Der Sonderermittler. Hans Becker

Der Sonderermittler - Hans Becker


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Onkel intensiv, um dem von ihm behaupteten Recht auf Tötung der untreuen Geliebten näher zu kommen. Alle sagten, sie wussten, dass es vor Jahrhunderten in den Schaustellerfamilien ein solches Recht gegeben habe. Aber keiner wusste, ob ein solches »Recht« in anderen Schaustellerfamilien schon einmal in Anwendung gekommen war. Sie betonten immer wieder, wenn überhaupt, habe es einen solchen Brauch vor Jahrhunderten gegeben. Wir befragten auch die Gerichtsmediziner. Auch sie wussten nichts von einem solchen Brauch.

      Mehrmals versuchten wir in den Vernehmungen, von Lothar Näheres zu erfahren. Gegendarstellungen, dass, wenn überhaupt, ein solches Gebaren vor Jahrhunderten vielleicht üblich gewesen sei, dass wir aber jetzt in einer völlig anderen Zeit leben, konnten ihn nicht beeinflussen. Wir ließen ihn auf seine Zurechnungsfähigkeit, auf seine Fähigkeit, sich zu steuern und sich entsprechend zu verhalten, durch psychiatrische Gutachter untersuchen. Auch dort beharrte er auf seinem Recht zur Tötung der untreuen Geliebten. Ansonsten war er voll zurechnungsfähig und wurde vom Bezirksgericht Halle zu einer lebenslangen Freiheitsstrafe verurteilt.

      Wir haben ihn nach der Verurteilung aus den Augen verloren. Wir hatten aber auch nie den Eindruck, dass Lothar sich mit seiner Behauptung eine Verbesserung seiner Lage als Häftling oder der zu erwartenden Strafe erreichen wollte. Er beharrte auf seiner »Rechtsauffassung« und nahm die Strafe inkauf. Was konnten wir anderes tun als ihn bei seiner Meinung zu belassen?

      Der »sprechende« Rucksack

      Anfang der sechziger Jahre war in Halle eine junge Studentin spurlos verschwunden. Sie wohnte als einziges Kind bei ihren Eltern in einer kleinen Siedlung am Stadtrand von Halle. Wie immer beim Verschwinden eines Menschen war zunächst die zuständige Kriminalpolizei mit dem Problem befasst. Als nach etwa einer Woche noch immer kein Hinweis auf den Verbleib der jungen Frau bekannt wurde, erfolgte der Einsatz unserer Morduntersuchungskommission.

      Nach etwa insgesamt drei Wochen wussten wir fast alles über die junge Frau, über ihr Verhältnis zu ihren Eltern, zum Verhältnis der Eltern untereinander, über ihr studentisches Leben. Wir glaubten zumindest alles zu wissen.

      Auffällig war, dass die Eltern ihre Tochter nie in Begleitung eines Mannes oder einer Frau gesehen hatten. Ihre Tochter sei morgens mit dem Fahrrad zur Universität gefahren und irgendwann zurückgekehrt. Sexuelle Interessen oder Interesse an entsprechenden Gesprächen oder Aktivitäten hatten beide Eltern nie wahrgenommen. Auch in der Universität hörten wir Ähnliches, einen Intimpartner konnten wir nicht ausfindig machen. Für eine junge Frau von etwa 20 Jahren war das eine Auffälligkeit.

      In ihrem Zimmer waren alle persönlichen Ausweise, auch der Studentenausweis, alle Bekleidung, außer der gerade getragenen, vorhanden. Es fehlte nur ein Rucksack. Dieser hatte zwei braune Lederriemen und konnte mit einer Schnur zusammengezogen werden. Es war ihr Rucksack, und ihre Eltern hatten keine Vorstellung, warum gerade er fehlte, wo doch alles andere vorhanden war.

      Wir suchten in der kleinen Siedlung und auf den angrenzenden Wiesen und Gärten. Doch alles war vergeblich. Die junge Frau blieb verschwunden.

      Mit Hilfe der Bezirksverwaltung (BV) für Staatssicherheit versuchten wir Hinweise zu erlangen, die auf ein ungesetzliches Verlassen der DDR hinwiesen. Die Eltern haben eine solche Möglichkeit immer ausgeschlossen, da es auch keine Verwandtschaft in der Bundesrepublik gab. Aber auch das MfS konnte keine Hinweise finden.

      Vier Wochen später wurde am Saaleufer eine bekleidete Frauenleiche aufgefunden, die einen Rucksack trug. Die Frau war durch den Rückgang des Saalewassers sichtbar geworden. Wir übernahmen sofort die weiteren Untersuchungen. Der Fundort war bereits durch Volkspolizisten gesichert, als wir dort ankamen. Die Leiche war aus dem schlammigen Uferbereich herausgezogen worden und lag etwas höher am Ufer. Es war ein trauriger Anblick, der sich uns bot.

      Um überhaupt Näheres sehen zu können, blieb uns nach den erforderlichen Aufnahmen zunächst nur übrig, die Leiche und den Rucksack vom anhaftenden Schlamm zu reinigen. Es gab aber keinen Zweifel, dass wir die verschwundene Studentin vor uns liegen hatten. Ihre Bekleidung stimmte mit den Angaben der Eltern überein, und da war ja auch noch der Rucksack.

