Gefangen. Sira Rabe
was es ist – nicht wahr?»
Delia nickte und schluckte trocken. Er schob den schweren roten Vorhang hinter der Eingangstür auf die Seite und ließ Delia an sich vorbeigehen. Das Foyer war die eigentliche Überraschung. Delia wusste nicht, was genau sie erwartet hatte, auf jeden Fall nicht den Eindruck eines mittelgroßen, exklusiven Hotels. Nur die Beleuchtung, die wesentlich schummriger ausfiel als in Hotels üblich und den Raum in eine warme angenehme Atmosphäre tauchte, ließ erahnen, dass es sich um etwas anderes handeln musste. Und die Wände, die in einem kräftigen Bordeauxrot gestrichen waren.
Dezente Instrumentalmusik berieselte den Raum. Direkt gegenüber dem Eingang gab es eine Empfangstheke, hinter der eine etwas füllige, aber durchaus attraktive Brünette ihnen freundlich zunickte.
«Hallo Emily», sagte Max zu ihr. «Ich habe Ersatz mitgebracht. Das ist Delia.»
«Hi», sagte Emily und nickte Delia freundlich zu.
«Für Delia werden auf keinen Fall Buchungen entgegengenommen. Bitte alle Kunden an eine andere Dame vermitteln. Delia wird nur auf dem Podest einspringen.»
Emily zeigte keine Gesichtsregung. «Schön», erwiderte sie trocken. «Dann ist es wenigstens nicht leer.» Das war ihr einziger Kommentar.
Beidseits der Theke führten Flure nach hinten, dann links eine Treppe nach unten, rechts eine nach oben. Koos nickte im Vorbeigehen einigen Kunden zu und ihrer Begleitung, allesamt leicht bekleidete Damen, die an der Bar saßen oder in einer der kleinen gemütlichen Sitzgruppen, die im Raum verteilt waren. Delia bewunderte im Stillen die seidigen Stoffe, mit Goldfäden durchwirkt, hauchzart und fast transparent. Die Frauen erschienen ihr viel schöner und wohl proportionierter, als sie sich selbst einschätzte. Ihnen stand diese hauchdünne Kleidung, die ihnen etwas Feenhaftes verlieh und ihre Reize noch besser zur Geltung brachte, als wenn sie völlig nackt gewesen wären.
Delia hatte Angst, dass ihr vor Scham die Röte ins Gesicht steigen würde. Als Martin eines Tages vorgeschlagen hatte, gemeinsam in die Sauna zu gehen, hatte sie verlegen abgelehnt, und nun? Sie musste übergeschnappt sein, dass sie sich darauf einlassen wollte. In wenigen Minuten würde sie kaum mehr auf der Haut tragen als die anderen Frauen dieses Etablissements.
Koos ging flott voraus, einen Gang entlang, der über eine Leiste knapp unter der Decke indirekt beleuchtet war. Delia blieb kaum Zeit, sich umzuschauen und alles bewusst in sich aufzunehmen.
In dem hell ausgeleuchteten Raum, den sie betraten, waren rundum Spiegel angebracht, davor jeweils eine Ablage mit einem Durcheinander von Schminkutensilien und ein Stuhl. Die beiden Frauen, die dabei waren, sich gegenseitig die Haare zu frisieren, schauten auf. Eine Dritte wurde von einem Mann bedient, offenbar einem professionellen Friseur, der ihre Haare zu einer kunstvollen Hochfrisur hochsteckte.
«Hallo Max», sagten sie alle fast synchron und schauten Delia neugierig an.
«Hallo zusammen», erwiderte er. «Julio, ich brauche deine Hilfe. Das ist Delia.» Dann erklärte er mit wenigen Worten, dass Delia im Foyer einspringen würde und dass sie entsprechend hergerichtet werden müsste, sobald er Zeit für sie hätte. Julio nickte und zeigte dabei eine makellose Reihe strahlend weißer Zähne.
Max Koos nahm einen Morgenmantel von einem Bügel an der Wand und reichte ihn Delia. «Hier, zieh dich aus und das hier über, bis Mona kommt und dir deine Kleidung bringt.»
Zögernd fragte sie leise: «Alles?»
Koos nickte. Er erwiderte ebenso leise: «Mach dir nicht so viele Gedanken. Die Zeit ist schneller herum, als du dir vorstellen kannst, und es wird bestimmt ganz harmlos!»
Delias Lächeln wirkte gequält. Sie sah ihm hinterher, als er den Raum verließ. Dann streifte ihr Blick die anderen, die sie aber bereits nicht mehr beachteten, sondern sich wieder geschäftig ihren Tätigkeiten zugewandt hatten und dabei ungezwungen plauderten.
Während Delia sich auszog und in den Morgenmantel hüllte, verließen die beiden Frauen den Raum. Julio legte gerade noch den letzten Schliff an die Frisur der dritten Frau, dann war auch diese fertig und ging hinaus. Andere Frauen kamen herein und nahmen vor einem der Frisiertische Platz. Sie nickten Delia nur zu und unterhielten sich leise miteinander. Offensichtlich waren neue Gesichter in diesem Haus nichts allzu Besonderes.
