Sophienlust 315 – Familienroman. Anne Alexander
Papa, noch!« verlangte Melissa, als er sie auf den Boden stellte.
»Na, siehst du?« Der junge Vater warf seiner Frau einen triumphierenden Blick zu. »Unsere Tochter weiß besser, was ihr guttut, als du.«
»Man sollte nicht glauben, daß du bereits zweiunddreißig Jahre alt bist«, bemerkte Christine kopfschüttelnd.
»Dieses Kompliment kann ich dir nur zurückgeben«, ulkte Harald. »Nach deiner Ängstlichkeit müßte man dich für sechzig und nicht für achtundzwanzig halten.« Er zwinkerte Melissa zu. »Was meinst du, Meli-Kind, ist die Mama schon sechzig?« Als Melissa ihn verständnislos ansah, fügte er hinzu: »Ist die Mama schon alt?«
»Mama alt«, echote Melissa.
»Da hörst du es aus kundigem Mund«, erklärte Harald und legte den Arm um seine Frau.
»Warte, wenn Meli schläft, dann kannst du etwas erleben!« drohte Christine glücklich. Sie hatte einen Mann, den sie über alles liebte, und sie hatte nun eine kleine Tochter. Was konnte sie mehr erwarten?
An diesem Abend übernahm Harald die Aufgabe, Melissa zu füttern. Den Hochsitz brachte er zuvor eigenhändig in den Keller. Er fand, es war doch viel schöner, wenn die Kleine auf dem Schoß des einen und anderen saß. Später wurde die Kleine gemeinsam von ihnen gebadet und zu Bett gebracht. Es ging bereits auf acht zu, als Harald eine Flasche Sekt auf den Wohnzimmertisch stellte.
»Nanu, was feiern wir denn?« fragte Christine überrascht. »Auf Melis Ankunft haben wir doch schon gestern angestoßen. Du hast doch nicht etwa im Lotto gewonnen?«
»Es gibt noch andere Dinge, die man feiern kann«, meinte ihr Mann. »Direktor Gerlach ließ mich heute in sein Büro kommen. Er gratulierte mir zu Melissa, und dann sagte er mir, daß er mich nächste Woche zum Prokuristen ernennen würde.«
»Zum Prokuristen?« wiederholte Christine fassungslos.
»Ja!« Harald nickte. Er mühte sich mit der Sektflasche ab. Mit einem lauten Knall sprang der Korken aus dem Flaschenhals.
Eilig hielt Harald zwei Sektgläser unter die sprudelnde Fontäne. »Ich hätte nicht gedacht, daß ich dieses Ziel so schnell erreichen würde«, sagte er. »Gut, ich wollte vorwärtskommen, das weißt du ja, aber daß ich bereits jetzt Prokurist werden würde, das hatte ich in meinen kühnsten Träumen nicht erwartet.«
»Das freut mich, Harald!« Christine küßte ihn auf die Wange. »Ein Zeichen, wieviel Direktor Gerlach von dir hält.«
»Und darauf bin ich auch sehr stolz.« Harald drückte seiner Frau ein Glas in die Hand. »Natürlich werden ich mich jetzt erst recht anstrengen. Ich muß meinem Chef beweisen, was in mir steckt.«
»Beweise ihm nicht zuviel auf einmal«, mahnte Christine etwas besorgt. »Direktor Gerlach gehört zu den Chefs, die ihren Leuten gern mehr aufbürden, als sie verkraften können. Denke daran, daß du jetzt ein Kind hast! Melissa wird einen Teil deiner Zeit beanspruchen.«
»Sei unbesorgt, Liebes, ich lasse mir schon nicht zuviel aufbürden«, beruhigte Harald seine junge Frau gutgelaunt. »Ich weiß genau, wieviel ich mir zumuten kann. Du und die Kleine, ihr werdet nicht zu kurz kommen.«
Mit einem leisen Klirren stießen die Gläser aneinander.
*
Aber so einfach, wie Harald Walter es sich vorgestellt hatte, ging es nicht, seine neue Position und die Familie unter einen Hut zu bringen. Schon an einem der nächsten Tage teilte Direktor Gerlach ihm mit, daß er ihn zu einem Management-Kurs angemeldet habe, der bereits in der nächsten Wochen beginnen sollte.
Nun war Harald durchaus nicht abgeneigt, diesen Kurs mitzumachen, aber er wußte auch, daß er damit während der nächsten Wochen kaum noch Zeit für seine Frau und Melissa haben würde.
»Ich finde es unverschämt von Direktor Gerlach, dich einfach zu diesem Kurs anzumelden«, sagte Christine ärgerlich, als sie davon erfuhr.
