SHAMROCK ALLEY - In den Gassen von New York. Ronald Malfi
warm. Er steckte den Schlüssel in die Zündung, ließ den Motor an und drehte sich nach hinten um. Er musste sehr glaubhaft ausgesehen haben, denn Heidi Carlsons Gesichtsausdruck wurde zu einem Aufzug, den nichts mehr hielt und der in freiem Fall nach unten stürzte, Stockwerk für Stockwerk. »Hör zu, du dumme Schlampe, wir haben dich erwischt. Vor fünf Minuten hast du noch mit deinem Arsch auf der Bühne gewackelt, in zwanzig Minuten wirst du im Knast tanzen. Das verschissene Trinkgeld allerdings ist nicht so gut im Gefängnis.«
Darauf hatte sie keine Antwort mehr, was er auch nicht erwartet hatte. Jetzt war Schluss mit dem Gelaber und Gejammer auf dem Rücksitz. Sobald sie hinter Gittern war, würde sie deutlich williger kooperieren.
Er legte den Gang ein und zirkelte den Wagen aus der Parklücke auf die schmale Straße. Im Rückspiegel sah er, wie Kersh ihn anblickte. John schaute schnell zur Seite und sagte: »Bill, ich buchte sie jetzt ein. Sie ist erledigt. Ich habe keine Lust auf diese dämlichen gottverdammten Spielchen …«
»John …« begann Kersh, und John konnte nicht umhin, erneut einen Blick auf Kershs Gesicht im Rückspiegel zu werfen. Zu seiner Überraschung sah Kersh entspannt aus und war nicht einmal leicht verärgert. Stattdessen breitete sich auf seinem Gesicht ein Ausdruck von Zufriedenheit aus, der beinahe etwas Tröstendes hatte.
»Halt!«, schrie Heidi. Sie schob sich auf den Rand des Sitzes nach vorn. »Stopp! Warte eine Sekunde! Halt! Stopp! Okay, ich sage alles. Ich will keine Probleme.« Die Stripperin streckte die Hand aus und zog an Johns Arm. Schweigend drehte er am Lenkrad und brachte den Wagen am Rand der leeren Straße zum Stehen.
»Schon gut, schon gut«, gab sie zu. »Ich habe die Scheine bekommen. Aber ich schwöre, dass ich keine Ahnung hatte, dass sie gefälscht sind. Auch noch als ich mit ihnen bezahlt habe. Erst bei der Sache mit der Bank habe ich es mitbekommen. Danach habe ich die Dinger nicht weiter ausgegeben.«
John stellte den Motor aus.
»Wer ist der Typ, Heidi?«, fragte Kersh. Etwas seltsam Zärtliches, fast Besänftigendes war in seiner Stimme. Für John hörte sich sein Kollege plötzlich mehr wie ein Therapeut an und nicht wie ein Secret-Service-Agent.
»Wer ist der Typ«, flüsterte sie ihm nach. Mit großen Augen betrachtete sie die Fensterscheiben der Limousine und die Polster. Sie blinzelte mehrmals. Große Klumpen Wimperntusche, die selbst in der Dunkelheit sichtbar waren, hatten sich in ihren Augenwimpern verfangen. »Ich kann nicht … ich weiß nicht, wie er heißt. Habe ihn nur ein paar Mal gesehen vor der … der Nacht, in der er … mich angemacht hat.« Sie wählte ihre Worte vorsichtig. »Ich tanze, und er schaut zu, steckt dann einen Schein in meinen String. Als ich fertig bin, hole ich das Geld heraus, und dann habe ich es bemerkt, weißt du, dass er mir einen Hundert-Dollar-Schein gegeben hat. Ich war ganz schön fertig, weißt du?« Sie sprach jetzt schnell, nicht aus Angst, sondern vor Wut, und Wut machte Heidi Carlson unattraktiv. »Ich habe mich dann nach ihm umgesehen«, fuhr sie fort, »und er war noch da, aber nicht mehr an der Bühne. Er saß allein an der Bar. Hat mich durch den ganzen Raum beobachtet, sogar bevor ich ihn dort entdeckt hatte, also bin ich zu ihm rüber. Hat mir ein paar Drinks spendiert. Wir haben uns eine Weile unterhalten. Dann gingen wir zu seinem Wagen.«
»Und du hast keinen Namen?«, fragte Kersh.
