Verlass die Stadt. Christina Maria Landerl

Verlass die Stadt - Christina Maria Landerl


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zum Beispiel ist Abend, und er sitzt mit Laura beim Essen, sie hat gekocht. Sie hat sich trotz der Hitze und trotz der Schwangerschaft an den Herd gestellt und Essen zubereitet, hauptsächlich Gemüse, weil es doch heiß ist, sie hat es getan, weil sie ihn liebt, denkt er, und weil sie es schön findet, mit ihm zu essen, und ihm fällt ein, dass Gudrun das nie für ihn getan hat.

      Ich habe heute Gudrun getroffen, sie war eigenartig.

      Die ist doch immer eigenartig.

      Ich habe sie nach Margot gefragt, ich habe länger nichts von ihr gehört.

      Das stimmt, wir haben lange nichts von ihr gehört. Margot ist auch ein komischer Mensch, oder.

      Du kennst sie doch gar nicht richtig. Gudrun hat mir keine Antwort gegeben. Ich werde Peter fragen, wenn ich zu ihm ins Lokal komme.

      Und grüß ihn von mir, sagt Laura.

      Später, als es dunkel wird, sitzen sie noch auf dem Balkon, wo es ganz still ist; die Nachbarn sind alle verreist. Max streicht über Lauras Bauch und er freut sich, aber er freut sich nicht so sehr, wie er sich untertags vorgestellt hat, dass er sich freuen wird, und er fragt sich, warum das immer wieder so sein muss.

      (Ungargasse)

      Ich wollte schon immer nach Wien. Aber nicht, weil ich Geschichten aus dem Wiener Wald gelesen habe. Auch nicht, weil ich Die Strudlhofstiege gelesen habe (das habe ich nicht) und nicht wegen Falco, den ich seit meiner Kindheit verehre; sondern weil ich Malina gelesen habe. Wer das Buch kennt, weiß, dass Wien darin keine sehr große Rolle spielt.

      Nach meiner Ankunft habe ich angefangen, die Stadt abzusuchen. Ich habe die Stadt aus dem Buch gesucht. Ich habe nicht viel gefunden. In der Ungargasse: Am Haus Nummer5 eine Gedenktafel für Beethoven, der seine 9.Sinfonie hier beendet hat. Am Haus27 eine für Jakob Degen, Schweizer Flugpionier und Erfinder. An 6 und 9 keine Tafeln. Für wen auch.

      Ich fand das trotzdem nicht richtig. Ich wollte noch ein steirisches Bier beim alten Heller, Nummer34, trinken, aber die Gaststube war mir zu finster. Ich kaufte eine Dose Ottakringer an der U-Bahnstation Rochusgasse und nahm sie mit nach Hause. Alles war anders, als ich es mir vorgestellt hatte.

      Ich habe die Stadt nach Malinas abgesucht. Ich habe nicht viele gefunden. Im Telefonbuch ein paar Einträge: Helmuth und Erna Malina. Rudolf Malina, sinnliche Fotografie. Marlen Malina, bescheuerter Name. Für mich war kein Malina dabei.

      Ich habe angefangen, die Stadt nach mir abzusuchen. Ich habe nicht viel gefunden. Nichts, was mich an mich erinnert hätte. Keinen Grund, hier zu sein, und auch keine Berechtigung. Offensichtlich hatte ich hier nichts verloren.

      Also bin ich geblieben.

      Erst später habe ich weitergesucht. Ich habe begonnen, in Büchern zu suchen. Ich habe die Bibliotheken der Universität und der Stadt Wien nach der Stadt Wien in den Werken Ingeborg Bachmanns abgesucht. Ich habe nicht viel gefunden. Dafür habe ich herausgefunden, dass Bachmann in der Ungargasse nie gewohnt hat, sondern in der Beatrixgasse, einer Querstraße, außerdem in der Gottfried-Keller-Gasse, ein paar Straßen weiter. Ob dort Gedenktafeln hängen, weiß ich nicht. Ich habe es unterlassen, hinzufahren, ich habe mir untersagt, nachzusehen.

      Sieben Jahre hat sie hier nur verbracht, trotzdem ist Wien zum Hauptschauplatz ihrer Texte geworden. Ich war länger hier. Es ist mein Hauptschauplatz geworden.

      Als Ingeborg Bachmann vor über sechzig Jahren in Wien ankam, war es nicht Sommer, es war Herbst. Es war Herbst, als ich vor gut zehn Jahren in Wien ankam. Es ist bald Winter geworden.

      (Margot)

      Nach so einem klebrigen Sommertag ist der Abend in der Stadt schön. Die Hitze ist verschwunden, aber die Wärme hängt noch in den Mauern und liegt auf den Straßen, und man kann im Schanigarten sitzen, ohne zu schwitzen, ohne zu frieren. Nach so einem Tag legt sich die Nacht über die Stadt, als wäre sie ein Baumwolltuch, das alles sacht und sorgsam einhüllt. Man kann sich sicher fühlen an so einem Abend, in so einer Nacht.

