MargeritenEngel. Karo Stein
»Ja, ein alter Freund ist in der Stadt.«
Hellhörig drehe ich mich zu Kevin um. Sofort ist auch das flaue Gefühl im Magen wieder da.
»Alter Freund?«, frage ich zweifelnd.
»Ja«, erwidert er grinsend. »Was bist du? Ein Papagei?«
»Ich bin erstaunt… Wer ist es denn?«
»Rik«, sagt Kevin schlicht. Ich kann es mir gerade noch verkneifen, den Namen zu wiederholen. Stattdessen versuche ich, mich daran zu erinnern, ob mir Kevin schon mal etwas von einem Rik erzählt hat. Aber mir fällt nichts ein.
»Wer ist Rik?«, frage ich nach einer Weile.
»Hendrik, ein alter Schulfreund. Er ging in meine Parallelklasse. Wir sind nach der Schule beide nach Hamburg gegangen und haben eine Zeit lang zusammen in einer WG gewohnt.« Kevin fängt an, zu lachen. »Das waren Zeiten! Wir haben ein paar echt verrückte Sachen gemacht, uns aber dann irgendwann aus den Augen verloren.«
»Wart ihr… also, wart ihr ein Paar?«, frage ich und rutsche unruhig auf seinem Schoß hin und her. Ich kann nichts gegen die Eifersucht machen.
»Rik und ich? Niemals! Wir haben uns wirklich gut verstanden, aber… ein Paar? Rik ist echt nicht mein Typ. Kein Grund, eifersüchtig zu sein, Engelchen.«
Beschämt senke ich den Kopf. Ich ärgere mich darüber, dass Kevin meine Reaktion gleich richtig gedeutet hat, aber noch mehr, dass ich überhaupt eifersüchtig geworden bin. Ich kann diese Angst, dass ich ihn verlieren könnte, einfach nicht überwinden.
»Ich habe ihn letzte Woche auf den blauen Seiten wiedergefunden«, erzählt Kevin munter weiter. »Er ist vor Kurzem hierhergezogen. Wir dachten, wir könnten uns mal treffen. So um der alten Zeiten willen…«
»Ich dachte, du treibst dich da nicht mehr rum.« Jetzt kann ich mich nicht mehr zusammenreißen. Ich springe auf. Sämtliche Angst bricht aus mir heraus. Ich weiß, was dort abgeht, genau wie auf den ganzen anderen Portalen. Es geht immer nur um schnellen Sex. »Reg dich nicht auf. Mir war langweilig und da habe ich einfach mal geguckt, was so in der Szene abgeht.«
»Was so abgeht…«, murmle ich vor mich hin.
»Du weißt doch, dass ich GayRomeo nur nutze, um mit Freunden in Kontakt zu bleiben«, sagt er genervt.
Sein Tonfall lässt mich aufhorchen. Diese Diskussion haben wir schon oft geführt. Ich kann nicht verstehen, wieso er sich ständig auf diesen Seiten anmeldet, und er kann nicht verstehen, dass sich mein Interesse für die Weiten des Internets in Grenzen hält.
»Und er muss uns ausgerechnet an diesem Wochenende besuchen?«, frage ich einlenkend.
»Hat sich halt so ergeben«, erwidert Kevin achselzuckend.
»Und wann hat sich das ergeben?« Ich spüre, wie meine Stimme lauter wird. Seine gleichgültige Art, meine freie Zeit zu verplanen, macht mich wütend.
»Keine Ahnung«, brummt er. »Das spielt doch auch keine Rolle. Was hast du überhaupt schon wieder? Rik ist wirklich nett. Ich wette, ihr versteht euch auf Anhieb super. Wir kochen was Schönes und machen uns einen gemütlichen Abend.«
Wir kochen bedeutet nichts anderes, als dass ich koche. Seine Definition von einem gemütlichen Abend kenne ich auch. Meistens redet er mit seinen Freunden über Dinge, die mich nicht interessieren oder von denen ich keine Ahnung habe. Ich sitze für gewöhnlich nur rum, höre zu und komme mir dabei klein und unbedeutend vor.
»Unsere Wohnung sieht aus wie Sau«, meckere ich weiter. »Wie hast du dir das mit dem Aufräumen gedacht?«
Kevin sagt nichts, sondern gießt sich eine weitere Tasse Kaffee ein und trinkt in aller Ruhe.
»Wieso machst du so einen Aufstand?«, fragt er dann und sieht mich genervt an. »Sonst jammerst du immer, dass wir keine Freunde haben, aber wenn wir mal Besuch bekommen, ist es dir auch nicht recht.«
Sofort macht sich mein schlechtes Gewissen breit. Es stimmt, dass ich ihm dauernd damit in den Ohren liege.