»Aber bedenke einmal die Vorteile, die dieser Kurs mir bietet«, wandte Harald ein. »Ich will doch weiterkommen, Christine. Das mußt du verstehen.«
»Es wird so weit kommen, daß wir uns nur noch frühmorgens und am späten Abend sehen«, meinte Christine. »Vergiß nicht, ich habe bis vor kurzem als Sachearbeiterin in deiner Firma gearbeitet. Ich kenne Direktor Gerlach zur Genüge.«
»Zugegeben, während des Kurses werde ich mich nicht viel um euch kümmern können, aber danach wird alles wieder beim alten sein«, erwiderte Harald leichthin. »Du kannst dich darauf verlassen, daß mir trotz allem die Familie wichtiger ist als meine Arbeit.«
»Weißt du, wie endlos so ein Tag werden kann?« fragte Christine. »Mit dem Haushalt bin ich schnell fertig. Gut, ich habe Melissa, aber ich kann das Kind doch nicht an mein Bein binden. Melissa soll sich frei entfalten können und nicht ständig an meinem Schürzenzipfel hängen. Ich freue mich immer auf den Abend, wenn du nach Hause kommst. Es war so schön, daß du jetzt immer um halb fünf heimgekommen bist. Auch Meli wird das Tollen mir dir vermissen.«
»In einigen Wochen werde ich wieder pünktlich heimkommen«, versicherte Harald. Ganz glaubte er zwar selbst nicht daran, aber er wollte um jeden Preis einen Streit mit seiner Frau vermeiden. »Sag, wie war es bei dieser Heinhofer Müttervereinigung?«
Christine war am Vortag von Frau Petzold angerufen worden. Man hatte sich im Haus der Vereinsvorsitzenden getroffen, die ein Kindermädchen hatte, das während der Sitzung die kleineren Kinder betreute.
Christine winkte ab. »Nichts für mich! Am liebsten wäre ich mitten in der Sitzung aufgestanden, hätte Melissa genommen und wäre nach Hause gegangen. Zuerst gab es ein endloses Palaver über Kochrezepte und Strickmuster, und dann ging man zur Tagesordnung über. Man will eine Großaktion gegen die Heinhofer Hundebesitzer starten.«
»Was?« Harald sah seine Frau entgeistert an. »Gibt es denn für diese Frauen keine größeren Probleme als Hunde?«
»Allem Anschein nach nicht! Zugegeben, es darf nicht vorkommen, daß Hunde die Kinderspielplätze beschmutzen. Man sollte den betreffenden Hundebesitzern gehörig auf die Finger klopfen, aber den Hunden auch noch verbieten zu wollen, entlang der Feldwege oder auf der Fahrbahn ihr Geschäftchen zu verrichten, ist mehr als intolerant.«
»Und wie will man das durchsetzen?« fragte Harald.
»Indem man sich an die Öffentlichkeit wendet«, erwiderte Christine. »Ich habe mich geweigert, den Leserbrief zu unterschreiben, der an die Zeitung aufgesetzt wurde.«
»Das war richtig, Christine.« Harald schüttelte den Kopf. »Ich habe mir neulich den Spielplatz angesehen. Von Hundehaufen keine Spur, aber leere Konservendosen, Glasscherben, Papier und Zigarettenkippen genug.«
»Das war ja das allerschönste!« sagte Christine. »Doris, die kleine Tochter der Vorsitzenden, lief ins Zimmer und kletterte auf den Schoß ihrer Mutter. Frau Weingraf rauchte seelenruhig weiter und blies der Kleinen teilweise sogar den Rauch ins Gesicht. Sie rauchen wie ein Schlot und regen sich über Hundehaufen auf.«
»Du gehst auf keinen Fall noch einmal mit Melissa hin, Christine«, bestimmte Harald. »Es genügt, wenn diese Frauen ihre eigenen Kinder von der Zeugung an mit Rauch einnebeln. Unsere Melissa wird dem nicht ausgesetzt.«
»Ich habe dir doch neulich von der netten Verkäuferin im Supermarkt erzählt«, entgegnete Christine. »Sie leitet ein Sozialkomitee. Da würde ich gern mitmachen.«
»Ich weiß nicht«, meinte Harald gedehnt. »Na gut, wenn du unbedingt willst, schau es dir einmal an. Weißt du, ich bin jetzt in einer Position, in der es bedenklich ist, wenn die Ehefrau sich zu sehr öffentlich betätigt. Ich meine, Wohltätigkeitsveranstaltungen und dergleichen, dagegen ist nichts einzuwenden. Aber wenn du in einem Sozialkomitee arbeitest, mußt du womöglich zu sehr Stellung nehmen.«
»Ich soll also lieber zu Hause sitzen und Däumchen drehen?«
»So habe ich das nicht gemeint, Christinchen«, wehrte Harald ab, »aber du könntest