Erfahrung um nichts in der Welt eintauschen würde. Ich erkannte den Wert, von einer Person wahrhaftig respektiert zu werden, mit all meinen Fehlern und Wahrheiten. Ich erkannte, was es hieß eine Person aufrichtig und ohne Geheimnisse in meine eigene Welt einzubringen, in der sie fortan eine wichtige Stellung einnahm. Ich erkannte meinen eigenen Wert und idealisierte meine eigene Persönlichkeit, indem ich mir durch dieses Selbstvertrauen, das ich erlangte, mehr Wert zusprach. Die guten Zeiten lehrten mich vieles über die Muße sowie die Glückseligkeit. Die schönen Stunden erkannte ich und ich sprach mir zu, diese so ausgiebig zu leben, wie es nur ging. Ich befand mich in einer völlig neuen Lebenssituation und es gefiel mir.

      Doch der Wendepunkt war unvermeidlich. Ich fing an, in der Vergangenheit zu leben, und zehrte von den Erinnerungen. Die Tage vergingen und die Trauertage überwogen schnell die schönen Tage. Bald hatte ich ein Gefühl meines Selbst entwickelt, das mich stets auf eine niedrigere Position stellte, als ich es eigentlich verdiente. Ich erlebte emotionales Leiden und erkannte, dass es manchmal keine Entscheidungen braucht und dass man lernen muss, zu warten. Ich war ebenfalls auf der anderen Seite, auf der positiven, und erlebte die euphorische Glückseligkeit, die nur durch die Anerkennung eines anderen Menschen hervorgerufen wurde. Diese Erfahrung zeigte mir die Höhen und Tiefen des Lebens in kürzester, aber intensiver Weise. Ich gab und bekam. Ich liebte und hasste. Ich erkannte, dass meine Seele keine unendliche Kapazität hat. Durch all dies bemerkte ich meine Grenze der Belastung und erlebte den Punkt meiner seelischen Toleranz. Durch dies erkannte ich, dass ich auf meine Seele sowie auf mein Wohlbefinden Acht geben muss.

      Ich entschied mich im Spätsommer 2017 für sechs Wochen mein Leben in Südfrankreich zu verbringen. Dies tat ich mit der Vorstellung, eine gemütliche und prägende Zeit zu erleben. In der Tat war mein Dasein so lebenswert wie zu fast keinem anderen Zeitpunkt meines bewussten Lebens. Ich sparte über Jahre, beendete meine Ausbildung und war nun auf mich und meinen Alltag fokussiert. Ich erwachte täglich mit neuen Ideen und Fantasien, wie ich bewusst in den Tag hinein leben könnte. Ich war glücklich über die so schöne Zeit mit meinen Freunden, der Familie und die noch nie da gewesene Möglichkeit, alles selbst in die Hand zu nehmen, dass ich mich beinahe gegen den Auslandaufenthalt entschieden hätte. Ich war das erste Mal in meinem Leben auf mich gestellt. Ich konnte entscheiden, was mir in fünf Minuten oder in fünf Wochen passierte. Ich konnte alles in meinem Dasein planen. Dies dachte ich zumindest zu jenem Zeitpunkt. Wie die Zeit so verging, landete ich nach einem kurzen Flug und schwermütigen Abschied in Montpellier. Zu diesem Zeitpunkt war diese Stadt für mich ein Ort wie jeder andere. Ich organisierte mit gebrochenem Französisch ein Taxi und fuhr zu meiner Unterkunft, die ich mit anderen Sprachschülern teilte. Nach einigen Minuten der Stille unterhielten wir uns im Taxi über die Ortschaft, die französische Sprache und wer wo aufwuchs. Ich konnte kaum Französisch, der Taxifahrer wiederum kaum Englisch. Doch trotz allem verstanden wir uns. Angekommen, versprach ich ihm, ihn bei meiner Rückreise wieder zu benachrichtigen. Er gab mir seine Visitenkarte, bevor ich das Gebäude, mit dem ich so viele Erinnerungen verbinden würde, betrat.

