Familie Dr. Norden Classic 49 – Arztroman. Patricia Vandenberg

Familie Dr. Norden Classic 49 – Arztroman - Patricia Vandenberg


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nicht alles für mich, Mutti, dachte sie, du hast auch so gut genug für mich gesorgt. Du hättest dir ein schönes Leben machen können. Warum bleiben so viele Rätsel für mich?

      Jedenfalls nahm sie sich nach längerem Nachdenken vor, diesem Dr. Altmann einen persönlichen Besuch abzustatten.

      Sie war sehr müde geworden, öffnete dann aber die beiden Kassetten doch noch, nachdem sie die richtigen Schlüssel dazu gefunden hatte. Sie hatten ganz verschiedene Schlösser, und die waren für die kleinen Behälter überaus stabil.

      In einer Kassette befanden sich Gold- und Silbermünzen, die ihr völlig unbekannt waren. Sie war zu müde, um festzustellen, aus welchen Jahrhunderten sie stammten. Sie hatte auch keine Ahnung, welchen Wert sie haben konnten. Ebenso war es mit dem Schmuck, der sich in der anderen Kassette befand. Schlichte, lange und kurze Goldketten, Anhänger aus verschiedenen Steinen, eine Jadekette, die ihr sehr gut gefiel. Jade hatte immer eine besondere Anziehungskraft für sie gehabt. Dann war da ein kurzes Goldkettchen mit einem Medaillon in Herzform, das wohl für ein Kind gedacht war, aber Lea konnte sich nicht erinnern, es je getragen zu haben. Verschiedene Ringe waren auch darin, in altmodischen Fassungen und mit Steinen, die Lea nicht kannte. Sie hatte sich bisher nie mit Schmuck befaßt, außer mit Jade, weil ihr gesagt worden war, daß dies der Glücksstein für ihr Tierkreiszeichen sei.

      Wenn ihr mir wenigstens etwas erzählen könntet, dachte sie und verschloß die Kassetten dann wieder. Es war spät genug, um schlafen zu gehen. Sie nahm sich vor, am nächsten Morgen Dr. Norden anzurufen und auch Dr. Altmann. Irgend etwas mußte sie unternehmen, um weiterzukommen. Es war jetzt eine Unruhe in ihr, die sie auch am schnellen Einschlafen hinderte. Als endlich der Schlaf kam, war er von wilden Träumen erfüllt.

      *

      Dr. Norden war erleichtert, als Lea anrief. Wendy hatte sie sofort mit ihm verbunden. Es war Freitag, und da hatte er nachmittags keine offizielle Sprechstunde. Er schlug Lea vor, ihn am Nachmittag gegen vier Uhr zu besuchen. Sie war sofort einverstanden.

      Danach rief sie Dr. Altmann an. Seine Telefonnummer stand auf den Briefbogen, und sie hatte sich auch nicht geändert.

      Sie spürte förmlich, wie er den Atem anhielt, als sie ihm sagte, daß ihre Mutter verstorben sei.

      »Mein tiefstes Bedauern und meine aufrichtige Anteilnahme«, sagte er stockend.

      »Ich hätte Sie gern einmal aufgesucht, Herr Dr. Altmann, wäre das möglich?«

      »Selbstverständlich! Ich würde mich freuen. Können Sie gleich morgen kommen? Vielleicht könnten Sie das Wochenende hier verbringen. Es ist schön hier um diese Jahreszeit.«

      »Ich komme gern, vormittags könnte ich dort sein.«

      »Sie sind herzlich willkommen, Lea. Wir können dann alles Wichtige besprechen.«

      Er nannte sie beim Vornamen, es schuf eine gewisse Vertrautheit. War das nicht unvorsichtig? Aber hatte Carla nicht öfter gesagt, sie solle nicht jedem mit Mißtrauen begegnen? Schließlich war ihr Dr. Altmann auch vertraut gewesen.

      Sie schaute sich gleich auf der Karte an, wie sie am besten nach Füssen kommen konnte, um dem Wochenendverkehr auszuweichen. Jedenfalls würde es ihre erste längere Autofahrt werden.

      Angst kannte Lea nicht. Sie war vorsichtig aber nie ängstlich. Sie vertraute auf ihr Gespür, auf den siebten Sinn, der sie vor Gefahr warnte.

      Sie begann, das Gefühl der Einsamkeit zu überwinden, da sie schon bereit war, sich allein im Leben zu behaupten. Sie machte Carla keinen Vorwurf, daß sie ihr so viele ungelöste Fragen hinterlassen hatte, aber jetzt kam sie zu der Erkenntnis, daß sie sich nicht einfach damit abfinden sollte. Eigentlich hatte sie genau genommen überhaupt keine Eltern, sie war ein namenloses Wesen, das Glück gehabt hatte, von Menschen wie den Barans gefunden zu werden. Ja, sie hatte Glück gehabt, denn sie las und hörte immer wieder, wie bedenkenlos Babys weggeworfen wurden, getötet, bevor sie noch richtig leben durften. Es fror sie bei dem Gedanken, und wieder war Dankbarkeit in ihr. »Danke Mutti, daß du mich davor bewahrt hast, ich lebe gern«, sagte sie leise.

