Guste, Gretel und ich. Käthe van Beeker
wie wir beschränkten Deutschen, die man bedauern müsse. Besonders die Frauen wären bei uns geknechtet und dürften nie eine eigene Meinung haben.
Da stimmte Marie Luise ganz mit ihr überein und sagte, Blanche wäre ein bedeutender, strebender Geist und man müsse ihr deshalb viel verzeihen, sie hätte es innerlich.
Na ja, äußerlich hatte sie es auch nicht, denn sie war ganz klein, schmal und häßlich, und die Pomadigkeit kam mir auch nie wie ein Zeichen von Bedeutung und Strebsamkeit vor, aber vielleicht verstand Marie Luise das so mehr im großen. Und darin hatte Blanche ja recht, eine eigene Meinung durfte eine deutsche Frau nicht haben. Ich sah es eben wieder, bei der Unterhandlung mit Mama, – ließ sie mich zu einer eigenen Meinung kommen?
Nein, sie unterbrach mich schon wieder.
»Böses? Nein, mein Kind, davor möge dich der Himmel bewahren, aber Thörichtes, Verkehrtes, was dir die Fesseln alberner Vorurteile und Kleinlichkeiten um die junge Seele legt und dich daran hindert, ein fröhliches, unbefangenes, ausgelassenes Kind zu sein, wozu dich deine Jahre glücklicherweise noch berechtigen.«
Ich rümpfte die Nase. Das Wort »Kind« paßte mir gar nicht mehr. Man konnte nie zeitig genug anfangen, sich als junge Dame zu fühlen, sagte Marie Luise, und damit hatte sie mir in den anderthalb Jahren, die wir uns nun schon kannten, manches abgewöhnt, was mir sonst noch sehr in der Art lag und was ich nur mit einem schweren Seufzer aufgab.
Aber ich steckte gerade in dem Alter, in dem man sich an Vorbilder klammert, weil man selbst nicht recht weiß, wie man mit sich daran ist. Überall hat man Halbes und Unsicheres, und da folgt man nun blind dem anscheinend sicheren Führer, ob er zur Tiefe oder zur Höhe lenkt, man merkt und unterscheidet es nicht, man geht unentwegt mit ihm.
Das wäre wohl nie so weit gekommen, wenn Mama in dieser Zeit mehr auf mich hätte achten können. Aber im Anfange, als wir in die neue Garnison kamen, hatte Mama viel damit zu thun, sich in die veränderten Verhältnisse einzuleben, dann quälte sie sich monatelang mit einem bösen Magenleiden, und als sie dieses kaum überwunden hatte, fing Papa mit dem Rheumatismus an, schleppte sich lange Zeit mit Stöhnen und Zähneknirschen hin und brach dann endlich doch zusammen.
In den traurigen Monaten seiner Pflege fand Mama erst recht nicht Zeit und Sinn für Beobachtung ihres heranwachsenden Töchterleins, das mittlerweile seine eigenen Wege gegangen und nach eigenem Geschmack sich zu einer richtigen eitlen und oberflächlichen kleinen Närrin entwickelt hatte.
Die schöne Frühlingszeit brachte in Papas Befinden allmählich Besserung, Mama fing an aufzuatmen, sich wieder einmal mit frischerem Blick umzusehen und zu bemerken, daß ihre Einzigste ihr nicht gefiel, nach keiner Seite hin gefiel. Denn ich war in letzter Zeit zwar endlich etwas gewachsen, aber nebenbei noch schmächtiger wie vorher, blutarm, müde und verdrießlich geworden und zeigte zu all diesen körperlichen Annehmlichkeiten auch noch eine große Neigung, mich beleidigt zu fühlen und in Thränen zu zerfließen.
Das that ich denn auch jetzt redlich, und diesmal hatte ich wirkliche Berechtigung dazu, denn das wird keinem gefallen, einen ganzen Berg Tadel herunterschlucken zu müssen und nebenbei in die Verbannung geschickt zu werden, in ein Dorf, während die Eltern in große, vornehme Bäder, in das Hochgebirge und in Gott weiß was für sonstige Schönheiten gehen!
Von allem andren abgesehen, wie hätte das mein Renommee bei den Freundinnen gehoben, wenn ich solche Reisen gemacht hätte!
Tilly ging in jedem Jahr die Sommerferien über nach der Schweiz, Blanche zu den Eltern nach England, was hochfein, und Marie Luise auf das Stammgut der Familie, was das Hochfeinste war, und ich krankte infolgedessen schon seit Jahresfrist an glühenden Reisewünschen.