Die folgenden fünfzehn Minuten vergingen mit Schminken und Frisieren. Julios ganze Aufmerksamkeit galt Delia und er verstand sein Handwerk. Er arbeitete konzentriert und schnell. Er bat sie, den Morgenmantel auszuziehen, und für einen Augenblick genierte sie sich. Dann überwand sie ihre Scham. Bald würde sie noch viel mehr betrachtet werden, von Männern, die ihren Körper sicherlich mit mehr Begierde mustern würden als der Friseur.
Julio musterte sie verstohlen im Spiegelbild, während er ihr erläuterte, was er vorhatte. Sie würde eine Bereicherung darstellen, hatte eine natürliche Schönheit, nichts Aufgesetztes, nichts Künstliches an sich. Er trug auf ihr Gesicht, Hals, Dekolleté und Arme eine Lotion auf, die feinen Goldstaub enthielt und einen zarten Glanz auf Delias Haut zauberte.
Ihre Haare hatte er toupiert und nach oben frisiert, was Delias Gesicht noch mehr streckte und schlanker machte, als es ohnedies war. Ihre Wangenknochen waren durch Rouge betont, die Augen stärker geschminkt, als Delias es selbst gemacht hätte, mit blaugrünem Lidschatten und einem kräftigen Kajalstrich, mit einer Betonung nach außen, was ihren grünen Augen einen katzenartigen Ausdruck verlieh.
Er erklärte, dass bei der am Podest eher grellen Beleuchtung ein kräftigeres Make-up von Vorteil wäre.
Julios zwangloses Plaudern wirkte auf Delia beruhigend. Dies änderte sich schlagartig, als eine attraktive Mittvierzigerin eintrat, in einen eleganten Hosenanzug gekleidet, mit einem Bündel durchsichtiger Stoffe über dem Arm, und sich als Mona, Max’ Frau vorstellte. Sie sei gekommen, um Delia einzukleiden und auf ihre Arbeit vorzubereiten. Sie breitete die Stoffe über einem Stuhl aus.
Für einen Augenblick erschrak Delia und spielte mit dem Gedanken, das Ganze abzublasen und zu gehen, als sie sah, was sie tragen würde. Es ist nicht mehr als eine durchsichtige Gardine, dachte sie schaudernd. Wenn nur nicht das verfluchte Geld gewesen wäre, das sie dringend gebrauchen konnte – und der Reiz des Unbekannten.
Ähnlich wie Max verfügte auch Mona über eine ausgezeichnete Men-schenkenntnis, die man in diesem Metier auch unbedingt brauchte. Sie fand die Beschreibung ihres Mannes bestätigt, der Delia als scheu und unschuldig, gleichzeitig aber sehr fraulich beschrieben hatte. Es stimmte, Delia hatte ein hübsches Gesicht mit einer schlanken Nase und schön geschwungenen Lippen. Ihre grün schimmernden Augen verliehen ihr einen geheimnisvollen Blick. Sie war schlank, hatte wohl geformte Brüste und einen knackigen, runden Po. Um es mit nur einem Wort auszudrücken, sie war: sexy. Julio hatte sich selbst übertroffen und Delias Persönlichkeit vorteilhaft betont.
«Schau jetzt nicht mehr in den Spiegel. Schließ die Augen und lass dich vom Ergebnis überraschen.» Delia schaute Mona verblüfft an, dann befolgte sie ihre Anweisung und schloss die Augen.
Es war ein merkwürdiges Gefühl, sich in die Kleidungsstücke helfen zu lassen, zu spüren, wie Mona und Julio sie fast überall berührten. Der federleichte Stoff umschmeichelte ihre Haut, schmiegte sich wie statisch aufgeladen an sie, hüllte sie kaum ein und gab ihr doch das Gefühl, ein wenig bedeckt zu sein. Sie wurde hin und her gedreht, ihr Arm angehoben, dann der andere, ein Kleidungsstück übergestreift, dann ging es bei den Beinen weiter. Es wurde gezupft, zurechtgerückt, geprüft und endlich, Delia war sich schon recht merkwürdig vorgekommen, wie eine Art lebendige Schaufensterpuppe, war es soweit.
Monas wohl klingende Stimme forderte sie auf, die Lider zu öffnen. Ein wenig benommen blinzelte Delia in den Spiegel und traute ihren Augen kaum. Die Frau, die ihr Spiegelbild sein sollte, war ihr völlig fremd. Sie drehte und wendete sich, um sich von allen Seiten zu betrachten. Doch, sie selbst musste es sein, wenngleich sie eine solche Verwandlung nicht erwartet hatte. Niemand, nicht einmal ihre beste Freundin, würde sie in diesem Aufzug wiedererkennen.
Die hauchdünnen Schleier in Weiß und Lindgrün, die als weit geschnittene Röhren locker ihre Arme und Beine umhüllten, waren so fein und transparent, dass sie meinte,