      Ich ließ durch einen Funkwagen Oberarzt Dr. Simon, Leiter des Instituts für Gerichtliche Medizin der Martin-Luther-Universität Halle zum Fundort bitten. Aber auch er konnte nach der Besichtigung des Kopfes und der Hände sowie der nassen Kleidung nur ersuchen, die Leiche und den Rucksack in sein Institut zu bringen, wo er noch am gleichen Tag die gerichtliche Obduktion vornehmen wolle. Der Rucksack war noch immer am Körper der jungen Frau. Beide Riemen waren korrekt über die Schulter gezogen, und als wir uns fragten, wie das denn nach einer solchen Liegezeit im fließenden Wasser möglich sei, und die Leiche nun wendeten, sahen wir, dass beide Tragriemen vor der Brust mit einem Lederriemen verknotet waren. So erklärte sich, dass der Rucksack am Körper fixiert war. Der Rucksack war, das konnten wir von außen fühlen, ohne ihn zu öffnen, mit Steinen gefüllt. Nach den erforderlichen Fotografien, zunächst Leiche mit Rucksack und dann beides getrennt, transportierte ein Leichenwagen die sterblichen Überreste und den Rucksack in das Institut zu Dr. Simon. Obwohl am Gesicht und den Händen der Leiche keine Verletzungen sichtbar waren, ließ doch der schwere Rucksack eine Anbringung an der Leiche zum Zwecke des Verschwindens denken. Ein Verbrechensverdacht war durchaus berechtigt.

      Im Institut ließ Dr. Simon wieder die Leiche, den Rucksack und vor allem die Riemen, die wir ja am Saaleufer durchschnitten hatten, um die Leiche transportieren zu können, fotografieren. Der Rucksack erbrachte auf der Waage ein Gewicht von 41,2 Kilogramm.

      Bei der Obduktion wurde festgestellt, dass Ertrinken zum Tod der jungen Frau geführt hatte. Am Körper waren keinerlei Verletzungen feststellbar. Ihr Hymen war auch noch intakt. Ein Verbrechensverdacht trat damit in den Hintergrund, obwohl ja auch denkbar war, dass die Frau durch einen Täter, versehen mit dem Rucksack, in die Saale gestoßen worden war und der Rucksack ein Mittel zur Leichenbeseitigung sein konnte. Unser Interesse und auch das Interesse der Ärzte konzentrierte sich nun auf den Rucksack.

      Dr. Simon empfahl uns, den liegenden Rucksack an beiden Längsseiten aufzuschneiden, um das Innere näher inspizieren zu können. Die Schnur des Rucksacks war noch zugezogen, der Rucksack somit verschlossen, und wir hatten nur von außen gefühlt, dass Steine im Rucksack vermutet werden konnten.

      Nachdem beide Längsseiten mit Schere und Messer durchtrennt waren, konnten wir die Oberseite des Rucksackes aufklappen und das Innere des Rucksackes wurde sichtbar. Wir sahen viele Steine von unterschiedlicher Größe, auch einen halben Mauerstein.

      Alle hockten wir um den Rucksack und keiner wusste zunächst, irgendetwas zu sagen. Schon beim Durchschneiden der beiden Längsseiten des Rucksackes und dem Lösen der Schnur waren Steine aus dem Rucksack gepurzelt. Wir sahen nun, dass die Steine unterschiedlich groß waren, dass aber die großen Steine unten im Rucksack lagen und nach oben, also zur Verschlussschnur des Rucksackes hin, erkannten wir immer kleinere Steine. Niemand von uns hatte so etwas schon einmal gesehen, obwohl wir alle schon die unterschiedlichsten Beschwerungen an Verbrechensopfern gesehen hatten. Ich hatte da die wenigsten Erfahrungen. Was hatte das alles zu bedeuten, oder anders gefragt: Hatte es überhaupt etwas zu bedeuten? War es Zufall? Wir versuchten uns in die Gefühlswelt der Toten hineinzudenken.

      Dr. Simon brach das Schweigen: »Es muss eine Bedeutung haben, wenn wir unterstellen, sie war kein Verbrechensopfer, sondern eine Selbstmörderin aus irgendeinem noch unbekannten Motiv. Wenn wir unterstellen, sie ist eine Selbstmörderin gewesen, muss es einen Sinn haben, dass wir im Rucksack 41,2 kg Steine von unterschiedlicher Größe gefunden haben, die noch dazu nicht wahllos in den Rucksack gelegt wurden. Die großen Steine liegen unten im Rucksack, wir müssen deshalb annehmen, dass sie zuerst in den Rucksack gelangt waren. Nach oben, in Richtung der Verschnürung des Rucksackes werden die Steine immer kleiner. Wir denken immer noch an Selbstmord, da wir für ein Verbrechen keinen Anhalt haben.

      Wenn sie mit dem Entschluss zum Selbstmord unter Mitnahme des Rucksackes von zu Hause an die Saale gelaufen ist, die Entfernung wird ca. fünf Kilometer betragen, wird sie diesen Rucksack als Beschwerung gedacht haben, wenn sie in den Fluss geht. Deshalb wird sie Steine gesammelt haben mit dem Gedanken, in den Fluss zu gehen, wenn der Rucksack mit Steinen gefüllt ist.

      Sie kann aber sicherlich den Gedanken an den


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