Das Erbe der Macht - Band 24: Schattenkrieg. Andreas Suchanek
Alle Augen richteten sich auf Teresa.
»Doch ihre Nester sind noch überall zu finden«, sprach diese nach Sekunden der Stille. »Die Nutzung der Artefakte wurde stärker, sie sind weiter verteilt denn je.«
»Aber was können wir …?« Leonardo stoppte, als ein mit Bruchstellen übersäter Bergkristall auf dem Tisch rot leuchtete.
Teresa eilte dorthin, nahm ihn auf und schloss die Augen. Sekunden später riss sie diese wieder auf. »Es war keine Attacke auf euch allein. Ich dachte, dass Merlin gezielt die Monolith-Reisenden anvisiert hat, weil ihr seine Geheimnisse aufdeckt. Aber das ist falsch.«
Es dauerte einen Augenblick, bis Leonardo ihre Worte zuordnen konnte. »Die Essenzstäbe!« Er sprang auf. »Es sind mehr als nur unsere?«
Teresa antwortete nicht, doch in ihrem Gesicht arbeitete es. »Es gibt nur eine Möglichkeit, sie alle zu zerstören. Der Stabmacher. Er hat Nostradamus getötet.«
Tomoe erhob sich geschmeidig. »Damit wären alle betroffen, die einen seiner Stäbe tragen.«
»Möglicherweise sogar noch mehr«, flüsterte Teresa.
»Wir müssen in die Zuflucht!«, rief Chloe.
»Ich packe ein paar Dinge zusammen, haltet euch bereit.« Damit verschwand die Herrin vom See aus dem Raum.
»Was ist während unserer Abwesenheit geschehen?«, fragte Leonardo. »Welche Zuflucht?«
Chloe berichtete ihm von dem springenden Castillo, in das sich die Rebellen gegen die neue Ordnung zurückgezogen hatten. Und von den Toten der Blutnacht. Selbst Tomoe hatte nicht alle Einzelheiten gekannt, war sie doch aus Frankfurt geflohen, bevor die Reise ihren Anfang genommen hatte.
Die Wucht der Namen traf Leonardo. Die Grants hatten Schreckliches erlebt, so viele treue Kämpfer verbrannt in einem einzigen Zauber.
»Deshalb hat er die Unsterblichen alle in den Immortalis-Kerker gesteckt«, sagte Clara leise. »Auf diese Weise schickt die Zitadelle niemand neuen. Nostradamus war da wohl eine Ausnahme, weil sein Tod Merlin von Nutzen war.«
Mit einem gewaltigen Koffer kehrte Teresa zurück in das Zimmer. In einem freien Bereich des Raums zeichnete sie mit dem Finger magische Symbole auf die Bodendielen. Ein Kreis entstand.
»Tretet bitte ein.« Sie winkte hektisch. »Los, los.«
»Was ist mit Grace und Anne?«, fragte Tomoe.
»Denen passiert nichts«, erwiderte Teresa. »Das Haus ist besser gesichert als jede Festung, die du in deinem langen Leben kennengelernt hast. Außerdem ist es unter einer Illusionierung verborgen. Die beiden werden in ein paar Tagen ohne Kratzer aufwachen.«
Endlich befanden sich alle innerhalb des Kreises.
»Was wird das?«, fragte Leonardo. »Ich habe diese Symbole noch nie gesehen.«
»Lass dich überraschen. Benötigt viel Essenz, funktioniert aber tadellos.« Teresa ließ ihre Gelenke knacken. »Man braucht eine Richtung und vorzugsweise eine exakte Vorstellung des Ziels, andernfalls kann es gehörig danebengehen.« Sie hob ihre Hand. Die Flammen der Essenzsymbole loderten auf Hüfthöhe. »Es ist ein Sprungkreis.«
Leonardo erinnerte sich an die längst vergangene Zeit, als sie noch mit ähnlichen Kreisen gereist waren. Hierfür waren Artefakte vom Anbeginn zum Einsatz gekommen und die Nebeneffekte hatten den Beipackzettel jedes Medikaments in den Schatten gestellt.
Bevor er eine entsprechende Frage stellen konnte, führte Teresa den Zauber aus.
»Corpus Disparere. Corpus Aportate.«
Die Umgebung wurde durchsichtig, wie ein Fernsehbild, das von einem anderen überlagert wurde.