Heidi schüttelte den Kopf. »Nein.«
»Was hatte er für ein Auto?«
»Scheiße, woher soll ich das wissen. Autos sind mir egal. Es war ein großer, älterer Wagen, dunkelrot, denke ich. Wie Blut. Das Innere war weiß, aber sehr schmutzig, überall auf den Sitzen waren Brandstellen von Zigaretten …«
»Wirklich viel hast du hier ja nicht beizutragen«, sagte John, »was mich zu der Annahme verleitet, dass du uns noch immer etwas vorspielst.«
»Hey Süßer, ich kann dir nur das sagen, was ich weiß.« In ihrer Stimme war ein Funke Trotz zu hören. »Ich habe ihn noch ein paar Mal gesehen – jedes Mal lief die gleiche Show. Ich tanze, er steckt mir einen Hunderter zu, wir genehmigen uns ein paar Drinks und landen dann in der Horizontalen in seinem Auto.«
»Wenn kein Name gefallen ist«, sagte Kersh, »wie hast du ihn dann genannt?«
Sie lachte über die Frage und ihre Stimme klang bittersüß dabei. Mit einer Hand tätschelte sie eine Seite ihres Gesichts, wobei die riesigen, knallrot angemalten Nägel im Halbdunkel leuchteten. »Wie ich ihn genannt habe? Was für eine Scheißfrage – na einfach Honey, Baby, Sugar, was auch immer. Der übliche Mist.«
John blickte Kersh an und runzelte die Stirn. »Die erzählt nur Quatsch. Ich schlage vor, wir buchten sie ein und versuchen es morgen wieder.«
Panisch schob sich Heidi vor Kersh und hielt sich an der Rückseite von Johns Sitz fest. »Ehrlich, das war's, Mann! Ich wusste nicht, dass die Scheine gefälscht sind. Ich habe mich von diesem Penner doch nicht für Toilettenpapier vögeln lassen. Ich habe doch gesagt … ich meine …« Sie schnappte nach Luft. »Hört zu – ich habe gesagt, dass ich es erst mitbekommen habe, als ich in der Bank war. Okay? Gottverdammt! Da war mir klar, dass er mich übers Ohr gehauen hat, ich schwöre es. Ich hatte keine verdammte Ahnung davon, versteht ihr das nicht? Als deine Kollegen kamen, bin ich in Panik geraten. Ich wusste, dass ich ein paar der Scheine verteilt hatte, aber ich hatte nicht vor, mich für etwas einlochen zu lassen, woran ich nicht einmal beteiligt war. Der Typ hat mich verarscht … vielleicht habe ich nicht immer die Wahrheit gesagt. Aber verdammt noch mal, ich habe damit wirklich nichts zu tun – und ich habe nicht den blassesten Schimmer, wer dieses Arschloch ist.«
Kersh, der immer noch in der Lage war, mitleidsvoll zu klingen, fragte sie, wann sie ihn zuletzt gesehen hatte.
Sie holte mehrmals tief Luft, ihr Brustkorb hob und senkte sich, dann antwortete sie: »Vor drei Tagen.« Sie fuhr mit ihren langen, roten Fingernägeln über ihr Dekolleté und hinterließ weiße Streifen auf ihrer braunen Haut.
»Hast du ihn wegen des Falschgelds zur Rede gestellt?«
»Nein.« Nach einer Weile sagte sie nachdenklich: »Ich meine, ich hatte es vor. Er hat mir im Klub noch einen gegeben. Ich habe ihn genommen und dachte, draußen mache ich ihn fertig. Ganz ehrlich – ich hatte vor, ihn zu erpressen. Ich will echtes Geld für echten Service. Aber als wir draußen ankamen, hatten sie sein Auto abgeschleppt.«
Die Worte schlugen bei John und Kersh ein wie eine Peitsche bei neugeborenen Kälbern. John sah Heidi an, dann Kersh, dann wieder Heidi. »Was?!«
»Genau so war's. Was ist los?« Sie hatte keine Ahnung. »Zuerst dachte er, es wäre gestohlen worden, dann hat der Idiot bemerkt, dass er auf einem der Taxiplätze vor dem Klub gestanden hatte. Die Polizei hat das Ding abschleppen lassen.«
Kersh sah aus wie völlig neben der Spur. Er war ein Mensch, der sich sonst keine extravaganten Emotionen leistete, aber sogar im Halbdunkel seines Wagens war deutlich, dass sich sein Gesicht von einem Moment auf den anderen verändert hatte, irgendwie heller geworden war.
Sie weiß nicht, was sie gerade gesagt hat, dachte John.
»Wo genau?«, fragte John. »Das Auto?«
»Äh …« Sie drehte sich um und spähte durch das Heckfenster des Autos zurück zum Klub. Das Fenster war beschlagen und sie wackelte seitwärts mit dem Kopf, als ob eine solche Bewegung die Sicht klarer werden ließe. In diesem Moment sah sie verloren und fehl am Platz aus. »Irgendwo …«, sagte sie. »Irgendwo dort drüben, an der Ecke vor dem Klub, auf der anderen Straßenseite.«
»Bist du sicher, dass das Auto abgeschleppt wurde?«, fragte Kersh. Er sah immer noch John an.
Heidi blickte auf ihren Schoß und rückte ihre Handtasche zurecht. »Ganz sicher. Er hat die Bezirksverwaltung angerufen, dann sogar den Abschlepphof. Er war stinksauer. Hat mir gesagt, es wäre abgeschleppt worden, hat die ganze Zeit geflucht, sich ein Taxi genommen und ist abgehauen. Und das war es – das war das letzte Mal, dass ich ihn gesehen habe. Vor drei Tagen.« Der Blick in die Gesichter ihrer Kidnapper verriet der Stripperin, dass sie nicht länger wichtig war. Erleichterung machte sich auf ihrem Gesicht breit und sie fing wieder