      Die erste Woche verging, wie ich mir sie vorgestellt hatte. Ich schloss viele Freundschaften und hatte eine tolle Zeit mit viel Sonnenschein und französischem Wein. Als am Wochenende leider einige der Kumpane aus meiner Residenz wieder nach Hause gingen, wurde spekuliert, wer die neuen Gestalten sein könnten, welche die nun leeren Schlafgemache übernehmen würden. Gedanken machte ich mir nicht allzu viele dabei. Ich gedachte einfach, meine Zeit zu genießen, und beachtete die Neuankömmlinge kaum. Doch zu meinem Erstaunen freundete ich mich mit einigen auf Anhieb an. Ich spielte natürlich denjenigen, der alles schon kannte, und machte den Vorschlag, in die „Australian Bar“ zu gehen. Jeden Montag 1 Euro für ein Bier und somit fast offiziell für alle Studenten dieser Studentenstadt. Einen humorvollen und vergnüglichen Abend hatten wir. Ich strahlte vor Lebensenergie, die von meiner derzeitigen Lebenssituation und den vielen neuen Freunden ausgelöst wurde. Ich freundete mich schnell mit meiner bis heute sehr guten Freundin Lisa an. Wir plauderten die ganze Nacht, wobei ich so in Stimmung war, dass ich einen guten Spruch nach dem anderen brachte. Dies kommt häufiger vor, doch in jener Nacht waren diese unerwartet gut. Ich bemerkte im Verlaufe des Abends eine weitere Gestalt, die sich an unsere Gesellschaft gewöhnen wollte. Ich hatte nichts dagegen. Eine weitere junge, schöne Dame, die meine Aufmerksamkeit genoss, konnte ich nicht ablehnen. Als die Nacht nun fortgeschritten war und wir alle zu derselben Unterkunft gingen, in der wir residierten, ahnte ich noch nichts. Ich machte mir zu dieser neuen Gestalt folgende Gedanken: Erstens dachte ich mir, wie schön sie war, und zweitens, dass ich sowieso keine Chance hätte, bei ihr zu landen. Ihr Name war übrigens Sofia. Die Tage vergingen und wir verstanden uns, als kannten wir uns schon seit Jahren. Ich genoss ihre Freundschaft. Nicht lange ging es und wir realisierten, dass wir zu mehr fähig waren, als gute Freunde zu sein. Wir entdeckten, dass sich unser Inneres geborgen fühlte, wenn wir zu zweit waren. Wir bemerkten, den anderen brauchen zu müssen. Die Zeit verging und der Rest der Welt wurde immer mehr ausgeblendet. Wir hatten unsere eigene kleine Welt in einer kleinen, paradiesischen Stadt in Südfrankreich. Unser eigenes kleines Paradies, indem unsere Regeln galten. Wir kannten keine Verpflichtungen und keine Bürden. Wir lebten in den Tag hinein und wir empfanden Unangenehmes als angenehm, solange wir dabei zusammen sein konnten. Ich konnte es nicht fassen. Sich zu verlieben in den Ferien! Es hörte sich an, als wäre dies ein Film, in dem ich die Hauptrolle spielen sollte. Ich kannte aber die Enden aller dieser Filme und diese waren keine glücklichen. Ich oder wir wussten, auf was wir uns da einließen. Ich kam nicht mit der Absicht in die Ferien, Liebe zu finden, genauso wenig wie sie. Wir fielen in eine Welt, in der wir keine Zeit kannten. Wir fielen in eine Geschichte, in der das Ende unbestimmt war. Die Tage vergingen und die Zeit wurde immer mehr zu einem Gegenspieler. Wir mussten der Wahrheit ins Gesicht schauen. Wir erkannten, dass unsere Zweisamkeit keine Zukunft haben würde, und verbrachten unsere Nächte mehr und mehr ineinander verschlungen mit Tränen in den Augen. Wir diskutierten über die Möglichkeiten, die wir haben würden, und über unsere so ungewisse Zukunft. Es war eine so unverständliche Realität, derer wir bewusst werden mussten. Wir erkannten, dass unsere Seelen zusammengehörten, aber unsere Wurzeln waren fürchterlich weit entfernt. Wir fühlten uns veräppelt vom Schicksal und beklagten uns über diese so unfaire Begebenheit. Ich wohnte in der Schweiz und sie in Florida. Es war das erste Mal in unseren beiden Leben, dass wir uns in eine andere Person verliebten und wir uns dessen so sicher waren. Das erste Mal, dass die Geborgenheit nicht zuhause, sondern bei einer bestimmten Person des Eros war. Unser Verstand sagte „nein“, doch unser Herz siegte über diese Entscheidung. Es fühlte sich falsch an, nicht zusammen zu sein.

      Der unvermeidliche Tag stand vor der Tür und wir verabschiedeten uns am Flughafen. Ich konnte meine Tränen nicht zurückhalten. Ich hatte ein Stechen in der Brust. Einen Willen, alles zu unternehmen, um diesem ein Ende zu bereiten. Ich wartete auf den Moment, in dem die Nachricht kommen würde, dass wir


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