Sie erschienen inmitten von Chaos, Blut und Tod.
Kurz zuvor
Du siehst aus, als stünde deine Hinrichtung bevor.« Max fühlte sich müde nach dem Training, doch immerhin war sein Freund gerade aus der Vergangenheit zurückgekehrt.
»Der hier ist für dich.« Kevin reichte ihm einen Essenzstab.
Das unterarmlange Holz war versehen mit geschliffenem Bernstein und magischen Symbolen aus Himmelsglas. Das Artefakt strahlte eine Macht aus wie kein Stab, den Max kannte. Als er ihn entgegennahm, spürte er eine seltsame Form der Verbindung.
»Woher hast du ihn?«
»Ein Ersatz für den, den Wesley dir zerstört hat. Verbindet er sich?«, fragte Kevin.
»Es fühlte sich so an.« Zum ersten Mal seit dem Verlust seines eigenen Stabes war Max auf magischer Ebene wieder vollständig. »Danke.«
»Er ist uralt«, sagte Kevin stockend. »1415 geschaffen von der damaligen Stabmacherin. Aber es ist kein gewöhnlicher Stab. Sie nannte ihn den Essenzstab des Schutzes.«
Max runzelte die Stirn. »Wieso übergibst du ihn dann mir?«
»Wenn jemand Schutz gebrauchen kann, dann du.«
»Wieso glaubt das jeder?!«
»Weil du ohne den Phönixring längst tot wärst«, entgegnete Kevin.
»Das ist ein wenig übertrieben.« Max zog seinen Verlobten an sich.
Sie versanken in einen innigen Kuss. In diesem Augenblick fielen alle Herausforderungen, die Gedanken zur Zukunft, jede Müdigkeit von ihm ab.
Doch etwas stimmte nicht.
Max unterbrach den Kuss. »Was ist los?«
Mit einem Räuspern wich Kevin zurück, brachte Distanz zwischen sie beide. »Es ist etwas passiert.«
»Okay.« Innerlich bereitete Max sich auf den Aufprall vor.
»1415 … Wir haben dort eine Lösung für das Problem mit Jen gesucht.« Kevin stockte. »Am Ende konnten wir den Fluch von Jen nehmen, dank der Hilfe von Marco Polo.«
»Klingt nach einer erfolgreichen Mission.«
»Ich habe Marco Polo geküsst«, brach es aus ihm heraus. »Also er mich. Aber ich habe es erwidert.«
Im ersten Augenblick wollte Max auflachen. Der Unsterbliche war lange tot. Doch langsam realisierte er die Bedeutung des Gesagten.
»Ist mehr …«
»Nein!« Kevin fuhr sich durch die Haare. »Aber ich habe es nicht unterbrochen. Es war …« Es fiel ihm sichtlich schwer, weiterzusprechen. »In diesem Augenblick hat es sich gut angefühlt.«
Max‘ Magen drehte sich um. Obwohl er logisch noch zu begreifen versuchte, was sein Verlobter da sagte – und was es bedeutete –, waren seine Emotionen schon weiter. »Hast du dich in ihn verliebt?« Eine absurde Situation. Marco Polo war tot!
»Nein!«, rief Kevin. »Natürlich nicht! Ich sage nur … Es war so leicht. Einfach loslassen. Keine Verantwortung zu tragen.«
»Ist unsere Beziehung eine Last?!«
»Auf keinen Fall! Ich liebe dich. Aber …« In seinem Blick lag Verzweiflung.
Eine Woge des Mitleids überkam Max, vermengt mit Wut und Schmerz. Er verstand, dass es Kevin miserabel ging. Abgesehen von seiner Großmutter hatte keiner aus seiner Familie die Blutnacht von Alicante überlebt. Das machte seine Tat jedoch nicht besser.
»Sag mir, was du willst«, brachte Max schließlich hervor.
Kevin setzte zum Sprechen an.
Plötzlich flog Max durch die Luft. Etwas war explodiert. Er hustete, spuckte Blut, sein Körper tat überall weh. In seinen Ohren lag ein Piepsen, das nicht verschwinden wollte. Als er die Finger vor sein Gesicht hielt, waren sie blutig. Er starrte sie verwirrt an.
Erst mit