      *

      »Lea kommt heute nachmittag zu mir in die Praxis«, verkündete Daniel Norden seiner Frau, als er zum Mittagessen heimkam.

      »Da bin ich aber froh«, erwiderte Fee, »dann findet sie sich schon wieder zurecht.«

      »Wir werden sehen«, meinte er nachdenklich. »Für sie wird es nicht einfach sein, sich mit den Tatsachen abzufinden.«

      »Aber jeder intelligente Mensch möchte wissen, wo seine Wurzeln zu suchen sind.«

      »Aber wo soll sie die finden, wenn es keinen Anhaltspunkt gibt.«

      »Vielleicht gibt es doch einen. Daß das Baby den Barans vor die Haustür gelegt wurde ist es doch ein Zeichen, daß man dort gute Menschen vermutete. Man hatte sie nicht in eine Plastiktüte gesteckt und in eine Mülltonne geworfen. Ich habe heute gelesen, daß das eine junge Mutter fertiggebracht hat. Das Kind hat überlebt. Es ist kaum vorstellbar, wie zäh so ein kleines Wesen sein kann.«

      »Man muß sich aber auch vorstellen, was jetzt in dieser Frau vor sich gehen wird. Und so könnte es auch sein, daß sich Leas leibliche Mutter viele Jahre mit Selbstvorwürfen gequält hat.«

      »Oder auch nicht. Vielleicht lebt sie ein lustiges Leben, froh, daß ihr niemand auf die Schliche gekommen ist.«

      Zwei Meinungen waren das, und beide konnten richtig sein.

      »Lea ist ein apartes Mädchen«, sagte Fee nach einem kurzen Schweigen. »Sie ist intelligent und hat eine natürliche Anmut. So wie sie sich gibt, muß ihr angeboren sein, das kann man nicht einstudieren.«

      »Schatz, geheimnisse jetzt nicht noch mehr in sie hinein. Es langt schon, welch dunkles Geheimnis sie umgibt.«

      »Ich hoffe nur, daß sie keinen Schaden nimmt, Daniel.«

      »Heute abend kann ich dich sicher beruhigen. Ich habe ein gutes Gefühl.«

      »Wegen meiner Matheschulaufgabe, Papi?« fragte Felix, der jetzt den Kopf zur Tür hereinsteckte. »Dein gutes Gefühl täuscht nicht, ich habe einen Dreier.«

      »Na, siehst du, es geht doch, wenn du dich auf den Hosenboden setzt«, wurde er von Daniel gelobt.

      »Gehen wir jetzt morgen segeln?« fragte Felix sofort.

      »Wie ist es?« fragte Daniel seine Frau.

      »Ihr könnt ja segeln, ich gehe mit den Zwillingen ins Schwimmbad.«

      »Und ich darf mit«, sagte Anneka, die nun auch von draußen hereinkam.

      »Segeln oder Schwimmbad?« fragte Fee.

      »Natürlich Schwimmbad. Du kannst doch nicht auf beide gleichzeitig aufpassen, Mami.«

      »Wer von euch beiden ist die größere Glucke«, scherzte Daniel. »Du bist nicht böse, wenn ich mit den Buben segeln gehe?«

      »I wo, laßt euch nur den Wind um die Nase wehen, aber kentert bitte nicht. Weißt du eigentlich noch, wie lange es schon her ist, daß wir Mario aus dem See gefischt haben?«

      »Du wirst es besser wissen, mein Schatz.«

      »Achtzehn Jahre«, erwiderte Fee gedankenvoll.

      »Und jetzt ist er ein großer Mann«, sagte Anneka andächtig. Die Geschichte kannten sie, da brauchten sie nicht mehr zu fragen, aber Fee dachte im Zusammenhang mit Lea daran, daß auch Mario großes Glück gehabt hatte, aber sie alle dazu, weil er ihnen nur Freude machte. Nun war er Medizinstudent schon im fünften Semester. Er gehörte zu den Hochbegabten, obgleich nur seine natürlichen Anlagen gefördert worden waren von seinen Adoptiveltern Johannes und Anne Cornelius. Für Fee und Katja Delorme war er der »kleine Bruder«, obgleich er sie an Länge längst überragte. Seine richtigen Eltern waren Gastarbeiter gewesen, die im See bei aufkommendem Sturm ertranken, nur den kleinen Mario hatte Daniel retten können. Er hatte seine Eltern nicht lange vermißt, hatte auf der Insel der Hoffnung ein neues Zuhause gefunden und viel Liebe.


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