Guste, Gretel und ich. Käthe van Beeker

Guste, Gretel und ich - Käthe van Beeker


Скачать книгу
in den nächsten Tagen.

      »Du, Delia,« sagte mein Vornehmheitsideal, »deine Mama hat meiner erzählt, daß ihr für Monate auf Reisen geht, erst nach Wiesbaden, dann ins bayrische Gebirge und vielleicht noch nach der Schweiz. Du hast doch mehr Glück wie Verstand,« – man sieht, Marie Luise verwöhnte mich nicht durch rücksichtsvolle Höflichkeiten – »die langweilige Schule so lange schwänzen und großartig auf Reisen leben, das könnte auch eine treffen, die das mehr zu würdigen verstände!« – Damit meinte sie sich – »Du bist doch noch ein halbes Kind! Freilich, ich würde ja immer vorziehen, auf unser Stammgut zu gehen, das ist doch feudaler!«

      Unter andern Verhältnissen wäre ich ihr schon vorher in die Rede gefallen und zwar auch nicht höflich, denn trotz aller Hochachtung vor der Kammerherrntochter wuchs mir sonst doch niemals der Mund zu. Aber jetzt schwieg ich. Mein Verhängnis lastete zu drückend auf mir.

      »Gott,« sagte Tilly und rümpfte nun ihrerseits die auch nicht schmal geratene Nase – »du immer mit deinem ›Stammgut‹ und dem ›feudal‹. Meine Eltern haben auch in Sachsen ein großes Gut, aber wir finden es viel feiner, im Sommer in die großen Hotels zu gehen. So gut ißt man nämlich auf dem Lande doch nicht, denn unser Koch geht nicht mit aufs Land, dafür ist er zu fein.«

      »Das nenne ich schon Protzentum,« ereiferte sich Marie Luise, die immer gereizt wurde, wenn jemand ihr Stammgut nicht genügend anerkannte. »Auf Reisen gehen des Essens halber, wie gewöhnlich!«

      »Ach was, Essen und Trinken hält Leib und Seele zusammen, das ist gar nicht gewöhnlich, du bist bloß neidisch!« Tilly zuckte die Achseln und holte als Beleg für ihre Lebensweisheit ein appetitliches Frühstücksbrötchen vor.

      »Nein, du bist neidisch, weil unser Gut ein Stammgut ist, und ihr das nicht haben könnt!« höhnte Marie Luise zornrot, und es wäre zu einem regelrechten Zank gekommen, was mir damals in Bezug auf meine Enthüllungen, die dann noch etwas hinausgeschoben blieben, ganz recht gewesen wäre, wenn sich nicht unglücklicherweise Blanche ins Mittel gelegt hätte.

      Sie war die Ruhigste von uns und zankte am wenigsten, vielleicht auch, weil ihr das Deutsche noch immer etwas schwer wurde und sie mit unsern flinken Zungen nicht gleichen Schritt halten konnte.

      »Laßt doch euer langueiliges Streit,« sagte sie. »Ein Stammgut ist serr gut, aber gutes Essen auch. Das kennt man alles in England, oh yes! Man muß nich streiten um Sachen uo natürlich seind. Delia kann uns sagen besser, uann sie geht und uohin?«

      So, nun mußte ich heran, mich rettete kein Engel, rein nichts mehr, denn jetzt wandten sich auch die andern beiden an mich mit ihren Fragen, und ich mußte Farbe bekennen.

      Ach, erst das Erstaunen und dann der Sturm, der losbrach! Ganz wie ich es mir gedacht hatte! Ich mußte mich beinahe tot schämen!

      Natürlich hatte ich zuerst nur zugestanden, daß ich aufs Land zu Bekannten von Mama ginge, aber dann wurden mir die Pächtersleute auch abgefragt. Sie waren ja alle neugierig wie die Nachtigallen.

      »Pächter sind es? Was, Pächter? O Gott, du Arme! Wie ist das möglich? In so kleinbürgerliche, nein, in so bäuerliche Verhältnisse kommst du?« Marie Luise wich ordentlich wie vor einer Pestkranken zurück. »Den Leuten nicke ich so von oben herab zu und spreche mal ein paar freundliche Worte mit ihnen, weil Papa darauf hält, daß man human ist, auch gegen Untergebene; aber in Beziehung zu ihnen treten –«

      »Ja, Leute, die nicht genug Geld haben, um sich was zu kaufen, die müssen was pachten,« bestätigte Tilly verächtlich. Leute, die kein Geld hatten, waren in ihren Augen überhaupt nur halbe Menschen. »Na, da wirst du aber gewiß nicht gut zu essen bekommen, da kannst du noch spindeldürrer werden wie du jetzt bist.«

      Und dazu saß sie so breit und vollgegessen da, daß ich sie ganz greulich fand und ihr gern einen Klaps gegeben hätte, ebenso wie Marie Luise mit ihrem hochmütigen Gesicht. Nein, im Moment hatte ich meine Freundinnen gar nicht lieb!