      Gudrun hat die Schuhe ausgezogen und die Füße auf den warmen Asphalt gestellt. Dass er dreckig ist, ist ihr jetzt egal. Eben ist Peter noch neben ihr gesessen und hat abgerechnet, jetzt ist er hineingegangen, um zwei Flaschen Bier zu holen. Gudrun schaut erst zufrieden auf ihre dunklen Fußsohlen und dann in die dunkle Margaretenstraße, die stiller und stiller wird. Sie sieht jemand auf sich zukommen; mit einem leicht wippenden, etwas breitbeinigen Gang, und noch bevor sie das Gesicht von Max erkannt hat, ruft sie Peter nach, er soll drei mitbringen, und lacht.

      Peter stellt die Flaschen auf dem Tisch ab und umarmt Max, er freut sich, weil es selten vorkommt, dass sie hier oder anderswo abends zusammensitzen und Bier trinken. Mittlerweile kommt das kaum noch vor, anders als früher, wo das fast immer so war.

      Vielleicht wäre heute ein guter Abend, um über früher zu sprechen, denkt Peter, aber Max spricht über jetzt, darüber, dass er länger arbeiten musste und Laura ohnehin schon schläft, denn die Schwangerschaft ist anstrengend. Und dann sagt er noch: Könnt ihr das glauben? Ich werde bald Vater!

      Weil Gudrun das schon kennt und weil es sie nicht interessiert und weil sie sich jetzt an etwas erinnert, das sie bisher beiseitegeschoben hat, fragt sie:

      Habt ihr etwas von Margot gehört?

      Das wollte ich euch fragen, sagt Max.

      Ich habe sie lang nicht gesehen, sagt Peter.

      Sie ist bestimmt mit ihrer Diplomarbeit beschäftigt.

      Bestimmt.

      Sie ist fast fertig.

      Wird auch Zeit. Sie arbeitet seit Jahren daran.

      Ich habe vergessen, worüber sie schreibt.

      Irgendwas über Wien und die Bachmann, oder?

      Passt doch. Hoffentlich wird das was.

      Sie wird das schon schaffen.

      Dass sie sich so selten meldet, ist doch ein gutes Zeichen.

      Soll ich sie noch anrufen jetzt? Ob sie auch noch kommt?

      Heute nicht mehr. Heute ist es schon zu spät.

      Aber bald.

      Anschließend reden sie doch noch über früher, und weil es nicht kälter wird, sitzen sie noch lange da und reden über frühere Sommernächte in der Stadt, die schön waren.

      In den nächsten Tagen vergessen sie, anzurufen.

      Jemand bricht in Peters Lokal ein. Obwohl er kein Geld erbeutet, ist der Sachschaden groß. Der Arzt rät Laura zu einer Fruchtwasseruntersuchung. Max ist sehr besorgt. Gudrun muss sich auf einen Auftritt vorbereiten. Sie ist ungewöhnlich nervös deshalb.

      Sie vergessen es. Sie haben anderes zu tun.

      (Das Konzert)

      Der Ausbau des Wiener U-Bahnnetzes bringt sehr viele Vorteile mit sich. Einer davon ist, dass in Zukunft auch abgelegene Stadtteile wie Aspern und Rothneusiedl schnell und unkompliziert erreichbar sein werden. (Der Ausbau der U-Bahn hat auch ein paar Nachteile, er kostet zum Beispiel sehr viel Geld, und die Notwendigkeit der Erweiterung ist umstritten.)

      Ein weiterer Vorteil dieser Baumaßnahmen ist hingegen, dass man halbfertige Stationen als Veranstaltungsorte nutzen kann. Zum Beispiel für ein Festival, eines von der Art, auf denen Gudrun gerne spielt, weil sich an ungewöhnlichen Orten meistens Menschen einfinden, die für außergewöhnliche Musik viel übrig haben.

      Sie sitzt mit Freunden auf einer der Holzbänke und trinkt ihr zweites Bier. Sie mag das Provisorische und den Geruch nach Baustelle, sie freut sich, dass interessante Leute gekommen sind und viele Frauen. Mit dem dritten Bier lässt die Nervosität nach, wird von der Zuversicht abgelöst: Sie wird sehr gut sein heute, sie ist überhaupt sehr gut, wahnsinnig gut, der heutige Abend wird das allen deutlich machen.

      Ein viertes Bier verbietet sie sich. Sie muss heute noch wichtige Handgriffe tun, an der Gitarre, am Laptop, dafür darf man nicht besoffen sein, das macht die Finger langsam, auch wenn es dem Gesang


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