Nun konnten sie erfüllt werden. Es lag ganz nahe, daß meine Eltern ihre Einzigste mitnahmen, – nein, es war sogar selbstverständlich, und da kam Mama mit der haarsträubenden Idee, mich zu einer Jugendfreundin aufs Dorf zu schicken, aufs Dorf in ein Pächterhaus! –
»Da wirst du Leib und Seele auskurieren, ein rosiges, frisches, gesundes Mädchen werden und einfache, vernünftige Ansichten bekommen,« sagte Mama. »Widersprich mir nicht, Kind, es ist alles wohl überlegt und du änderst nichts daran. Dich mit uns auf die weiten Reisen zu nehmen ist erstens zu teuer und zweitens habe ich mit einem Leidenden gerade genug zu thun. Dazu auch noch auf eine zweite Person zu achten, die hier piepst und da piepst, geht über meine Kräfte. Dort, bei Tante Regine wirst du dir das schnell abgewöhnen. In der reinen, guten Landluft, beim einfachen, regelmäßigen Leben und gesunder Beschäftigung gehen die Stadtpflanzen Bleichsucht und Nervosität bald ein.«
Das klang nun wieder nicht nach meinem Geschmack. Bleichsüchtig und nervös waren alle meine Freundinnen, das gehörte zur Vornehmheit, nur die dicke Tilly nicht. Natürlich, die aß zu viel und dachte zu wenig, das war eben unvornehm.
Das meinte auch Marie Luise, wenn sie in ihrer Mokierlaune war, – und nun sollte ich auch so werden, dick und gefräßig!
Ich begriff Mama nicht, aber diesmal ließ ich meine Gedanken nicht laut werden, Mama hatte ja doch kein Verständnis dafür, sie würde nur noch mehr schelten.
Ach, und dabei war sie so gut! Mit ihren weichen, weißen Händen, die ich so liebte, strich sie mir liebevoll über das Haar, und nun küßte sie mein thränenfeuchtes Gesicht.
»Kleines Dummchen, quäl' dich und mich doch nicht, sondern bemühe dich, einzusehen, daß deine Eltern nur das Beste für dich wollen,« sagte sie zärtlich. »Du findest dort eine gütige Pflegemutter und eine liebe, verständige Freundin. Die Guste ist nur ein Jahr älter wie du – –«
Guste! Nun hieß die auch noch Guste, wie unser Milchmädchen, die ich ihres festen Schrittes und überkräftigen Körperbaues halber stets den Milchdragoner nannte!
So würde jene Guste gewiß auch sein, denn wenn man einen so plebejischen Namen hatte, mußte man schon wie ein Dragoner aussehen!
Aber als ich das mit der ganzen Geringschätzung, die ich dafür empfand, aussprach, wurde Mama ernstlich böse, verbat sich jedes fernere Wort des Widerspruchs und Unsinns, und ließ mich in meinem ganzen Jammer und Elend allein sitzen.
Ja, da hatte ich nun das Froschungeheuer vor mir und konnte es ebensowenig wie die Königstochter im Märchen in die abgrundtiefen Wasser meines Widerwillens werfen, sondern war der ekelhaften Zusammengehörigkeit mit ihm anscheinend unrettbar verfallen.
Vorläufig sorgte und ängstigte ich mich am meisten vor dem Augenblick, da meine Schulfreundinnen das mir drohende Unglück erfahren mußten, denn darüber war ich sicher, zu all meinem Leid und Kummer würden sie, besonders Marie Luise, noch Spott und Verachtung häufen. Natürlich, – wenn man aufs Land zu Pächtersleuten geht!
Mama hatte mir zwar gesagt, daß es durchaus nichts gesellschaftlich Erniedrigendes wäre, eine Pachtung zu haben, daß Herr und Frau Nord, beide aus sehr guter Familie stammten und nur nicht Vermögen genug besäßen, um sich ein eigenes Gut zu kaufen. Aber das kam gar nicht zur Geltung vor meinen verdrehten Ideen, nach denen Pächtersleute ein für allemal nur eine Kleinigkeit höher rangierten wie Bauern, und mit Wohnung, Sprache und Benehmen sich keinesfalls unter jene Menschen rechnen konnten, die ich als ebenbürtig, und deren Umgang ich für wünschenswert ansah.
Und so würden meine Freundinnen auch urteilen, ich wußte es, besonders Marie Luise. Die hatte schon immer so wegwerfend gesprochen von den Bauern, die das bewußte Stammgut verwalteten, ebenso wie meine künftigen Pflegeeltern auf einem Vorwerk desselben wohnten und von den Herrschaften, wenn diese zur Sommerszeit dort einkehrten, gar nicht beachtet wurden.
»Selbstverständlich, sie zählen nicht zur Gesellschaft!« sagte Marie Luise, kniff die Augen halb zu, rümpfte die etwas breite Nase, die ich eigentlich in lichten Momenten gar nicht aristokratisch, sondern ganz gewöhnlich fand, mit ganz eigener Hoheit und sah furchtbar vornehm und imponierend aus, wenigstens nach ihrer und auch nach meiner Ansicht.
Und da sollte ich nun gestehen, daß ich zu Leuten