      »Uas ihr nur uollt? Pachtersleute können serr gute, feine Leut' sein. Bei uns in England haben manche jüngeren Söhne Landsitze gepachtet und sind serr in die gute Gesellschaft,« trat Blanche auf meine Seite.

      Aber diesmal ließ sich Marie Luise von der Ausländerin nicht imponieren.

      »Gott ja, in England!« fiel sie mitleidig ein. »Da ist alles so anders! Manchmal seid ihr schrecklich freidenkend, schon zu freidenkend! Bei uns geht das nicht. Nein, so auf einem Pachthof leben! – Na, weißt du, da kannst du ja nun die Hofdame spielen! Hahaha! Unter den Enten, Gänsen und den Vierfüßlern, die ich nicht nennen will!«

      Sie schüttelte sich vor Lachen. Das kam ihr gelegen, mir die Hofdame vorzuhalten. Darüber ärgerte sie sich schon lange, daß sie nicht das Privilegium der Hofdame allein haben sollte, sondern ich auch immer darüber sprach.

      »Aber, glaube nur nicht,« fuhr sie höhnisch fort, »daß du nach solchem Eclat jemals wirklich an den Hof kommen darfst. Da sieht man auf eine tadellose Vergangenheit!«

      Das war dem Faß den Boden ausgeschlagen, ich brach in Thränen aus. Solcher Hohn, solche Schmach mußte mich treffen, solche Eltern hatte ich, die mich den schrecklichsten Kränkungen preisgaben! Nein, ich mußte noch einmal mit Mama sprechen, vielleicht auch Papa zu bearbeiten suchen! Sie mußten doch einsehen, daß ich für dergleichen nicht geboren und erzogen war.

      Aber da kam ich schön an. Papa, reizbar wie die lange Krankheit ihn gemacht hatte, donnerte mich an, als wenn ich der schlimmste aller Rekruten wäre, und Mama, endlich auch am Ende ihrer Geduld, erklärte, daß sie nun von meinen Albernheiten vollkommen genug habe und mich so schnell wie möglich aus der verderblichen Umgebung meiner thörichten Freundinnen herausbringen wolle. Tante Regine sei jeden Augenblick bereit, mich aufzunehmen. Wenn auch noch einige Wochen bis zum Schulschluß fehlten, das mache nichts, ich würde mehr wie das versäumen und es dort mit Privatunterricht wohl auch wieder einholen, jetzt solle ich nur meine Sachen zusammensuchen und mich in stand setzen zur Reise.

      Also es half nichts, die Augen zugedrückt und los auf das Froschungeheuer!

      Mama redete mir so gut zu, sie that alles, was eine liebevolle, vernünftige Mutter einem ungebärdigen, thörichten Kinde gegenüber thun kann, und als ich sah, daß mein Schicksal unwiderruflich besiegelt war, fand ich mich ja auch äußerlich mit Anstand hinein, hatte sogar den Mut, meinen Freundinnen gegenüber zu behaupten, daß ich Mamas Idee mit dem Landaufenthalt eigentlich reizend fände, aber innerlich war ich verzweifelt und fest entschlossen, den Bauern dort mit so viel Hochmut, Verachtung und Unliebenswürdigkeit wie möglich entgegenzutreten. Sie sollten schon merken, daß ich in ihre Verhältnisse nicht paßte. Vielleicht machten sie das dann auch Mama klar, und die Eltern erlösten mich und ließen mich doch noch nachkommen.

      In diesem Vornehmen und in dieser Hoffnung kam ich über den Abschied leichter hinfort, wie ich gedacht hatte. Außerdem belebte mich die Aussicht, zum erstenmal im Leben allein und selbständig auf Reisen zu gehen.

      Mama schwebte gerade deshalb in größter Sorge, da sie aber Papa nicht allein lassen konnte und hier an dem immerhin noch fremden Ort keine Vertrauensperson hatte, die sie mir zum Schutz mitgeben konnte, mußte sie sich darein finden, mich für sechs Stunden Wegfahrt mir selbst und der Güte der Eisenbahn anzuvertrauen.

      Im Damencoupé saß schon eine junge Frau mit zwei Kindern, eines noch im richtigen Schreialter, mit Tragkleidchen und Milchflasche.

      Ich zupfte Mama am Kleide.

      »Da gehe ich nicht hinein. Mit solchen Quäksbälgen kann ich nicht stundenlang zusammensitzen, da wird mir übel und ich bekomme Kopfweh!«

      Aber Mama war taub für diese berechtigten Einwände. Sie hatte eben gehört, daß die Dame noch über meine Station hinausfuhr, und nun wendete sie sich mit Inbrunst an die freundlich Platz Machende und empfahl mich für die Reisedauer ihrem Schutz. Ich war empört, – auch dieser Spaß verdorben! Was hatte ich nun von meiner selbständigen Reise, die ich mir heimlich mit den wunderbarsten Reizen ausgemalt hatte. Allein im Coupé, die Füße auf die gegenüberstehenden Polster gelegt, was ich entzückend fesch und elegant fand, auf jeder Station Kuchen oder Limonade kaufend,


Скачать книгу