»Ich… na ja, so meinte ich das auch nicht«, rudere ich zurück. »Aber schau dich doch mal um.«
Unsere Wohnung versinkt im Chaos. Es ist nicht nur die Küche. Im Wohnzimmer sieht es nicht viel besser aus. Obwohl Kevin viel mehr Zeit hat als ich, interessiert ihn der Haushalt überhaupt nicht. Erst, wenn er keine Klamotten mehr im Schrank findet, fällt ihm ein, dass er mal die Waschmaschine einschalten könnte. Das Gleiche gilt fürs Geschirr und überhaupt.
Kevin steht auf, kommt auf mich zu und legt seine Arme auf meine Schultern. »Sei doch nicht so. Ich weiß, dass du das Chaos ruckzuck beseitigt hast«, flötet er.
Wütend mache ich mich von ihm los. »Toll, und was machst du?«
»Ich? Ich muss noch mal kurz weg«, sagt er in aller Seelenruhe.
»Du gehst weg und ich soll die Wohnung aufräumen?«, schreie ich ihn an. »Ich glaube, ich spinne! Es ist dein Freund, also räum du doch die Wohnung auf!«
»Dein Rumgezicke geht mir echt auf die Nerven«, brummt Kevin. »Ich gebe mir so viel Mühe für dich, decke den Frühstückstisch und bringe dir sogar eine Rose mit. Und du? Du meckerst schon wieder rum, bloß weil ich dich bitte, ein bisschen aufzuräumen. Dafür gehe ich auch auf dem Rückweg einkaufen. Außerdem kannst du es doch sowieso nicht leiden, wenn ich dir beim Putzen helfe.«
Sprachlos starre ich ihm hinterher. Kevin geht in den Flur, zieht seine Schuhe an und schnappt sich seinen Schlüssel. Er kommt noch einmal zu mir zurück und drückt mir einen Kuss auf die Wange.
»Schicker Knutschfleck«, flüstert er mir ins Ohr. »Ich beeile mich auch.«
Die Tür fällt ins Schloss und Kevin ist weg.
Ich bleibe allein zurück, spüre, wie meine Knie nachgeben, und lasse mich auf den Stuhl fallen. Den Schmerz, der sofort heftig durch meinen Körper fährt, ignoriere ich. Er ist nicht heftiger als die Wut in mir.
Kapitel 3
Eine fast perfekte Beziehung
Vorsichtig balanciere ich meine Lieblingstasse, gefüllt mit leckerem Schokocappuccino, Richtung Wohnzimmer. Die Keksdose habe ich mir unter den Arm geklemmt. Ich biege zu früh ab und stoße mit dem kleinen Zeh gegen den Schrank. Ich ächze vor Schmerz, schaffe es aber, meine Tasse gerade zu halten. Nur ein wenig Schaum läuft außen am Rand entlang.
Ich habe den Fußboden erst vor einer halben Stunde gewischt. Der Flur war der letzte Raum meiner Aufräum- und Putzaktion. Genau so hatte ich mir einen freien Samstag vorgestellt!
Im Wohnzimmer stelle ich alles auf den Tisch, lasse mich aufs Sofa fallen und reibe meinen Zeh. Mein Blick wandert automatisch zu der alten Kuckucksuhr, die Kevin irgendwann mal mit nach Hause gebracht hat. Tagelang hat er sich mit nichts anderem beschäftigt. Am Ende hat sie tatsächlich wieder funktioniert. Wobei sie nicht im eigentlichen Sinne funktioniert.
Nachdem Kevin sie in sämtliche Einzelteile zerlegt hat, laut fluchend auf dem Boden herumgekrochen ist, weil ein paar von diesen winzig kleinen Rädchen vom Tisch gerollt waren, hat er das mechanische Uhrwerk durch ein elektrisches ersetzt. Deshalb schaut dieser grässliche Kuckuck unentwegt aus seinem Häuschen. Aber wenigstens hält er den Schnabel. Auch das Ticken ist leise und einigermaßen erträglich. An den Anblick habe ich mich mittlerweile gewöhnt.
Kevin ist seit über vier Stunden weg. Langsam könnte er nach Hause kommen. Die Wohnung ist ordentlich. Er muss sich nicht mehr meine wilden Flüche anhören, als ich die Schimmelkulturen, die Kevin anscheinend in den Kochtöpfen züchten wollte, entfernt habe. Das war so widerlich.
Am liebsten hätte ich die Töpfe in den Müll geworfen, anstatt den undefinierbaren Inhalt herauszukratzen und anschließend mit extrem heißem Wasser und einer Unmenge an Spülmittel abzuwaschen. Meine Hände brennen noch ein wenig, sind aber nicht mehr so krebsrot wie